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Horst Wagner
Berlin vor 100 Jahren

Akademiefeier, Schinkelfest und ein Skandalprozeß

Herausragendes gesellschaftliches Ereignis im März 1900 war zweifellos die Feier zum 200. Jahrestag der Königlich- Preußischen Akademie der Wissenschaften. Sie fand am 19. und 20. des Monats statt, und nicht, wie in der »Chronik Berlin« (Auflage 1997, Seite 292) leider falsch vermerkt, am 13. März. Eröffnet wurden die Feierlichkeiten am Montag, dem 19. März, mit einem Festakt im Schloß, über den das »Berliner Tageblatt« noch am gleichen Abend zu berichten wußte: »Der Thronhimmel im Weißen Saal zeigte die preußischen Farben in den Federbüschen. Ihm gegenüber waren auf einem großen Tisch Globen, Bücher, wissenschaftliche Instrumente malerisch aufgebaut, das Ganze überragt von einem Adler, der einen Lorbeerzweig trug.« Neben den Mitgliedern der Akademie hatten sich der Reichskanzler und die Staatsminister, ausländische Botschafter und Gesandte, Vertreter der Generalität und der parlamentarischen Körperschaften sowie anderer wissenschaftlicher Institutionen eingefunden. Punkt 12 Uhr mittags traf der Kaiser, gefolgt von sämtlichen Prinzen und sonstigem Hofstaat, ein.

Nachdem der Vorsitzende Sekretär der Akademie, Professor Anwers, in einer Begrüßungsansprache dem Kaiser für sein »stets offenes Ohr und eine hilfsbereite Hand für alle wissenschaftlichen Interessen« gedankt hatte, ergriff Wilhelm II. das Wort. Er würdigte, daß die Akademie »die Wissenschaft von vornherein in ihrer vollen Universalität erfaßt« habe. Wohl hätten sich »die großen Erlebnisse der Nation auch in ihrem Wirken gespiegelt ... Aber sie hat es stets verschmäht, in das Gewühl der politischen Leidenschaften hinabzusteigen.«

Sprachwissenschaften und Technik verstärkt

»Nicht so prunkhaft, aber nicht weniger eindrucksvoll«, wie die »Vossische Zeitung« schrieb, verlief am nächsten Tag die Festsitzung der Akademie in den Räumen des Preußischen Abgeordnetenhauses. Womit dieses Haus, so die »Vossische«, der Akademie eine ebenso schlichte wie notwendige Huldigung dargebracht habe. Denn: »In zweihundert Jahren hat es die Akademie zu keinem würdigen Heim gebracht.« (Ihr neues in der Staatsbibliothek Unter den Linden wurde bekanntlich erst im März 1914 bezogen.) Hauptredner der Festsitzung war der Kirchenhistoriker Adolf Harnack (1851-1930), der »ein packendes Bild der Entwicklung der Akademie seit ihrem Bestehen zeichnete«.

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Ihr erster Abschnitt sei vor allem mit Leibnitz' Namen verknüpft, der die Initiative zu ihrer Gründung ergriffen habe. »Dem zweiten Abschnitt hat Friedrich der Große das Gepräge gegeben, der dritte ist durch die beiden Humboldts gekennzeichnet.« Anläßlich der Zweihundertjahrfeier geruhte der Kaiser, die Zahl der ordentlichen Mitglieder in beiden Klassen der Akademie (philosophisch- historische und physikalisch- mathematische) von je 27 auf je 30 zu erhöhen, was zu Gunsten der Sprach- und der technischen Wissenschaften geschah. Natürlich wurden auch zahlreiche Orden verliehen. Den höchsten, den Roten Adler-Orden 1. Klasse, erhielt der damals 82jährige Historiker Theodor Mommsen (1817-1903). Frau Elise Wenzel, die 1894 eine Stiftung für wissenschaftliche Zwecke in Höhe von 1,5 Millionen Mark begründet hatte, wurde zum ersten weiblichen Ehrenmitglied der Akademie ernannt.
     Außer der Jubiläumsfeier der Wissenschaftsakademie gab es im März noch zwei größere Festivitäten in Berlin. Am 13. März (daher vielleicht die Verwechslung in der »Chronik Berlin«) feierte der Berliner Architektenverein sein Schinkelfest anläßlich des 119. Geburtstages des großen Meisters. In Anwesenheit von Oberbaudirekter Hinkelday und anderen Ehrengästen gab der aus London angereiste Regierungsbaumeister und Botschafter Hermann Muthesius (1861-1927) einen Abriß der Architekturgeschichte und würdigte dabei Karl-Friedrich Schinkel (1781-1841) als
»die bedeutendste Erscheinung seit den Zeiten des Mittelalters«, dessen »großartige Erfindungen die Weltsprache wahrer Kunst reden«. Anschließend fand ein Festmahl statt, bei dem jedem Teilnehmer ein kleines Schinkelporträt überreicht und das von zahlreichen Quartettgesängen und weiteren Ansprachen begleitet wurde.

Staubwedel wider die Gesindeordnung

Am Sonnabend, dem 17. März, fand dann im Hotel »Kaiserhof« der traditionelle Berliner Gesindeball statt. »Durch den großen Festsaal«, so der Reporter des »Berliner Tageblattes«,»flutet die Menge der Hausmädchen aller Zeiten, die sich mit den Köchen und Bedienten im Reigen drehen.« Am Eingang hätten zwar Schauspieler und Schriftsteller in Polizeiuniform »die Eintretenden als richtige Dienstboten kontrollieren« müssen. In Wirklichkeit aber haben, wie auch in den Jahren zuvor, »alle Theater ihre gefeiertsten Vertreterinnen entsandt. Der Präsident der Bühnengenossenschaft mustert im Kostüm eines Jägerburschen seine Mannen und Männinnen. Die Letzteren tragen den Staubwedel, der als Damenspende verteilt wird, in der Hand, und eine Spreewälder Amme, in der ich die Hanne des >Fuhrmann Henschel< wiederfinde, fächelt sich damit Kühlung zu.« Wobei zu ergänzen wäre, daß die traditionell die Berliner Karnevalsaison

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abschließenden »Gesindebälle« eine Form des Protestes dagegen waren, daß ein Paragraph der bis 1918 gültigen Preußischen Gesindeordnung das Schauspielervolk zum Gesinde zählte.

Was sonst noch geschah in diesem März

1900? Gleich am ersten Tag des Monats fand, wie das »Berliner Tageblatt« vermerkte, ein »Skandalprozeß vor der vierten Strafkammer des Landgerichtes I bei verschlossenen Thüren statt«. Ein 73jähriger Rentner hatte sich wegen »schwerer Kuppelei« zu verantworten, weil er »dem unsittlichen Verhältnis, welches zwischen seiner unehelichen Tochter und dem Inhaber eines Cafés in der Friedrichstraße bestand, aus gewinnsüchtigen Gründen Vorschub geleistet« und dazu »seine eigene Wohnung zu stundenlangem unsittlichen Verkehr hergegeben« hatte. Der Angeklagte wurde zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt und sofort in Haft genommen. Ebenfalls am 1. März mußte der Galopp- bzw. Trabbetrieb in Hoppegarten und Karlshorst eingestellt werden, weil der nochmals zurückgekehrte starke Frost die Benützung der Bahnen unmöglich machte. Am 3. März eröffneten die Hutfabriken von E. Rousellet & Co. in der Friedrichstraße 90 einen neuen Verkaufssalon.

Holzarbeiter und Schneiderinnen streiken

Am 16. März beschäftigte sich das Einigungsamt des Berliner Gewerbegerichtes mit dem nun schon Wochen andauernden Ausstand in der Holzindustrie. Als Vertreter der Streikenden erläuterte laut »Vossischer Zeitung« der Vorsitzende des Deutschen Holzarbeiterverbandes Kloß die Forderungen nach einem wöchentlichen Mindestlohn von 24 Mark.
     Gezahlt würden zur Zeit teilweise nur 15-18 Mark. Darüber hinausgehende Forderungen der Holzarbeiter, wie Abschaffung der Akkordarbeit und Einführung des Achtstundentages, wolle man dagegen erst einmal zurückstellen. Als Sprecher der »Meisterschaft« bedauerte Direktor Lorenz, daß vom Streik 1300 Betriebe mit etwa 25000 Arbeitern betroffen seien, und betonte, »jeder geschäftliche Nutzen höre auf, wenn die Meister die Forderungen bewilligten«. Weshalb man sich erst einmal vertagen mußte. Und am 19. März traten auch die Berliner Kostümschneider und -schneiderinnen in den Ausstand. »Sie verlangen«, so die »Vossische« in ihrer Spalte »Aus der Arbeiterbewegung«, »die neunstündige Arbeitszeit und Erhöhung der Tarifsätze ... Die Lohnsätze sollen zwischen 30 und 40 Mark für männliche Arbeiter betragen.« Über die Forderung für die weiblichen berichtete das Blatt nicht.

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2000
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