60   Berlin im Detail Baum des Jahres  Nächste Seite
Hainer Weißpflug
Die Wildbirne war Baum des Jahres

Die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald wählt zusammen mit anderen Natur- und Umweltschutzverbänden seit 1989 alljährlich eine besonders gefährdete, oft in Vergessenheit geratene Art als Baum des Jahres aus: dieses Mal die Wildbirne (Pyrus pyraster). Zu finden ist sie in den gemäßigten Klimazonen Europas und Westasiens. Auch in Deutschlands Wäldern und auf Fluren war der bis 20 Meter hohe Baum ursprünglich heimisch. In der Vergangenheit war der langlebige und starke Baum vor allem in den Mischwäldern weit verbreitet. Im Herbst fällt er besonders durch seine intensiven roten,

Zweig mit Blättern, Blüten und Dornen
violetten und gelben Blattfärbungen auf; dieser Anblick ist heute allerdings selten geworden.
     Wie bereits bei den in den Vorjahren ausgewählten Baumarten machte das Kuratorium »Baum des Jahres« darauf aufmerksam, daß die Vorkommen der Wildbirne stark gefährdet sind, da andere Holzarten die lichtliebende Art verdrängen. (In Niedersachsen und Schleswig- Holstein mußte sie schon auf die Liste der gefährdeten Pflanzen
gesetzt werden.) In der Begründung seiner Wahl wird zudem der ökologische Wert der Wildbirne hervorgehoben: Ihre nicht birnenförmigen, sondern kleinen, fleischigen und langgestielten Früchte dienen als Nahrung für Vögel und Insekten. Die Sicherung der Wildbirnenbestände bzw. die Erneuerung derselben reiht sich somit ein in die Bemühungen um den Artenschutz.
SeitenanfangNächste Seite


   61   Berlin im Detail Baum des Jahres  Vorige SeiteNächste Seite
Und sie schafft auch Voraussetzungen für die Erneuerung der vom Menschen veredelten und gezüchteten Birnensorten und -arten, denn schließlich handelt es sich um eine von fünf wilden Birnenarten, aus denen die Kulturbirne herausgezüchtet wurde.
     Die Wildbirne ist der nunmehr zehnte Baum des Jahres. In den vergangenen Jahren waren es die Eiche, die Buche, die Linde, die Ulme, der Speierling, die Eibe, der Ahorn, die Hainbuche und die Eberesche. Der Aktionskünstler und Umweltschützer Ben Wagin nahm die Entscheidung über den Baum des Jahres 1998 zum Anlaß, auf dem Freigelände des Technischen Museums in Kreuzberg je einen Setzling der zehn Jahresbäume zu pflanzen. Obligatorisch pflanzte er auch zwei Ginkgobäume – eine Baumart, die schon seit Jahrzehnten Symbol der Waginschen Aktionen für den Naturschutz ist. An einem Weg auf dem Freigelände neben den Gleisanlagen des Museums findet man die noch jungen Bäume. Vorgesehen ist, vor jeden Baum einen Findling aus Wagins Sammlung zu legen, auf dem der Name des jeweiligen Baumes stehen soll. Wagins Aktion gehörte zu einer Vielzahl landesweiter Pflanzaktionen – insbesondere aber in Berlin und Bran-
denburg – im Frühjahr dieses Jahres. Sollten sie ebenso wirkungsvoll sein, wie das beim Speierling und der Vogelbeere der Fall war, dann war die Ernennung der Wildbirne zum Baum des Jahres ein Erfolg.

Wildbirne

SeitenanfangNächste Seite


   62   Berlin im Detail Baum des Jahres  Vorige SeiteAnfang
Im Brandenburgischen finden wir auch einen der ältesten Wildbirnenstandorte. Ungefähr 50 Kilometer von Berlin entfernt, auf dem Pehlitzwerder bei Brodowin, befinden sich 14 etwa 300 Jahre alte Wildbirnenbäume mit einem Stammumfang von 2,30 bis 2,90 Metern.
     In Berlin ist der Baum sehr selten anzutreffen; ein Vertreter dieser Spezies steht auf der Pfaueninsel. Wenn der Baum auch nicht die Größe und Stärke der oben genannten auf dem Pehlitzwerder besitzt, sondern einen eher kümmerlichen Eindruck hinterläßt, so lohnt es sich für Besucher der Pfaueninsel dennoch, den Baum genauer zu betrachten. Die Wildbirne steht südlich des Vogelhauses in einem kleinen von Wegen begrenzten dreieckigen Waldstück. Da die Wege nicht verlassen werden sollen, gehört ein geübter Blick dazu, den Baum auszumachen.
     Überhaupt sollte man nicht versäumen, dem Baumbestand der Insel Aufmerksamkeit zu schenken. Insgesamt 183 Baum und Straucharten sind hier anzutreffen: Mit der Hainbuche, dem Spitzahorn, herrlichen Buchen, Ulmen, Linden und Eiben sind fast alle Bäume des Jahres – mit Ausnahme des Speierlings und der Eberesche – vertreten. Besonders hervorzuheben sind die Eichen, Baum des Jahres 1989. Eine große Zahl mächtiger und schon einige hundert Jahre alter Exemplare kann man bei einem Spaziergang auf der Insel bewundern.
(Übrigens stand hier auch die berühmte Königseiche, die die älteste Berliner Eiche gewesen sein soll.) Manche aber sind nur noch »Ruinen«, doch mit ihren mächtigen Stämmen und trockenen Ästen dienen sie immer noch vielen Insekten als Unterschlupf und bieten somit Vögeln eine Nahrungsgrundlage.
     Eine der Wildbirne verwandte Art, die Gemeine Birne (Gyrus communis), steht in einer Wohnanlage in der Triftstraße im Weißenseer Ortsteil Blankenburg. Dieser 16 Meter hohe Baum mit einem Stammumfang von 2,20 Metern und einem Kronenumfang von 15 Metern war bis 1989 sogar als Naturdenkmal geschützt. Obwohl vom Naturschutz- und Grünflächenamt Weißensee als schützenswert eingeschätzt, wurde der ansehnliche Baum nicht in die Liste der Naturdenkmale (die Zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung zum Schutz von Naturdenkmalen in Berlin vom 12. Mai 1997 erfaßt alle als Naturdenkmale geschützten Bäume Berlins) aufgenommen. Vielleicht ist die Ernennung der Wildbirne zum diesjährigen Baum des Jahres Anlaß, diese Entscheidung nochmals zu überdenken.

Bildquelle:
Zeichnung: Autor

SeitenanfangAnfang

© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de