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Bernhard Meyer
Krankheit und Tod von Christian Daniel Rauch

Marmor ist auch nur - Stein,
und doch als Stein Unendlichkeit ...
Wißt: wir sind gebunden an unsre Frist.
          Jens Gerlach1)

An berühmten Persönlichkeiten interessieren die Nachwelt vorrangig bleibende Leistungen und bemerkenswerte Vorkommnisse aus dem Leben. Hingegen werden Krankheiten und vor allem die zum Tod führenden meistens ausgeblendet - ausgenommen solche, um die es Spekulationen, Legenden oder von der Normalität weit abweichende, neugierig machende Vorgänge gibt. Medizinhistoriker schließen aus gut dokumentierten Krankheitsverläufen auf den Stand der zeitgenössischen, praktisch angewandten Medizin. Ebenso lassen sich mitunter aus Krankheitsverläufen nicht zu unterschätzende Einflüsse auf Entscheidungen und Verhalten einer Persönlichkeit ableiten.
     Der Bildhauer Christian Daniel Rauch, 1777 geboren, chüler von Johann Gottfried

Schadow (1764-1850) im klassizistischen Berlin, erfreute sich eigentlich bis an sein 80. Lebensjahr seiner Schaffenskraft, die zwar alters-, aber nicht krankheitsbedingten Einflüssen unterlag. Noch drei Monate vor seinem Tod erlebte ihn der Schriftsteller Adolf Wilhelm Stahr (1805-1876) Anfang Oktober 1857 in Dresden als »olympische Stattlichkeit« und »nur wenig gebeugt von der Last« des Alters.2) Schwer vorstellbar, daß Rauch schon kurze Zeit später nicht mehr am Leben sein sollte.
     Rauch war strenggenommen in seinem Leben niemals ernstlich krank. Zwar traten 1821 und dann wieder 1831/32 Ischiasschmerzen auf, die vor allem auf die Hüfte ausstrahlten, allein seinem Schaffensdrang konnten sie nichts anhaben. Mit Salz- und Schwefelbädern während einiger Kuraufenthalte in Pyrmont und Aachen bekam er die Schmerzen bald in den Griff.
     1811 hatte der bis dahin wenig bekannte Rauch auf Fürsprache Wilhelm von Humboldts (1767-1835) den Auftrag erhalten, das Marmorgrabmal (Sarkophag) für die Königin Luise (1776-1810) zu schaffen, das 1815 im Mausoleum des Schlosses Charlottenburg seinen dauerhaften Platz fand. Bis heute beeindruckend die Sterbeszene, die den Übergang vom Leben zum Tod wirklichkeitsnah wiedergibt. Seine Standbilder der preußischen Generäle Scharnhorst und Bülow, zwischen 1819 und 1821 geschaffen, erhielten vor der Neuen Wache Unter den Linden
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einen außerordentlich repräsentativen Platz, zu denen sich 1826 noch Blücher gesellte. Bis 1824 schuf er an die 70 Büsten von Berühmtheiten wie Goethe, Hufeland und Schleiermacher. Seine Natur- und Porträttreue bescherten ihm ein ständig randvolles Auftragsbuch. Die gelegentlichen ischiatischen Beschwerden hinderten ihn nicht, zum 300. Todestag von Albrecht Dürer 1828 für die Stadt Nürnberg das erste für einen Künstler errichtete Denkmal unter freiem Himmel in der europäischen Kunst zu schaffen.
     Im Jahre 1855 stellte sich bei Rauch ein Unterleibsleiden ein, das sich schon kurze Zeit später als ein ernstzunehmendes Nierenleiden entpuppte. Zur vorsorglichen Behandlung begab er sich noch im gleichen Jahr nach Karlsbad, wo ihm die Diagnose mitgeteilt werden konnte: Harnsteine. Das war zwar behandlungsbedürftig, aber nicht lebensbedrohlich. In diese Monate fiel die Enthüllung seiner Standbilder für Gneisenau und Yorck von Wartenburg, ebenfalls Unter den Linden plaziert, nur auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwischen Oper und Kronprinzessinnenpalais. Dem vorausgegangen war wenige Jahre zuvor sein vielleicht größter Erfolg, seine zumindest von der Öffentlichkeit am stärksten wahrgenommene künstlerische Leistung - das Reiterstandbild Friedrichs II., die bedeutendste Berliner Großplastik im 19. Jahrhundert. Die am 31. Mai 1851 erfolgte Enthüllung

Christian Daniel Rauch, porträtiert von Wilhelm Hensel.
Als Widmung schrieb Rauch dazu: »Der Hauch blühender Mädchen verjüngt den Mann, sagt Salomon; hier lieber Freund that's Deine Künstler Hand.«

 
in Gegenwart von König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861, König von 1840-1858) erfüllte Rauch mit Freude und Stolz, ging er doch als der letztliche Schöpfer des bis heute von

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Kunstkennern bewunderten und von Touristen bestaunten Reiterstandbildes hervor, für das auch (neben vielen anderen) Rauchs Freund Schinkel (1781-1841) Entwürfe geliefert hatte.
     Im Glücksgefühl erfolgreichen und anerkannten Schaffens im Range eines Hofbildhauers und bisherigem jahrzehntelangem körperlichem Wohlbefinden nahm Rauch die schmerzenden Steine wohl angemessen ernst, überbewertete sie allerdings nicht und forcierte auch therapeutische Maßnahmen nicht. Sein weit über die Grenzen Sachsens hinaus berühmter Freund, der in Dresden tätige Arzt und Wissenschaftler Carl Gustav Carus (1789-1869), Schwiegervater seines Lieblingsschülers Ernst Rietschel (1804-1861), nutzte im Sommer 1856 eine gemeinsame Fahrt mit Rauch zum König nach Charlottenburg, um »ihm dringend zuzureden einer genauen Untersuchung sich zu unterwerfen und zu dem Ende baldmöglichst nach Dresden sich zu begeben, wo ich ihm einen vorzüglichen Arzt für gerade diese Leiden empfehlen würde, erhielt ich auch ein vorläufiges Versprechen ...«3) Allerdings verschob Rauch seine medizinisch indizierte Reise nach Dresden mehrfach, letztendlich um mehr als ein Jahr. Inzwischen feierte der zeitlebens unverheiratete, aber mit zwei unehelichen Töchtern (Agnes d'Alton, geb. Rauch, 1804-1881; Dorothea (Doris) Rauch, 1812-1879) gesegnete Rauch am 2. Januar
1857 seinen 80. Geburtstag. Danach reiste er im ersten Halbjahr 1857 mehrmals nach Karlsbad. Ende Juni begab er sich gar auf eine Thüringenreise. Diese fiel ihm aber wohl schon schwer, denn in seinem Tagebuch klagte er am 22. Juni über »ein sehr gestörtes« körperliches Befinden.
     Zwei Monate später jedoch, Ende August, mußte er nun schon eine Einladung seines ihm eng verbundenen einstigen Schülers, des namhaften Bildhauers Ernst Rietschel, nach Weimar zur Enthüllung von dessen Goethe-Schiller- Denkmal am 4. September 1857 ausschlagen, da die Fahrerei über holprige Straßen ihm Unterleibsschmerzen bereiten würde und er auch recht häufig ein »kleines beschwerliches Bedürfnis« befriedigen müsse. Statt dessen wurde es für Rauch nun höchste Zeit, sich seines Versprechens an Carus zu erinnern und sich auf den Weg nach Dresden zu machen. Zuvor beehrte er Alexander von Humboldt zu dessen 88. Geburtstag am 14. September. Am 7. Oktober verließ Rauch mit seinem Diener Schönau »heiter und hoffnungsvoll«4) Berlin - und sah die preußische Residenz- und Hauptstadt nicht mehr wieder. In Sachsens Metropole traf er in den nächsten Tagen Carus und den bereits vor Jahresfrist avisierten urologischen Spezialisten Friedrich Gustav Seydel (1812-1865).5) Letzterer war in der Tat ein Experte für Erkrankungen der Harnorgane (wichtiges Teilgebiet der heutigen Urologie), die seinerzeit noch vollständig
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zum chirurgischen Fachbereich gehörte. Seydel weilte verschiedentlich in Frankreich, um dort bei berühmten Ärzten die fortgeschrittenen Methoden der Steinzertrümmerung kennenzulernen. So konnte sich Rauch in der Gewißheit wiegen, sich einem Fachmann für die operative Therapie des Harnsteinleidens anzuvertrauen, den er an der Berliner Charité vergebens gesucht hätte. Seydel untersuchte Rauch mehrfach und kam zu einer Diagnose, die auch heutigen Urologen hinsichtlich der Exaktheit der Feststellungen ohne endoskopische und radiologische Methoden Anerkennung abverlangt.
     Carus und Seydel zogen zunächst eine Operation als die wirkungsvollste Therapie in Betracht, stellten aber bald ein fortgeschrittenes und nun schon inoperabeles Blasenleiden fest. Zur Betreuung folgte ihm deshalb seine Tochter Agnes am 15. Oktober nach Dresden, um nach wenigen Tagen feststellen zu müssen, »daß bald alle Hoffnung für seine Genesung aufhörte, ohne

Reiterstandbild Friedrichs II. unter den Linden
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Schlaf, ohne Appetit verringerten sich seine Kräfte täglich«.6) Seydel verabreichte ihm schmerzlindernde und entzündungshemmende Mittel auf dem noch niedrigen Nivaeu damaliger Medikamentation: »Ich führte ein paarmal elastische Katheter ein und machte Injectionen mit lauem Wasser ... Es wurden beruhigende Mittel angewendet, Emulsionen mit Aq. laurocer., Morphium zum inneren Gebrauch, Leinsamendecoct mit Opiumtinctur als Lavement, und als die Reizbarkeit des Blasenhalses trotzdem nicht nachließ, wurde noch eine locale Blutentziehung im Mittelfleiche vorgenommen ...«7) Der Zustand besserte sich aber nicht, denn Anfang November traten starke Schüttelfröste auf, die zu weiterer Schwächung führten. Vom 16. bis 20. November weilte Rauchs zweite Tochter Doris am Krankenbett. Nach ihrer Abreise verschlechterte sich der Allgemeinzustand Rauchs zusehends - Fieber und Schüttelfröste, Aufregung und Beklommenheit, Delirien: »Von diesem Tage an lebte der Patient noch 14 Tage in einem trostlosen Zustand.«8) Carus und Seydel verbrachten abwechselnd Stunde um Stunde am Krankenbett von Rauch, ohne ihm entscheidend helfen zu können: »Donnerstag den 3. Decbr. morgens 1/2 7 Uhr entschlummerte unser theurer geliebter Vater -.«9)
     Die Obduktion am nächsten Tag ergab zehn haselnussgrosse, harnsaure Steine. Das Steinleiden hatte sich durch das Auftreten einer Urosepsis (Überschwemmung des
Blutes mit Krankheitserregern aus den Harnwegen) kompliziert, die damals ohne Antibiotika nicht beherrschbar war und nach Seydels Auffasung eine Operation ausschloß: »Ja unter solchen Umständen zu operieren würde Leichtsinn oder Unkenntnis documentieren ... Der Zustand des Kranken war von der Art, daß ein günstiger Ausgang sich nicht erwarten ließ ... Ich würde mich glücklich geschätzt haben, wenn es mir vergönnt gewesen wäre, den herrlichen alten Mann von seinen Steinen, von seinem Leiden zu befreien und den berühmten Künstler der civilisierten Menschheit zu erhalten ...«10)
     Die Töchter überführten die sterblichen Überreste ihres Vaters nach Berlin, wo er noch am Samstagabend an seiner letzten Arbeitsstätte aufgebahrt wurde: »Schöne würdige Aufstellung des Sarges im Atelier, unter Blumen, seine Büste in der Mitte, zwei Viktorien mit Palmen zur Seite, Glaube, Liebe, Hoffnung zu Häupten.«11) Beerdigt wurde Rauch am Montag, dem 7. Dezember 1857, auf dem Friedhof vor dem Oranienburger Tor (Dorotheenstädtischer Friedhof). Seine Grabstelle befindet sich, wie Agnes in ihrem Tagebuch vermerkte, ganz in der Nähe von Borsig, Rungenhagen, Schadow, Schinkel, Beuth und Maaßen. Der Grabstein wird von der von Rauch geschaffenen Bronzestatuette »Hoffnung« abgeschlossen, die symbolisch die Auferstehung ausdrückt.
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Die große Anteilnahme der Berliner Bevölkerung erklärte sich aus seinem Bekanntheitsgrad als Künstler des öffentlichen Denkmals. Seine Statuen schmückten das nachfriderizianische Berlin. Mit Rauch verschied nach Schinkel (1781-1841) und Schadow der letzte jenes Trios, das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Mittelpunkt des Berliner Kunstschaffens gebildet hatte. Er repräsentierte wesentlich die zweite Periode der sich an klassizistischen Formen orientierenden und nüchterne Naturbeobachtung betreibenden Berliner Bildhauerschule, aus der so bekannte Künstler wie Ernst Rietschel, Albert Wolff (1814-1892), Johann Friedrich Drake (1805-1882), August Kiss (1805-1882) und Reinhold Begas (1831-1911) hervorgingen. Rauch selbst wurde zum Inbegriff des Spätklassizismus in Berlin. 43 Jahre nach seinem Tod, am Ende des 19. Jahrhunderts, wurde Rauch in einer Umfrage nach dem bedeutendsten Bildhauer des Jahrhunderts hinter seinem Schüler Reinhold Begas auf den zweiten Platz vor einem seiner einstigen Lehrer, dem Norweger Berthel Thorvaldsen (1768-1844), gewählt. Quellen:
1 Jens Gerlach, Christian Daniel Rauch, in: Dorotheenstädtische Monologe, Gedichte, Berlin und Weimar 1972, S. 115 f.
2 Friedrich und Karl Eggers, Briefwechsel zwischen Rauch und Rietschel, Bd. 2, Berlin 1890/91, S. 134
3 Carl Gustav Carus, Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten, Leipzig 1865, S. 152 ff.
4 Agnes d'Alton, Tagebuch, Privatbesitz Hamburg, zitiert bei Jutta von Simson, Christian Daniel Rauch, Reihe Preußische Köpfe, Berlin 1997, S. 160 f.
5 Ausführlicher zu Gustav Seydel siehe Herrmann Haussmann, Die letzte Krankheit des Bildhauers Christian Daniel Rauch, in: Zeitschrift für klinische Medizin. 42. Jahrgang (1987), H. 24, S. 2195
6 Agnes d'Alton, a. a. O.
7 Gustav Seydel, Die letzten Lebenswochen des am 3. Dezember 1857 zu Dresden verstorbenen Prof. Christian Rauch. Medizinischer Bericht, in: Deutsche Klinik, Nr. 1 (1858), S. 1 ff.
8 Ebenda
9 Agnes d'Alton, a. a. O.
10Gustav Seydel, a. a. O.
11Agnes d'Alton, a. a. O.

Bildquelle: Autor, Katalog Preußische Bildnisse des 19. Jahrhunderts, Archiv

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2000
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