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Kurt Wernicke
14. Februar 1810:
Burgstraße 19 - eine Adresse für militärische Weiterbildung

Der 14. Februar war für die Geschichte der ehemaligen Berliner militärischen Bildungseinrichtungen ein markierter Tag im Kalender: Im Jahre 1810 wurde ein Offizier zum Chef des Büros des Leiters des Allgemeinen Kriegsdepartements ernannt, dessen erste Aufgabe die unmittelbare Vorbereitung des Lehrbetriebs einer wiederzugründenden Militärakademie war.
     Doch zuerst die Vorgeschichte.
     Die furchtbaren Verluste des preußischen Militärs im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) hatten natürlich auch das Offizierskorps betroffen, und blutjunger Nachwuchs hatte den Abgang der älteren Kader ersetzen müssen. So befahl Friedrich II. (1712-1786, König ab 1740) gleich nach dem Friedensschluß die Einrichtung militärischer Bildungsanstalten zur Heranziehung junger Adliger (Friedrich konnte sich nichtadlige Offiziere nur in Ausnahmefällen vorstellen) zu Truppenführern. Als vornehmste dieser Bildungseinrichtungen entstand 1765 die »Academie militaire«,

in die man schon 12jährig eintrat, um zum Stabsoffizier geformt zu werden. Sie nahm ihren Sitz in Berlin, Burgstr. 19. Ihr trat, nachdem schon 1788 eine Ingenieurakademie ihre Arbeit in Potsdam aufgenommen hatte, 1791 eine Artillerieakademie an die Seite, in der u. a. - undenkbar zu Zeiten des »Alten Fritz« - auch altgediente Unteroffiziere zu Offizieren weitergebildet werden konnten. Die 1792-1795 im Kriege gegen das revolutionäre Frankreich gewonnenen Erfahrungen ließen es beim militärverliebten Friedrich Wilhelm III. (1770-1840, König ab 1797) dämmern, daß auch die unteren Truppenführer etwas mehr Ahnung von Topographie, Kartenzeichnen und Erdformationen haben müßten, als gemeinhin an den Kadettenschulen vermittelt wurde. So wurde die »Academie militaire« 1801 umgebildet zur »Lehranstalt für jüngere Infanterie- und Kavallerie-Offiziere in den militärischen Wissenschaften zu Berlin«, bei der nun bereits aktive geistig bewegliche junge Offiziere eine Theorieausbildung erhielten. Stellvertretender - aber eigentlich leitender - Direktor wurde ein kurz vorher vom hannöverschen zum preußischen Militär übergewechselter früherer Lehrer an der hannöverschen Artillerieschule, Gerhard David Scharnhorst (1755-1813), ein niedersächsischer Bauernsohn, der dann 1802, um in seiner Funktion standesgemäß auftreten zu können, mit dem preußischen Adel geschmückt wurde. Seine noch 1801 beim König eingereichten drei
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Denkschriften zur Reformierung der preußischen Armee, in denen er u. a. die Allgemeine Wehrpflicht vorschlug, bewirkten allerdings außer einigen gnädigen Worten kaum etwas. Zu dem Wenigen, das selbst den König überzeugte, gehörte die Umwandlung der Berliner Lehranstalt in der Burgstraße zu einer Akademie für junge Offiziere, die 1804 ins Leben trat und verbreitet »Allgemeine Kriegsschule« genannt wurde: An ihr wurden aus den Berliner und Potsdamer Regimentern delegierte Offiziere (1804 waren das 31) zusammen mit 20 Abgesandten von Regimentern aus der »Provinz« in Strategie, Taktik, Kriegsgeschichte und - man staune! - Truppenführung unterrichtet. Scharnhorst, inzwischen auch in den preußischen Generalstab berufen, wurde der Direktor dieser neuen Akademie.
     Bei Beginn des Krieges gegen Napoleon im Spätsommer 1806 leerte sich natürlich die Akademie, und nach dem Tilsiter Frieden verbot sich ihre Wiederherstellung in Berlin schon deshalb, weil Berlin weiterhin von den Franzosen besetzt blieb. Aber auch insgesamt existierte für ihre Neuinstallierung keine günstige Atmosphäre: Die seit Herbst 1807 unter Scharnhorst tätige Militär- Reorganisations- Kommission krempelte die gesamte Armee um und stellte Details für später zurück. Nichtsdestoweniger arbeitete Scharnhorst persönlich ein Konzept für das wieder zu installierende Militär- Bildungswesen aus:
Es sah auf unterster Stufe die traditionellen Kadettenanstalten vor, wollte eine Weiterbildung für Unteroffiziersdienstgrade einführen und an der Spitze der Pyramide die 1806 bestanden habenden drei »Akademien« für Ingenieurwesen, Artillerie und Infanterie/ Kavallerie zu einer Allgemeinen Kriegsschule zusammenlegen. 1808 zum Chef des Allgemeinen Kriegsdepartements (dem Vorläufer des Kriegsministeriums) berufen, konnte Scharnhorst den König nach dem im Dezember 1808 erfolgten Abzug der Franzosen aus Berlin dazu bewegen, eine Wiedergründung der Berliner Militärakademie in Angriff zu nehmen. Am 8. September 1809 erhielt Scharnhorst die Order, den Plan für eine neue »Allgemeine Kriegsschule« vorzulegen, die nach dem für Ende 1809 vorgesehenen Wiedereinzug von Hof und Regierung in Berlin (er fand dann am 23. Dezember statt) dort wieder in Frage käme.
     Diesen Organisationsplan arbeitete nun nicht Scharnhorst selbst aus, sondern ein junger Offizier, der ihm im Studienjahr 1804/05 an der damaligen Akademie als besonders begabt aufgefallen war: Karl v. Clausewitz (1781-1831). Ihn hatte er schon im Februar 1809 in sein Allgemeines Kriegsdepartement berufen, jetzt machte er ihn zum Chef seines Büros. Die Berufungsurkunde datiert vom 14. Februar 1810, und da es Clausewitz' erste Aufgabe war, den Organisationsplan für die neue Akademie auszuarbeiten,
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kann man - bei weitherziger Auslegung - diesen Tag als das Datum ansetzen, an dem die Allgemeine Kriegsschule gezeugt wurde. Ins Leben trat sie - nach königlicher Bestätigung des am 8. April vorgelegten Organisationsplanes - jedenfalls erst am 15. Oktober 1810, und zwar an ihrem alten Ort, Burgstr. 19, und wohl absichtlich zu genau demselben Datum, zu dem auch die Eröffnung der Berliner Universität festgelegt worden war. Unter der an diesem Tage eingeführten Lehrerschaft befand sich auch Clausewitz.
     Die offiziell »Allgemeine Kriegsschule« benannte Institution war in zwei Klassen gegliedert, deren erste ein Jahr währte und Fähnriche (Offiziersanwärter) auf die Offiziersprüfung vorbereitete. Die zweite Klasse war auf drei Jahre bemessen und der Weiterbildung von Truppenoffizieren zu Stabsoffizieren gewidmet. Geradezu revolutionär wirkte die Festlegung, daß man zur Aufnahme in die zweite Klasse eine schriftliche Aufnahmeprüfung bestehen mußte. In der altpreußischen Armee wäre es undenkbar gewesen, einen aktiven Offizier der Gefahr auszusetzen, durch den schriftlichen Nachweis eines Nicht-Bestehens im Examen seine Autorität vor der Truppe einzubüßen (Scharnhorst hatte allerdings 1802 dem König für die »Lehranstalt« Bewerbungscolloquien abgetrotzt). Die besten Absolventen der zweiten Klasse wollte Scharnhorst zu Adjutanten bei den Festungsgouverneuren
und den Brigade- (Provinzkorps-) Kommandeuren machen, um der traditionellen Praxis, daß sich der Kommandeur seinen Adjutanten nach seinem Gusto aussuchte und ihn so mehr an die Person denn an die Pflichten der Funktion band, ein Ende zu bereiten.
     Jedoch erlebte Scharnhorst, der im Juni 1813 an den Folgen einer vernachlässigten Verwundung starb, die Umsetzung dieses Vorhabens nicht mehr. Die zweite Klasse mit ihren 85 Teilnehmern hatte erst die Hälfte des ersten Dreijahreskurses absolviert, als Friedrich Wilhelm III. am 3. März 1812 einen im Vorfeld des napoleonischen Angriffs auf Rußland dem preußischen Gesandten in Paris von Napoleon diktierten französisch- preußischen Beistandspakt ratifizierte. Das implizierte, in nächster Zukunft für Napoleon die Waffen führen zu müssen, was viele preußische Militärs in Gewissensqualen stürzte. In der zweiten Klasse der Allgemeinen Kriegsschule, wo eine Art intellektueller Elite von Truppenoffizieren versammelt war, grummelte es derart deutlich, daß der König vermeiden wollte, daß dort en masse Beispiele für das Überwechseln in andere Armeen - d. h. in die russische oder englische - geschaffen würden. Am 19. März wies daher Friedrich Wilhelm III. den mit der Aufsicht über alle Kriegsschulen betrauten Scharnhorst an, einer dort drohenden Demonstration entgegenzutreten: »Ohngeachtet Ich bereits durch die
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Ansicht der Burgstraße. Rechts von der Brücke die Allgemeine Kriegsschule
am 12. August vorigen Jahres ... erlassene Order befohlen habe, daß den auf der Kriegsschule befindlichen Offizieren nicht erlaubt sein soll, ihre Entlassung aus Meinem Dienste im Laufe des Lehrkursus der Schule nachzusuchen, jeder dieser Offiziere vielmehr verpflichtet sein soll, wenigstens noch einige Jahre nach Vollendung ihrer militärischen Ausbildung fortzudienen, so sind seitdem dennoch verschiedene Gesuche dieser Art eingegangen. Ich trage daher Ihnen hierdurch auf, nicht nur besagten Befehl den an dem Unterrichte der Kriegsschule Teil nehmenden Offizieren zur genauen Befolgung wiederholend bekannt zu machen, sondern auch für die Zukunft von jedem Offizier, der sich zur Kriegsschule meldet, vor seiner Aufnahme schriftlich die Erklärung abgeben zu lassen, daß er wenigstens bis einige Jahre nach Vollendung seiner Bildung auf der Schule in meinem Dienste bleiben will, und diese Erklärung demnächst Mir einzureichen.«1) Aber des Dozenten Clausewitz' offen kolportierte Absicht,
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baldmöglichst den Dienst in Preußen zu quittieren (er wechselte dann Ende April ohne Umschweife direkt in die russische Armee), löste bei König und Hofkreisen offenbar Alarm aus, denn man schien zu befürchten, daß an der Allgemeinen Kriegsschule das Zentrum für eine Offiziersfronde erstehen könne. Auf Veranlassung des Königs wurden am 24. März die Teilnehmer der zweiten Klasse zu ihren Regimentern zurückbefohlen. Am 18. Januar 1813 wurde nach Absolvierung des Ein-Jahres- Kurses 1812 auch die erste Klasse geschlossen.
     Im Befreiungskrieg 1813/14 bewährten sich die Eleven der geschlossenen, aber nicht aufgehobenen Allgemeinen Kriegsschule hervorragend. Am 4. September 1815 wurde die Bildungseinrichtung am traditionellen Ort wieder eröffnet; allerdings war die Ausbildung für Artillerieoffiziere nun abgezweigt worden - für sie und die Ausbildung von Militäringenieuren wurde im Juni 1816 in Berlin die Vereinigte Artillerie- und Ingenieur- Schule begründet, die wenig später ihren Sitz Unter den Linden 74 nahm.
Die zum 1. Oktober 1859 in Kriegsakademie umbenannte Allgemeine Kriegsschule bereitete sich nach 1875 auf das Verlassen des baufällig gewordenen Gebäudes Burgstraße 19 und den Umzug in den Neubau Dorotheenstraße 58/59 an der Ecke Neue Wilhelmstraße vor, dessen Eröffnung am 8.Januar 1883 stattfand. Der Gebäudekomplex fiel dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer, nachdem die Kriegsakademie schon durch den Versailler Frieden ihr Ende gefunden hatte. Eine 1935 erstandene Nachfolgeorganisation gleichen Namens, die in der Moabiter Kruppstraße ihr Quartier fand, verdankte ihr Entstehen dem NS-Regime und wurde natürlich in den Strudel von dessen Untergang mitgerissen.

Quelle:
1 Kurt v. Priesdorff, Soldatisches Heldentum, Bd. 3, Hamburg o. J. (1937), S. 236

Bildquelle: Stadtmuseum Berlin

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 2/2000
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