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Hans-Peter Doege
Vorkämpferin für die Frauenemanzipation

Die Schriftstellerin Hedwig Dohm (1831—1919)

Hedwig Dohm wurde am 29. September 1831 als Tochter des Zigarettenfabrikanten Gustav Adolph Schlesinger in Berlin geboren. Dieser war 1817 zum evangelischen Glauben übergetreten und ließ seinen ihm zu jüdisch klingenden Familiennamen in Schleh umändern. Er heiratete eine christliche Frau und zog sich damit den Zorn des Vaters zu, der ihm diesen Schritt bis zu seinem Tode nicht verzieh.
     Hedwig war das dritte Kind und erste Mädchen der Familie Schleh. Sie hatte 17 Geschwister, von denen zwei starben. Bis zu ihrem sechsten Lebensjahr wohnte sie in einem Häuschen mit großem Garten am Landwehrkanal. Später zog die Familie in die Friedrichstraße 235.
     Obwohl der Vater als Fabrikant über ein beachtliches Vermögen verfügte, lebte die Familie wegen der großen Kinderzahl in relativ beengten finanziellen Verhältnissen, doch wie alle wohlhabenden Berliner Familien dieser Zeit leistete man sich einige Jahre den Luxus eines Sommerhäuschens im Tiergarten.


Schriftstellerin Hedwig Dohm

Hedwig wuchs in einer Atmosphäre von Kleinbürgerlichkeit einerseits und Unkonventionalität andererseits auf. Der Vater war den ganzen Tag in seiner Fabrik und erschien eigentlich nur sonntags im Kreis der Familie, während ihre Mutter so gar nicht in das Bild der züchtigen Hausfrau paßte.
     Sie redete, »wie ihr der Schnabel gewachsen war«, und setzte sich über alle Maßstäbe der damaligen Zeit hinweg,

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gleichzeitig aber führte sie, ihrem Naturell widersprechend, ein rigoroses Regiment im Haus. Sie war sehr aufbrausend, und da Hedwig das ganze Gegenteil der Mutter war, durchlebte sie eine nicht sehr schöne Kindheit.
     Sie nannte sich selbst ein »leidenschaftlich unglückliches Kind, ein verkanntes, ein Kind ohne Mutterliebe«, und flüchtete sich in ihre Träume und Phantasien. Sie las im stillen Kämmerlein all die herrlichen Bücher, die ihr als Mädchen verboten waren, und wollte schon als Mädchen ebensolche Werke verfassen.
     Ein anderer Umstand ihres traurigen Daseins war der, daß man ihr eine qualifizierte Ausbildung vorenthielt. Sie hatte sich als Mädchen durch Hausarbeit auf ihre spätere Verwendung als Gemahlin eines honorigen Gatten vorzubereiten. Dafür durfte sie täglich stundenlang nervtötende Nähund Stickereiarbeiten verrichten. Als Bildungsersatz wurden ihr aber Klavierunterricht und Zeichenstunden angeboten, und als Krönung stellte man Hedwig den Besuch des Lehrerinnenseminars in Aussicht.
     Eine ihr späteres Leben prägende Erfahrung bildeten die Unruhen des März 1848. Da in ihrer Familie der Politik keine Beachtung geschenkt wurde, war diese Erfahrung gesellschaftlicher Wirklichkeit für das behütete Mädchen wie ein Sprung ins kalte Wasser. Zum erstenmal wurde sie mit Begriffen wie Freiheit und Demokratie konfrontiert.
     Kurz bevor sie im Jahre 1853 heiratete und
das Lehrerinnenseminar aufsuchte, trat sie eine sechsmonatige Reise nach Südspanien an. Zurückgekehrt, begann sie mit der Ausbildung am Lehrerinnenseminar. Sie sah darin eine Gelegenheit, der verhaßten Hausarbeit zu entkommen. Das Seminar bildete damals für Frauen eine der wenigen Möglichkeiten, überhaupt eine eigenständige Berufsausbildung zu bekommen. Sie war allerdings der Meinung, daß die Qualität der Ausbildung katastrophal und alles andere als gediegen war.
     Diese Schule besuchte sie ein Jahr, und als sie ihr Examen in der Tasche hatte, heiratete sie Friedrich Wilhelm Ernst Dohm.
     Er wurde 1819 in Breslau geboren. In Halle studierte er Philosophie und Theologie und war danach eine Zeitlang Wanderprediger und Hauslehrer in Berlin. Wie Hedwig kam auch er aus einer zum evangelischen Glauben übergetretenen jüdischen Familie. Im Frühjahr 1848 entstand unter Leitung Ernst Dohms das Satireblatt »Kladderadatsch«, dem er bis zu seinem Tode 1883 als Chefredakteur vorstand. Während er sich in den Märztagen 1848 aktiv in der demokratischen Bewegung betätigte, wurde Ernst Dohm später, wie mancher Achtundvierziger, zum glühenden Bismarckverehrer und Nationalisten. Trotz dieses Gesinnungswandels behielt er seine freisinnige Haltung, welche ihm, vermutlich auch seines Blättchens wegen, des öfteren Schwierigkeiten mit der preußischen Regierungspolitik einbrachte.
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Um 1865 bezog das Ehepaar Dohm eine Wohnung in der Potsdamer Str. 27 a. Sie schlossen sich der zu dieser Zeit bestehenden Mode an und unterhielten einen der letzten großen literarischen Salons Berlins. Immer am Montag traf sich hier eine interessante, gemischte Gesellschaft. Gäste wie Hermann Fürst von Pückler-Muskau (1785-1871), Alexander von Humboldt (1769-1859), Theodor Fontane (1819-1898), Fanny Lewald (1811-1889), Franz Liszt (1811-1886) waren hier ebenso Gast wie der Arbeiterführer Ferdinand Lassalle (1825-1864).
     Da man ja weiß, wie die Rolle der »züchtigen Hausfrau« in solchem Rahmen auszusehen hatte, repräsentieren, charmant sein und geistreiche Konversation zum Wohle des Gatten zu führen, wird sie sicher mit diesem Zirkel keine besonders große Freude gehabt haben. Der einzige, mit dem sie näheren Kontakt hielt, war Ferdinand Lassalle, und es wurde sogar von einer Liebesbeziehung gemunkelt. Aber es war kein Wunder bei der Lebensart ihres Gatten, seiner Vergnügungssucht, seiner Spielleidenschaft. Für Hedwig Dohm war auch seine Neigung zu Ausschweifung und Verschwendung eine schwere Belastung.
     Trotzdem bemühte sie sich, das von ihr eigentlich gehaßte Leben einer »anständigen« Hausfrau und Mutter zu führen. Sie widmete sich der verabscheuten Hausarbeit, nähte, stickte und brachte nebenbei in wenigen Jahren fünf Kinder zur Welt.
Ihr Sohn starb schon wenige Jahre nach der Geburt, und ihm folgten die Töchter Hedwig, Else, Maria und Eva. Sie mußte immer große Schmerzen bei ihren Schwangerschaften aushalten und versuchte sich davon abzulenken. Sie begann also zu schreiben. Offensichtlich kamen ihr ihre Sprachkenntnisse aus der Spanienreise zugute, denn als erstes begann sie damit, spanische Verse ins Deutsche zu übersetzen, und 1867 wurde ihr erstes eigenes Werk herausgebracht, das die Geschichte der spanischen Literatur behandelte.
     Jetzt setzte langsam die Bewegung zur Gleichberechtigung der Frau ein, und Hedwig Dohm glaubte, ein Ziel für ihre literarischen Ergüsse gefunden zu haben. Die erste Broschüre zur Frauenemanzipation war eine Streitschrift und trug den Titel: »Was die Pastoren von den Frauen denken«. Sie wurde 1872 veröffentlicht, und in den nächsten Jahren folgten weitere. Als ihr Mann 1883 starb, erfuhr ihre schriftstellerische Tätigkeit eine starke Steigerung.
     Hedwig Dohm veröffentlichte nun Schriften aller Coleur, in denen sie immer dasselbe Ziel verfolgte: Frauenwahlrecht, ökonomische Unabhängigkeit und rechtliche Gleichstellung der Frauen. In ihren Publikationen trat sie fast kriegerisch gegen die Befürworter des altväterlichen »Herrenrechts« auf, kämpfte für eine Veränderung der Geschlechterbeziehungen und die gemeinschaftliche Erziehung von Jungen und Mädchen in gemeinsamen Schulen.
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Mit spitzer Feder, oft auch sehr bissig, führte sie ihre Angriffe, und die meisten ihrer Attacken lesen sich auch heute noch mit Genuß.
     Politisch gesehen war Hedwig eine Sozialistin, aber organisiert scheint sie nicht gewesen zu sein. Da sie ja eher als introvertiert zu bezeichnen ist und auch größere Menschenansammlungen ihr Angst machten, dürfte die praktische Politik ihr auch nicht gelegen haben.
     Daher beschränkte sich auch ihre Mitarbeit in den verschiedenen Frauenorganisationen auf schriftliche oder persönliche Kontakte, die allerdings sehr zahlreich waren. Unter anderen verkehrte sie mit Minna Cauer (1842-1922), Lily Braun (1865-1916, BM 6/96) und Helene Lange (1848-1930, BM 10/96). Sie schrieb für die Frauenbewegung viele Schriften.
     Für Hedwig Dohm schien Schreiben der einzige Weg gewesen zu sein, ihre Wünsche in die Tat umzusetzen, denn sie war nach wie vor mit sich selbst unzufrieden, weil sie eigentlich in ihrem täglichen Leben genau das Gegenteil von dem tat, wofür sie stritt.
     Als ihr Mann gestorben war, zog Hedwig Dohm noch zweimal um, bevor sie, fast siebzigjährig, zu ihrer Tochter Else und deren Mann, dem Bankdirektor Rosenberg, in die Tiergartenstraße 19 zog. Auf Grund ihres Alters ging sie nur noch selten aus dem Haus, dafür kamen aber viele alte Freunde und Kampfgefährten zu ihr.
Sie blieb bis zu ihrem Tode der Frauenbewegung verbunden, bezog aber auch Position zu den aktuellen Auseinandersetzungen ihrer Zeit wie z. B. gegen den Krieg. Auch die Forderung nach dem Wahlrecht für Frauen verfolgte sie hartnäckig, und kurz vor ihrem Tode, 1919, erlebte sie noch deren Verwirklichung.
     Als Hedwig Dohm anfing zu schreiben, hatte man über ihre Pamphlete gelacht und sie sogar teilweise bekämpft. Jetzt, da die Frauenbewegung immer stärker wurde, nahm sie diese Ideen und Forderungen in ihr Programm auf, und Hedwig Dohm erfuhr die ihr zustehende Würdigung als eine der Vorkämpferinnen für die Bewegung.
     Zeitgleich stellte Hedwig Dohm fest, daß ein Teil ihrer Familie, so z. B. die Rosenbergs, bei denen sie wohnte, sie zu einer versponnenen, exzentrischen Alten abstempelte.
     Sie mußte mit Enttäuschung zusehen, wie ihre Enkeltochter Katia Pringsheim ihre Ideale mit Füßen trat. Diese brach nach ihrer Eheschließung das Jurastudium ab und führte ein Hausfrauendasein an der Seite des Schriftstellers Thomas Mann (1875-1955). Ihr am ähnlichsten war wohl die dritte Tochter Maria. Diese arbeitete als Dolmetscherin, Übersetzerin und Korrepetitorin und war mit dem italienischen Journalisten Ernesto Gagliardi verheiratet. Hedwig Dohm starb am 1. Juni 1919 im Alter von 87 Jahren an einer Lungenentzündung. Sie wurde am 11. Juni auf dem Kirchhof der Tiergartener St.-Matthäus- Gemeinde in Schöneberg beigesetzt.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 2/2000
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