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Hellmut Lorenz (Hrsg.)
Berliner Baukunst der Barockzeit

Die Zeichnungen und Notizen aus dem Reisetagebuch des Architekten Christoph Pitzler

Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1998

Vor 300Jahren besuchte der herzoglich sachsenweißenfelsische Architekt Christoph Pitzler (1657–1707) verschiedene europäische Staaten. Seine über eintausend Seiten umfassende »Reysebeschreibung durch Teutschland, Holland, Spanische Niederlande, Franck-Reich und Italien« enthält auch aufschlußreiche Eintragungen und Zeichnungen von Inspektionen, die der 1657 in Freyburg an der Unstrut geborene Pitzler Berlin, Potsdam, Caputh, Charlottenburg, Köpenick, Oranienburg und anderen Orten der Kurmark abstattete.
     Die Beschreibungen und Skizzen vermitteln nicht nur ein anschauliches Bild von der Blüte barocker Baukunst unter dem brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III., seit 1701 König Friedrich I. Sie holen auch einen wenig bekannten Schloßbaumeister im heutigen Land Sachsen-Anhalt aus der Versenkung. Bildungsreisen durch verschiedene Länder, vermutlich finanziert von Herzog Johann Adolf I. von Sachsen-Weißenfels, lieferten Anregungen für Bauten in den sächsischen Fürstentümern. Pitzler war am Bau des Schlosses, des Reithauses und des Schloßgartens zu Weißenfels sowie des Jagdhauses Friedenthal östlich von Freyburg, ferner des Schlosses zu Barby und anderer Zeugnisse barocker Hofarchitektur beteiligt.
     Eine Berufung an die Seite von Schlüter und Eosander nach Berlin, das sich als königliche Haupt- und Residenzstadt gerade im Aufwind befand, kam aus Krankheitsgründen nicht zustande. Wenigstens

aber wurde Pitzler kurz vor seinem Tod wegen seiner vielfältigen Tätigkeiten für die preußische Bauverwaltung zum Baumeister im damals preußischen Herzogtum Magdeburg ernannt und am 28.April 1707 als »Königl. Preuß. Baumeister« in Halle an der Saale bestattet, das damals gleichfalls zum Hohenzollernreich gehörte.
     Das der Technischen Universität Berlin gehörende Original des ungewöhnlichen Reisetagebuchs verbrannte am Ende des Zweiten Weltkriegs, doch blieben dank glücklicher Umstände alte Reproduktionen erhalten, die für eine Edition im Hohenzollern-Jahrbuch angefertigt worden waren.
     Die jetzt realisierte Edition, 80 Jahre nach jenem ersten Veröffentlichungsplan, ist Margarete Kühn gewidmet. Die langjährige Direktorin der Berliner Schlösserverwaltung hatte stets auf den hohen Quellenwert der nur gelegentlich in der Fachliteratur erwähnten Pitzlerschen Aufzeichnungen hingewiesen. Kurz vor ihrem Tod im Jahr 1995 übergab sie das von ihr gesammelte Material den Bearbeitern Martin Engel, Hellmut Lorenz, Melanie Mertens, Edzard Rust und Christiane Salge mit der Bitte, es zu veröffentlichen. Das war leichter gesagt als getan, denn die verstreut in Potsdamer und Berliner Plankammern und Nachlässen liegenden Aufzeichnungen über die von Pitzler erwähnten 35 Bauten mußten zusammengefaßt und für heutige Leser aufbereitet, die Handschrift transkribiert und kommentiert werden. Darin liegt der besondere wissenschaftliche Wert für die kunst- und architekturhistorische Forschung.
     Das Buch lädt ein zu Besuchen auf kurfürstlich-königliche Baustellen, es zeigt, nach welchem Schema Adelspalais und Bürgerhäuser konstruiert wurden, welchen Fassadenschmuck sie besaßen und welche herausragenden Ausstattungsstücke in Kirchen zu finden waren.
     Sollte je das Berliner Schloß, genauer gesagt seine Fassade, wiederaufgebaut werden, wird man sicher neben anderen Quellen auch die erst jetzt durch die
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vorliegende Edition weithin bekannt gemachten Zeichnungen und Kommentare des Christoph Pitzler als Grundlage praktischer Bau- und Bildhauerarbeit nutzen. Allerdings versagt der Architekt als Quelle für einen anderen, ebenfalls in der Diskussion befindlichen Plan – die Rekonstruktion des Fortunaportals des Potsdamer Stadtschlosses. Denn Pitzler erlebte den kurfürstlichen Palast im August 1695, wenige Jahre vor der Errichtung von Jean de Bodts Fortunaportal. Für das ebenso ehrgeizige wie umstrittene Wiederaufbauvorhaben muß man daher andere Aufzeichnungen und Bilder bemühen. Dessenungeachtet aber helfen die Aufzeichnungen des viel in der Welt herumgekommenen Pitzler, einige baukünstlerische Details des Berliner und des Potsdamer Stadtschlosses näher kennenzulernen und auch das Lebensgefühl der Untertanen Friedrichs III./I. nachzuempfinden.
Helmut Caspar

 

Eberhard Knobloch
Mathematik an der Technischen Hochschule und der Technischen Universität Berlin. 1770–1988

Verlag für Wissenschafts- und Regionalgeschichte, Dr. Michael Engel, Berlin 1998

Für die Geschichte der Mathematik im Berliner Raum lag bisher das umfangreiche Werk von Kurt R. Biermann vor: »Die Mathematik und ihre Dozenten an der Berliner Universität. 1810–1933. Stationen

auf dem Wege eines mathematischen Zentrums von Weltgeltung«, Berlin, Akademie-Verlag, 1988; eine erste Auflage erschien 1973. Es schildert die Entwicklung der Berliner Mathematik an Hand der Professoren, Dozenten, Assistenten und Promovenden an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, der heutigen Humboldt-Universität, zwischen der Eröffnung der Universität und der Zerstörung der angesehenen Berliner Mathematik durch die Nazis ab 1933.
     Kenner der Berliner Wissenschaftsgeschichte wissen, daß auch an der 1879 gegründeten Technischen Hochschule (TH) Charlottenburg, der heutigen Technischen Universität (TU), bedeutende Mathematiker tätig waren, einige vor ihrer Berufung an die Berliner Universität.
     Eberhard Knobloch, Mathematikhistoriker an der TU Berlin, hat seit Jahren verschiedene Artikel zur Geschichte der Mathematik bzw. der Mathematiker an der TH/TU verfaßt, darunter 1989 in einem in New York edierten Band.
     In dem vorliegenden Buch gibt Eberhard Knobloch einen systematischen Überblick über das Wirken der Mathematiker an der TH bzw. der TU sowie an den Vorgänger-Institutionen der TH, der Berg-, Bau- und Gewerbeakademie. Damit umspannt er den Zeitraum von 1770, als an der Bergakademie die ersten Mathematiker tätig waren, bis 1988. Dem Überblickscharakter trägt Rechnung, daß in insgesamt sechs Tabellen das zuvor Skizzierte zusammenhängend dargestellt wird (S. 61–66).
     Knobloch stellt im einzelnen die Mathematikdozenten an der Bergakademie von 1770 bis 1916 vor, sodann die Mathematikdozenten an der Bauakademie von 1799 bis 1879 und die Mathematikdozenten an der Gewerbeakademie von 1821 bis 1879. Für die TH bzw. die TU behandelt er die Inhaber der Lehrstühle für die mathematischen Gebiete Geometrie, Mathematik und verwandte Gebiete und stellt sie in drei Übersichten für den Zeitraum von 1879 bis 1990 zusammen (Tafel 4 bis Tafel 6, S.64–66).
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     Der Mathematikhistoriker wird hier so bekannte Mathematiker finden wie Paul du Bois-Reymond (1831–1889), die Weierstraß-Schüler Emil Lampe (1840–1918) und Georg Hettner (1854–1914) oder Georg Hamel (1877–1954). Aber er wird auch viele bisher wenig beachtete Mathematiker kennenlernen.
     Das Buch enthält außerdem ein Verzeichnis der Promotionen und Habilitationen an der TH/TU (S.83–116). Die Habilitationen wurden von 1864 bis 1987 zusammengestellt. Die TH hatte erst 1924 das Recht erhalten, den Doktorgrad in den »allgemeinen Wissenschaften«, darunter in der Mathematik, zu verleihen. Die zuvor vereinzelt abgeschlossenen Dissertationen zu mathematischen Themen wurden aber hier mit aufgenommen, so daß die Übersicht den Zeitraum von 1902 bis 1987 behandelt.
     Wer in dieser Übersicht über die Habilitationen und die Dissertationen die Frauen sucht, entdeckt Überraschendes und wenig Erfreuliches. Die erste Habilitation einer Frau erfolgte 1987 – Christine Keitel-Kreidt habilitierte sich mit »Didaktik der Mathematik«. Zum Vergleich sei daran erinnert, daß sich an der Berliner Universität – exakt 60Jahre zuvor – 1927 Hilda Pollaczek-Geiringer (1893–1973) für »Angewandte Mathematik« habilitierte. Sie gehörte zu den 1933 von den Nazis Vertriebenen und zu den bisher eher Vergessenen.
     Die erste Promotion einer Frau in Mathematik erfolgte an der Berliner Universität – verglichen mit anderen – relativ spät, erst 1922 promovierte Dora Prölss (1889–1943) mit einer algebraischen Arbeit bei Issai Schur (1875–1941) und Erhard Schmidt (1876–1959). Von 1922 bis 1945 promovierten im Fach Mathematik insgesamt neun Frauen an der Universität, aber nur zwei (1928 Dora Wehage und 1942 Gertrud Kotowski) an der Technischen Hochschule, und von 1928 bis 1987 promovierten nur elf Frauen an der TH/TU.
     Das Buch schließt eine empfindliche Lücke bei
der Behandlung der Mathematikgeschichte im Berliner Raum. Es bietet dem an der Wissenschaftsgeschichte Interessierten einen anschaulichen Überblick über die Mathematiker, über ihr Wirken an der TH/TU, über ihre Promovenden und Habilitanden. Für Fachleute ist es ein unverzichtbares Nachschlagewerk.
     Wieder einmal ist dem kleinen Berliner Verlag für Wissenschafts- und Regionalgeschichte von Dr. Michael Engel und seiner Frau Brita zu danken, die die Endredaktion des Manuskripts besorgten und diese Publikation ermöglichten.
Annette Vogt

 

Laurenz Demps
Die Oranienburger Straße

Von der kurfürstlichen Meierei zum modernen Stadtraum

Parthas, Berlin 1998

Der schon beachtlichen Reihe wertvoller Monographien zur Berliner Bau- und Sozialgeschichte aus seiner Feder (es sei nur an die Arbeiten zum Gendarmenmarkt und zur Wilhelmstraße erinnert) stellt der Autor einen weiteren Beweis seiner intensiven Forschungsarbeit zu Brennpunkten der Berliner Stadtentwicklung und damit zur Berlin-Geschichte an die Seite.
     Das besondere Markenzeichen Dempsscher Publikationen ist stets die geglückte Verbindung verbissener Forschungsarbeit aus den Akten mit dem Hintergrundwissen zu den detaillierten Vorgängen in Berlin, wie es dem Lehrstuhlinhaber für Berlinbrandenburgische Geschichte an der Humboldt-Universität wohl ansteht. Daß er sich bei aller Akkura-

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tesse seines Quellenstudiums in Bauakten, Grundbüchern und Plankammern nicht scheut, offene Probleme zu benennen, die selbst dieses intensive Auswerten von Archivalien nicht schlüssig zu lösen vermag, ehrt ihn; manche seiner logischen Schlußfolgerungen, mit denen er Lücken zu schließen unternahm, sind ihm zur Freude durch spätere Quellenfunde bestätigt worden und haben Zweitauflagen bereichert. Bei dem vorliegenden Band ist das auch keinesfalls ausgeschlossen: Wenn Demps – von ihm explizit bedauert – über den einen oder anderen Bauherrn nicht in der Breite Auskunft geben kann, die ihm vorschwebt, dann läßt die Kirchenbuchstelle Alt-Berlin im Evangelischen Zentralarchiv immer noch die Option auf Befriedigung kundgetanen Wissensdurstes offen . . .
     Ersten Anstoß für die Zuwendung zu dem Stadtquartier mit der zentralen Linie »Oranienburger Straße« erhielt der Verfasser durch die von zugereisten, unwissenden, aber nichtsdestoweniger eilfertigen Skribenten nach 1990 in die Welt gesetzte Legende von der Oranienburger als »geile Meile« und »Szene-Heimat« nicht nur der Gegenwart, sondern angeblich auch der Vergangenheit. Höhepunkt solcher Tatsachenverdrehung war die vom Rezensenten anläßlich einer Galerie-Eröffnung in der Auguststraße 1993 gelesene Behauptung, seit den sechziger Jahren sei die ganze Gegend um die Oranienburger Straße (zudem noch als »Scheunenviertel« verballhornt) verödet und habe erst jetzt wieder eine preisenswerte Zukunft, weil nach der Wende Hausbesetzer, Galeristen, Event-Szenaristen usw. eingesickert seien.
     Demps kam es gerade darauf an, die Oranienburger Straße mit ihrer Umgebung in jene historischen Abläufe hineinzusetzen, die aus einem Vorwerk des Hofes jenseits der Spree im Zusammenhang mit der Entwicklung der kurbrandenburgischen Hauptstadt zu einem dicht verwobenen Konglomerat von Residenz-, Gewerbe- und Militärstadt eine Adresse von einerseits höfischer Lebens-

weise machten. Die höfische Seite ist dabei natürlich in hervorragender weise durch Schloß Monbijou vertreten, dessen Bedarf an Hofschranzen und -gesinde zur Parzellierung ursprünglich zum Schloß gehörigen Territoriums führte und somit den Ausgangspunkt für die Besiedlung der gegend schuf; später kann man die dortigen Kasernenbauten unter »höfisch« subsumieren. Die bürgerliche Seite wird am allerbesten durch die Adresse Oranienburger Straße 18 repräsentiert – jenes Grundstück, auf dem sich die »Ressource« niederließ. Die ausführliche Behandlung über diesen Kreis für Geselligkeit, Unterhaltung, künstlerische Selbstbetätigung bürgerlicher bzw. verbürgerlichter Kreise ist ein kleines Kabinettstückchen für sich und bedarf gesonderter dankbarer Erwähnung.
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Zu der im 19. Jahrhundert immer ausgeprägter die Straße bestimmenden bürgerlichen Präponderanz im sozialen und kulturellen Leben gehörte auch die Neue Synagoge (mit ihrer Konsequenz der Ansiedlung weiterer jüdischer Institutionen in räumlicher Nähe) – die assimilierten Berliner Juden kultivierten geradezu mit Eifer bürgerliches Ambiente als bewußtes Zeichen gewollter Integration in die Gesellschaft der preußisch-deutschen Metropole. Von »geiler Meile« war da nichts zu spüren, sondern von Stätten des Kultus (neben der Synagoge und der »Hochschule für Wissenschaft des Judentums« das evangelische Domkandidatenstift und die anglikanische St. Georgskirche wie die vom Reformjudentum sich absetzende »Adass Jisroel«-Gemeinde), von staatlichen Institutionen für Kommunikation (Paketpostamt, Postfuhramt, Haupttelegrafenamt, Fernsprechamt), von Fachkliniken der Charité, von bürgerlicher Lebensart in Heim, Gewerbe (vielfach versteckt auf den Höfen) und Handel (pompös: Warenhaus W. Wertheim /später: Haus der Technik). Eine irgendwie geartete »Szene« fand da auch während der »goldenen Zwanziger« (die ohnehin ihren Glanz zum überwiegenden Teil der nostalgischen Verklärung ins Exil gezwungener Berliner Künstler und Intellektueller an den Tischen von Prager, Pariser, New Yorker und Tel Aviver Cafés verdanken) nicht statt.
     Es ist sehr zu begrüßen, daß Demps bei dem die Gegenwart einschätzenden Fazit seiner Darstellung keine Zukunftsvisionen malt, sondern in der Wiederherstellung der erhaltenen Gebäude in ihrer ursprünglichen Schönheit (wie sie hier und da bereits zu besichtigen ist) die beste Lösung für die städtebauliche Einpassung eines von der benachbarten Friedrichstraße so ganz verschiedenen – durchmischten – Stadtraumes sieht. Daß in Verfolg dieser Linie auch ein Ende des nun schon seit Jahren unverdient hochgestochenen »Tacheles« abzusehen ist, muß – ganz im Gegensatz zu dem, was von der Seite szeneverliebter Jung-Journalisten dann wieder an
obligatem Mediengetöse zu erwarten ist – nicht gerade zu den schmerzhaften Verlusten gerechnet werden.
     Hier und da hat der heutzutage unvermeidliche PC-Teufel sein Spiel getrieben (z. B. ist auf Seite 141 aus dem 14. Juni 1847 der 14. Juni 1848 geworden); manches scheint aber doch Flüchtigkeiten anzulasten zu sein. So ist der Handwerkerverein – wie in der von Demps zitierten Quelle leicht nachzulesen – nicht 1849, sondern 1850 polizeilich geschlossen worden (Seite 141), der Vereinigte Landtag ist am 3.2. 1847 nicht zusammengetreten (Seite 107), sondern berufen worden (Zusammentritt: 11. 4. 1847).
Kurt Wernicke
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