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Dorothea Minkels 1848 ein Barrikadenheld Aus dem Leben des Tierarztes Friedrich Ludwig Urban (18061879) Selbstverlag, Berlin 1998 Im Abstand von wenigen Jahren haben zwei Berliner Pädagoginnen sich mit Erfolg in ein
Forschungsthema zur Revolution 1848/49 verbissen und mit einer Publikation erfolgreich abgeschlossen:
1994 konnte Angelika Iwitzki aus
Berlin-Wilmersdorf Ausstellung und Katalog »Europäische
Freiheitskämpfe« vorlegen, die erste gültige
wissenschaftliche Erfassung, Entschlüsselung und
Kommentierung der Gustav Kühnschen
Bilderzeitungsfolge »Das merkwürdige Jahr 1848«; jetzt werden wir
mit dem Ergebnis detaillierter Recherchen von Dorothea Minkels aus Berlin-Frohnau vertraut
gemacht, die uns (auf eigene Kosten übrigens) die erste
umfassende Lebensbeschreibung des Barrikadenhelden Urban liefert, der aus allen zeitgenössischen
wie späteren einschlägigen Werken über die
Berliner Märzrevolution 1848 nicht wegzudenken ist!
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deten Reflexionen eingebracht, wie wir sie bei
Tatsachenromanen sonst zur Genüge kennen. Die
Autorin läßt statt dessen den dokumentarischen
Beleg sprechen. Der Rezensent hätte daher statt
Tatsachenroman lieber Personengemälde gewählt.
Nach der Lektüre steht man allerdings ziemlich ratlos da, wenn man zu einem Urteil über Urban gelangen will. Minkels Charakterisierung ihres Helden, daß er immer seinen Überzeugungen treu blieb »Wenn es um die Rechte des Volkes ging, setzte er sein Leben ein« (S. 282) greift etwas zu kurz; er war eigentlich sein ganzes erwachsenes Leben hindurch ein merkwürdiger Heiliger, der die in der Kindheit empfangene religiöse Indoktrination aufs tiefste verinnerlicht hatte und gerade deshalb ganz entscheidend zur Begründung der Dissidentenbzw. freireligiösen Bewegung in Berlin beitrug. Damit hat er sich seinen Platz in der Berliner Geschichte ein für allemal gesichert obgleich im allgemeinen Bewußtsein der Berlin-Historie offenbar gerade diese Seite seines Einbringens in die Geschichte erheblich unterbelichtet ist im Verhältnis zu seiner Rolle als profilierter Barrikadenheld. Daß er sich u. a. in politischer Hinsicht an Benedikt Waldeck und in medizinalwissenschaftlicher an Rudolf Virchow rieb, wobei von der sonst eingeforderten Toleranz wenig übrigblieb, konnte von beiden als bloße Lästigkeit abgeschüttelt werden. In beiden Fällen blamierte sich Urban vor der zeitgenössischen Öffentlichkeit wie vor der Nachwelt so gut er nur konnte, erwies sich aber in beiden Fällen auch als konsequenter und wahrhaftig nicht mundfauler Verfechter seines von Überzeugung geprägten Standpunkts. Der Haupttitel der Arbeit verweist sehr richtig auf den Höhepunkt in Urbans ganzem Leben: seine Rolle als Befehlshaber über die Besatzung der einzigen Barrikade, die bei den Straßenkämpfen des 18./19. März 1848 vom Militär angegriffen, aber nicht erobert wurde. Wenn ihm auch der Ruhm als Kommandant jener Barrikade, die die Neue König- | ||||||
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straße vom Alexanderplatz abschloß, von dem
ebenfalls dort stark involvierten August Braß streitig
gemacht wurde, weist Minkels anhand der
zeitgenössischen Zeugen recht überzeugend nach, daß
Urban die Seele des dortigen Widerstands war. Daraus resultierte dann auch der Ruhm, der ihn seit
dem Vormittag des 19. März in Berlin umgab und der ihm für kurze Zeit eine herausgehobene Stellung
in Stadt und Königsschloß verschaffte. Diese Rolle
als Volkstribun verspielte er aber im Verlaufe von
drei bis vier Wochen durch extravagante Aktivitäten, wie die im wahrsten Sinne des Wortes tragende Rolle bei dem Umritt Friedrich Wilhelms IV. im Zeichen von Schwarz-Rot-Gold (Urban trug ihm
ein selbstgefertigtes Plakat mit einer Kaiserkrone
voran!), das hektische Eintreten für den
Wiedereinmarsch von Militär nach Berlin und seinen
Einsatz für die Konzeption, die monarchische
Parlamentskarikatur Vereinigter Landtag das anstehende
Wahlgesetz verabschieden zu lassen. (Was von klar
denkenden Köpfen sofort als eine immanente
Negation des Epochenwechsels, den der Sieg der
Barrikadenkämpfer gebracht hatte, verstanden wurde.)
Zeitzeugen unserer Gegenwart haben solche Personalentwicklungen und deren Folgen im
Bewußtsein der Öffentlichkeit seit 1989 studieren können: Es gibt immer einen in einer bestimmten
Hoch-Zeit gewonnenen Lack, der beim nachfolgenden
Passieren durch die Mühen der Ebenen nur zu leicht
abblättern kann.
Sehr gut stellt Dorothea Minkels dar, wie die zunächst schleichende Reaktion sich bei der Desavouierung der Märzhelden von einer von den Ereignissen im Zeichen des seit 1794 gültigen und sakrosankten Allgemeinen Landrechts (das Preußen zum Rechtsstaat machte) überhaupt nicht tangierten Justiz Hilfsdienste leisten ließ: Keine vier Monate nach dem 18. März standen im Zusammenhang mit dem Zeughaussturm vom 14. Juni die beiden bekanntesten Barrikadenkommandanten vor den Schranken eines nur dem Allgemeinen Landrecht | verpflichteten preußischen Gerichts, nämlich
Carl Siegerist, der die legendäre Barrikade am
Köllnischen Rathaus, und Ludwig Urban, der die
unbesiegte am Alexanderplatz befehligt hatte. Die
Delegitimierung der Straße bei der
Umgestaltung Preußens zum Verfassungsstaat war damit
durch juristische Mittel für die weitere Entwicklung
(und bis heute gültig!) vorgegeben so wie sie durch parlamentarische Mittel mit der Ablehnung des Berendsschen Antrags auf Anerkennung der Revolution am 9. Juni in der Singakademie abgehakt
worden war. Daß Urban diese Perfidie nicht einmal
im Ansatz erkannte und sich anders als z. B. im
Mai Schlöffel und im August Dortu nicht
entsprechend vor Gericht äußerte, ist ein schönes Beispiel für
die beschränkte Einsicht all jener nicht wenigen
Märzaktivisten, die den »guten König« im Herzen
trugen. Manche, wie z. B. der agile August Theodor
Wöniger, der bramarbasierende Friedrich Wilhelm
Held und der organisationsflinke August Braß,
machten dann später auch eine entsprechende
monarchentreue Karriere. Der treuherzige Naivling Urban
hingegen blieb immer, was er schon vor dem 18.
März gewesen war: Tierarzt.
Daß die Autorin von Ausbildung und Beruf her keine Historikerin ist, merkt man nur hier und da an der etwas durcheinandergehenden methodischen Abfolge der Ereignisse. Der zugegeben nicht wenig verworrene Ablauf der Vorgänge um die beiden Berliner Protestationen der »Protestantischen Freunde« (im Volksmund »Lichtfreunde«) vom 1. bzw. 15. August 1845 ist von der Autorin nicht so deutlich dargestellt worden, wie es wünschenswert gewesen wäre: Seite 51 und Seite 61 z. B. gehören inhaltlich zusammen. Daß Urbans Unterschrift »L. Urban« Thierarzt unter der am 1. August auf einer Versammlung in den Zelten angenommenen Protestation gegen die Begünstigung der orthodoxpietistischen Partei in der evangelischen Kirche Preußens steht (vgl. »Vossische Zeitung« 1845, Nr. 182 vom 7. 8., Beilage) die erste öffentliche | |||||
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Kundmachung, mit der die »Lichtfreunde« in
Berlin an die Öffentlichkeit traten! erfährt der Leser z.
B. nicht. Die Einschätzung auf Seite 181, daß die
Karikatur »Das Eine, was Noth thut« (die wie
Minkels möglicherweise zu Recht annimmt
wahrscheinlich auf Ludwig Urban gemünzt ist) ihn so
hinstelle, als verhöhne er die Anliegen der
Arbeiterbevölkerung, ist im Kontext mit der
Original-Veröffentlichung in den Münchner »Fliegenden
Blättern« kaum aufrechtzuerhalten: Die »Fliegenden
Blätter« waren im Gegenteil gerade darauf aus, mit
hohnvollen Unterstellungen den ländlichen wie städtischen Unterschichten in der Märzbewegung 1848
nachzuweisen, daß sie von den großen politischen
Anliegen der Liberalen und Demokraten nicht berührt
wären und nur ihre primitiven materiellen
Bedürfnisse (im Falle der vorgestellten Karikatur: ihre Gier nach Alkohol!) befriedigt sehen wollten. An
einigen Stellen hat der PC-Teufel dafür gesorgt, daß aus 18 ... ein 19 ... geworden ist.
Den Wert der Arbeit als Urban-Biographie mindern solche Details in keiner Weise. Dieser Wert wird ihr vorrangig dadurch verliehen, daß mit ihr eine weitere Biographie eines Berliner Achtundvierzigers vorliegt und die Berlin-Historiographie ist damit auch exakt anderthalb Jahrhunderte nach der Revolution nicht gerade übermäßig gesegnet. Muß wieder auf eine engagierte Hobby-Historikerin aus pädagogischem Umfeld gewartet werden, bis wir in ähnlicher Ausführlichkeit z. B. über den Lebensweg von August Theodor Wöniger oder Julius Berends unterrichtet werden? (Während der Drucklegung erfahren wir, daß Dorothea Minkels' engagiertem Spürsinn das Auffinden von Urbans Grab auf dem Friedhof der Freireligiösen Gemeinde in der Pappelallee gelungen ist.) Kurt Wernicke |
Eva Kemlein/ Ingeborg Pietzsch
Ein Leben mit der Kamera Herausgegeben von der Stiftung Stadtmuseum Berlin Edition Hentrich, Berlin 1998 Eva Kemlein hat mir einmal halb scherzhaft
erklärt, daß sie es überhaupt nicht verstehe, mit ihrem Hobby, dem Fotografieren, auch noch Geld
verdient zu haben. Über 300 000 Negative sind es im
Laufe eines langen Arbeitslebens geworden, auf denen sie festgehalten hat, was ihr wichtig war. Auf
den meisten dieser Fotos: Menschen,
Trümmerfrauen im Nachkriegs-Berlin, Schauspieler auf der
Bühne, Straßenhändler in Brasilien. Zeitgeschichte ist
für Eva Kemlein (ein Gespräch mit ihr in BM 3/97) die Geschichte vom Menschen, von dem, was ihn zeichnet und kennzeichnet. Sie hat immer
bekannt, sich nicht als Künstlerin, sondern als Chronistin
zu verstehen. Von den über 300 000 Negativen, die
sie 1993 dem Stadtmuseum Berlin übergeben hat,
mußte sie Qual der Wahl einige für den Bildband auswählen, der Ende Juni in der Edition
Hentrich erschien, herausgegeben von der Stiftung
Stadtmuseum, unterstützt von der Stiftung Preußische
Seehandlung Berlin.
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Weigel als jüdische Frau in »Furcht und Elend
des Dritten Reiches« von Bert Brecht, zu sehen auf
den Seiten 90/91 des Bildbandes. Für mich in dieser Ausgabe der eindrucksvollste Beleg dessen, was
für die Fotografin die Faszination des Theaters
ausmacht: den Moment festzuhalten, in dem sich die Arbeit von Regisseur und
Schauspieler auf den begreifenden Zuschauer überträgt.
Ingeborg Pietzsch, die Eva Kemlein aus langer Zusammenarbeit kennt, hat Stationen des ungewöhnlichen Lebens der Fotografin beschrieben: Die behütete Kindheit im elterlichen Haus in Charlottenburg, der Aufbruch in die Welt des Abenteuers mit dem »bunten Vogel« Kemlein, den sie heiratet und der dann in der Nazi-Zeit nicht zu seiner jüdischen Frau hält, die Emigration der Brüder und die Deportation der Mutter, das Zusammenleben und die Widerstandsarbeit mit dem Schauspieler und Kommunisten Werner Stein, mit dem sie in der Illegalität in dreißig verschiedenen Verstecken wie durch ein Wunder das »tausendjährige Reich« überlebt. Daß sie nach Kriegsende »wieder da sein durfte«, frei und ohne Furcht durch die Straßen gehen und dann sogar in einer eigenen Wohnung leben konnte, bestimmt seither Eva Kemleins Lebensgefühl, ihre Sicht auf die Welt, auf die Menschen. Die meisten ihrer Bilder aus der Trümmerstadt Berlin (ab Seite 29), von der damals kaum jemand annahm, daß sie je wieder aufgebaut werden könne, vermitteln eine fast heitere Zuversicht. Eva Kemleins Zuversicht, mit der sie beispielsweise die Menschen beim Gemüseanbau rund um die zerstörte Siegessäule aufs Zelluliod bannt. Der Name Eva Kemlein steht vor allem für 50 Jahre fotografischer Begleitung der Berliner Theater-Ereignisse. Den Bildband hat sie ihrem Lebensgefährten Werner Stein gewidmet, der ihr mit seiner profunden Kenntnis Partner und geistiger Anreger war. Ebenso wie die vielen Gespräche, die in ihrer gemeinsamen Wohnung in der Künstlerkolonie am Südwestkorso stattfanden. Zum Bei- | spiel mit dem Nachbarn und Freund Ernst
Busch, der sich damals lange Zeit weigerte, die ihm
von Brecht angebotene Rolle des Galilei zu spielen.
Das »Erlebnis Brecht« war es auch, das Eva
Kemlein dann bewog, sich fast ausschließlich auf das
Theater zu konzentrieren. So begegnen wir in dem
Bildband nicht von ungefähr auf fünf Doppelseiten
Brecht-Inszenierungen bzw. Aufführungen im Berliner Ensemble. Beeindruckend die zu einem eigenen Kapitel zusammengefaßten Porträts, in denen
uns Brecht und die Weigel, Ernst Busch und
Wolfgang Langhoff, Marcel Marceau und Louis
Armstrong, Chatschaturjan, Heiner Müller, Mary Wigman
und Gret Palucca, Dario Fo und viele andere begegnen.
Schade, daß sich bei dieser gelungenen Ausgabe der jeweils für sich gute Text- und Bildteil nicht so ergänzen, wie das möglich gewesen wäre. Ganz einfach schon dadurch, daß Ingeborg Pietzschs Text, in dem zum Teil auch Theatergeschichte erzählt wird, auf die entsprechenden Seiten im Bildteil verweist. (Zum Beispiel Ernst Busch und die Szenenfotos vom »Galilei«). Das wiegt schwerer als kleine Ungenauigkeiten, mal ist Eva Kemlein 88, dann 89 Jahre alt, auf Seite 25 wird im Text berichtet, daß der Artist Bert Hold in luftiger Höhe auf dem Funkturm einen freihändigen Kopfstand macht, das auf der nachfolgenden Seite stehende Bild zeigt ihn aber beim Handstand. »Ein Leben mit der Kamera« wird viele Freunde finden, nicht nur Theater- und Kulturkenner, sondern auch all jene, die an Berlingeschichte interessiert sind. Dank an Autoren, Verlag und alle, die den Bildband ermöglicht haben. Dank vor allem an Eva Kemlein, die am 4. August 89 Jahre alt geworden ist. Jutta Arnold | |||||
© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de