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Helmut Caspar
Geheimes Staatsarchiv ohne Geheimnisse

Das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz an der Archivstraße im still-vornehmen Berliner Stadtteil Dahlem verwaltet die schriftlichen Hinterlassenschaften eines Staates, den es seit 1947 nicht mehr gibt. Das Kontrollratsgesetz Nummer 40 vom 25. Februar 1947 hatte Preußen den Todesstoß versetzt. Der nach einem kleinen Herzogtum an der Ostsee, in der Nachbarschaft der polnischen Krone und des russischen Zarenreichs, benannte größte deutsche Territorialstaat verschwand indes nicht spurlos in der Versenkung. Viele kulturelle Hinterlassenschaften und Einrichtungen haben ihn überlebt. Dazu gehören die Museen, Bibliotheken und das Geheime Staatsarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die ehemals preußischen Kulturgüter wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der sowjetischen Besatzungszone, seit 1949 DDR, entweder sozialistisches Eigentum oder gingen im Westen in der von Bund den Ländern getragenen Stiftung Preußischer Kulturbesitz auf. Diese übernahm 1990 die Ostberliner Museumsschätze, die Staatsbibliothek

sowie die in Merseburg (Sachsen- Anhalt) untergebrachten Akten des Geheimen Staatsarchivs. Hingegen wurden die ehemaligen königlichen Schlösser und Gärten in Berlin und Potsdam sowie später die in Rheinsberg und Caputh in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin- Brandenburg zusammengefaßt.
     Die Anfänge des Geheimen Staatsarchivs reichen in die Zeit der brandenburgischen Markgrafen und Kurfürsten zurück, die wichtige Staatspapiere gesondert und geheim verwahrten. Im »Gewelbe auf grünen Hut« des Berliner Schlosses und im Hohen Haus an der Klosterstraße existierten sichere Aufbewahrungsorte für Urkunden, Korrespondenzen, Rechnungen, Gesetzestexte, Testamente und andere Schriftstücke, wie der Direktor des Geheimen Staatsarchivs, Jürgen Kloosterhuis, erläutert. Aus der Registratur des 1723 von König Friedrich Wilhelm I. (1688-1740, König ab 1713) gegründeten Generaldirektoriums hat sich das Geheime Ministerialarchiv entwickelt, das 1874 mit dem Geheimen Staatsarchiv vereinigt wurde. Erfreulicherweise ist nur ein verhältnismäßig geringer Anteil seiner Akten durch Kriegseinwirkungen verlorengegangen, fügt der promovierte Archivar und Historiker hinzu, der, vom Staatsarchiv Münster kommend, in Berlin mit etwa 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Aufarbeitung der Bestände vorantreibt.
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Zwar stehe über dem 1924 eröffneten Archivgebäude in Dahlem die Inschrift »Preußisches Geheimes Staatsarchiv«, doch geheim sei hier nichts. 35 laufende Kilometer Archivgut zentraler Behörden und Ministerien des preußischen Staates können uneingeschränkt ausgewertet werden, desgleichen die Unterlagen aus den ehemals preußischen Ostprovinzen, soweit sie - wie etwa die ältere Überlieferung des Staatsarchivs Königsberg - nach dem Westen gerettet werden konnten und mittlerweile in das Geheime Staatsarchiv gelangten. Hinzu kämen Nachlässe einzelner Persönlichkeiten und Familienverbände. Wer etwa über den ostelbischen Landadel und seine Güter arbeiten möchte, findet hier wichtige Materialien.
     Vor der Wiedervereinigung hatten es Historiker schwer, die im jeweils anderen deutschen Teilstaat verwahrten Archivalien zu studieren. Nachdem die in Merseburg liegenden Bestände des dem DDR- Innenministerium unterstehenden Deutschen Zentralarchivs II Historische Abteilung 1993 und 1994 nach Berlin zurückgeschafft wurden, steht das Schriftgut wieder uneingeschränkt zur Verfügung. 60 bis 70 Leser finden sich täglich in dem 1924 vollendeten Archivgebäude ein. Etwa 13 000 »Benutzungen« durch sechs- bis siebentausend Leser werden im Jahr gezählt. Der Aktenzuwachs, so erfreulich er ist, schaffe erhebliche Platzprobleme, betont Kloosterhuis.
Große Teile der Bestände seien im Berliner Westhafen eingelagert, denn das eigentlich für sie bestimmte Dahlemer Depot gleich neben den Lese- und Verwaltungsräumen werde größtenteils vom Museum für Europäische Kulturen genutzt. »Jeder Transport der Akten in Aluminiumkisten zwischen dem Westhafen und Dahlem zehrt an der Substanz, jedes Bremsen des Autos, jede feuchte Wetterlage, jedes Umblättern oder Kopieren.« Paradoxerweise seien die ältesten Unterlagen, etwa Pergamenturkunden aus der Zeit der Markgrafen oder kurfürstliche Kanzleischriften auf lumpenhaltigen Blättern vergleichsweise widerstandsfähiger als jene Industriepapiere, die ab 1850 aus einer holzschliffhaltigen Masse hergestellt wurden. Sie zu erhalten stellt Restauratoren vor große Aufgaben, die nur mit erheblichem finanziellen Aufwand bewältigt werden können.
     Da sich der Zustand der Akten mit den Jahren eher verschlechtern wird, werden die wichtigsten Stücke verfilmt. Den Filmstreifen wird eine Haltbarkeit von etwa 150 Jahren zugeschrieben. Sie sind damit langlebiger als heute gebräuchliche Kopierverfahren einschließlich der wenig haltbaren Ablichtungen. »Wir wissen nicht, ob digital aufgenommene Kopien von unseren Nachfahren überhaupt noch gelesen werden können, wenn die technische Entwicklung so rasant weitergeht. In wenigen Jahren können Computerprogramme und CD-ROM bereits hoffnungslos veraltet sein,
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Das Preußische Geheime Staatsarchiv bezog 1924 den von Eduard Fürstenberg errichteten Neubau an der Archivstraße in Berlin- Dahlem
und dann muß alles auf neue Datenträger gespeichert werden«, befürchtet der Archivar.
     Während die Verfilmung voranschreitet, arbeitet das Geheime Staatsarchiv seine Bestände weiter auf, legt neue Findbücher an, trifft Vorbereitungen, um ins Internet zu gehen. Findbücher und elektronische Einspeisung sollen Lesern in aller Welt den Zugang zu bestimmten Schriftstücken erleichtern. Eine 1996 gedruckte Bestandsinformation vermittelt erstmals seit den dreißiger Jahren einen Überblick über die Aktengruppen einschließlich der aus Merseburg zurückgekehrten Archivalien.
Die »Intensiv- Erschließung« sei bei den Karten und Plänen besonders gut vorangekommen, ergänzt Dr. Iselin Gundermann, die unter anderem die Nachlässe verwaltet und Kontakt zu jenen Familien hält, die ihre Akten im Geheimen Staatsarchiv deponiert haben. Immer wieder findet man etwas neues, auch an ganz »abwegigen« Stellen. So ist sie bei der Durchsicht der Schriftstücke des Kaisers Friedrich III. (1831-1888, Kaiser ab 1888) auf die sogenannten Sprechzettel gestoßen, mit denen sich der an Kehlkopfkrebs erkrankte Monarch verständlich machte.
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Mehrfach hat das Geheime Staatsarchiv in den vergangenen Jahren Ausstellungen veranstaltet und Publikationen herausgebracht. 1990 war das 800jährige Bestehen des Deutschen Ordens, mit dem die Hohenzollern zeitweise eng verbunden waren, der Anlaß, 1994 das 200 Jahre zuvor erlassene Allgemeine Preußische Landrecht Gegenstand von Ausstellung und Publikation. 1998 wurde Preußens Weg zur Königskrone im Jahr 1701 dokumentiert, in diesem Jahr findet eine Ausstellung zur Geschichte der Preußischen Bauverwaltung statt, und im Jahr 2001 steht die Dreihundertjahrfeier der Begründung des Königreichs Preußen im Mittelpunkt wissenschaftlicher und musealer Aktivitäten, an denen sich auch das Geheime Staatsarchiv beteiligt.
     Für Berufs- und Laienforscher ist es nicht allzu schwer, Leser des Geheimen Staatsarchivs zu werden. Anträge müssen ausgefüllt, Aktenwünsche benannt werden. Archivare helfen, anhand der Findbücher und im Computer die Unterlagen zu beschaffen. Man kann einen Laptop in den am Montag, Mittwoch bis Freitag von 8 bis 15.30 Uhr und Dienstag bis 19.30 Uhr geöffneten Lesesaal mitbringen, und wo es sich machen läßt, werden Kopien von Archivgut angefertigt.
Allerdings müssen sich Benutzer auf Wartezeiten wegen des Transports von der Außenstelle im Westhafen nach Dahlem einstellen. Und sie müssen auch damit rechnen, daß bestimmte Akten nicht mehr vorhanden sind. So sind Bestände des Brandenburg- Preußischen Hausarchivs schon 1943 bei der Bombardierung des Charlottenburger Schlosses verbrannt, wohin sie ausgelagert waren. Auch bei der Plünderung des kriegsbeschädigten Archivs in Dahlem durch marodierende Rotarmisten wurde viel zerstört.

Bildquelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2000
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