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der Herstellung des Sarges beauftragt wurde. Bei jenem Refugié kann es sich nur um Jeremie (1719–1793) oder Johann Friedrich Michaut (1758–1834) handeln. Die hugenottischen Michauts waren allesamt Zinngießer und stammten aus Sedan. Als Glaubensflüchtlinge (Refugiés) kamen sie im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts nach Berlin, wo sie nahezu einhundert Jahre (1762 bis 1858) das Haus An der Schleuse 13 auf dem Friedrichswerder, vis-à-vis von Schinkels Bauakademie, bewohnten. In diesem Haus, das um 1938 abgebrochen wurde, befand sich auch die Zinngießerwerkstatt der Michauts.
     Bei den Rettungsgrabungen vor dem ehemaligen Staatsratsgebäude stieß man am 2. September 1997, freilich ohne zu ahnen, was man da entdeckt hatte, auf die Fundamentmauern des Zinngießerhauses. In einer Aussparung des Fundamentmauerwerks steckte noch in situ der bleierne Grundstein in Gestalt eines großformatigen Ziegels. Er enthielt die Bauurkunde, datiert vom 25. November 1835, und drei Berliner Tageszeitungen. Aus der Bauurkunde geht u. a. hervor, daß der Zinngießer Carl Friedrich Michaut (1799–1877) das Haus seines Vaters und Großvaters wegen Baufälligkeit komplett abtragen und völlig neu aufführen lassen mußte.
     Während seine Vorfahren noch das Kunsthandwerk bevorzugten und neben dem besagten Zinnsarg für Friedrich den Großen
Harry Nehls
Hier irrte Theodor Fontane

In seinem 1912 erschienenen Buch »Die Trauerfeierlichkeiten für Friedrich den Großen« vertrat Friedrich Laske die irrige Ansicht, »daß nichts Wesentliches mehr über die Regierung und das Leben des großen Königs, insbesondere auch nicht über sein Hinscheiden und seine Bestattung zu erforschen sein wird.«
     Bekanntlich wurde der Leichnam Friedrichs des Großen, der zuvor in einem hölzernen Doppelsarg beigesetzt worden war, am 30. August 1786 in einen Sarg aus »feinem englischen Zinn« hineingesetzt. Dieser Sarg wog laut Angabe der Berliner Ratswaage »4 Zentner [und] 51 Pfund«. Am 17. August 1991, dem 205. Todestag des Königs, wurde er nach jahrzehntelanger Odyssee in der Gruft auf der obersten Terrasse von Schloß Sanssouci beigesetzt. Leider hat man dabei versäumt, den Zinnsarg genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn für die noch ungeschriebene Geschichte des Berliner Zinngusses spielt er eine nicht unerhebliche Rolle.
     Es wäre interessant zu wissen, ob der Zinnsarg mit einer Meister- oder/und Stadtmarke ausgeschlagen war. Überliefert ist jedenfalls, daß ein »Réfugié Michaut« mit

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Friedrich Wilhelm III., Königin Luise v. Preußen und Zar Alexander I. von Rußland am Sarg Friedrichs des Großen in der Gruft der Potsdamer Garnisonkirche
hauptsächlich Leuchter, Walzenkrüge und Dosen fabrizierten, von denen einiges im sogenannten Innungssaal des Märkischen Museums zu sehen ist, hatte sich Carl Friedrich Michaut nach Ausweis einer Geschäftsannonce aus dem Jahre 1856 mehr auf technische Produkte spezialisiert.
     Auch für den in einer ägyptisierenden
Backsteinpyramide im Park zu Rheinsberg beigesetzten Bruder Friedrichs des Großen, Heinrich Prinz von Preußen (1726–1802), war 1804 die Anfertigung eines Sarges aus feinem englischen Zinn bei dem nicht näher bekannten Berliner »Zinngießer Siricks unter den Linden« in Auftrag gegeben worden.
     Noch im selben Jahr erschien ein Buch mit
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dem Titel »Berlinische Nächte«, in dem der figürlich verzierte Sarg wie folgt beschrieben wird: »Die ungeheure Masse von englischem Zinn hat eine ganz antike Form und ruhet auf acht Löwenklauen; gleich den römischen Fasten, sind an dem mittleren Kranze oder Hauptgesimse Stäbe mit Lorbeern umwunden; an den beiden mittleren Hauptstücken das preußische Wappen mit dem Adler, und der schwarze Adlerorden nebenbei. Die Flügel der beiden Seiten zu sehen sind. Auf der Mitte des oberen Deckels, über dem Wappen, liest man in einem ovalen Felde den Geburts- und Sterbetag des Verewigten. Das Ganze ist mit Lorbeern und Palmen eingelegt; seitwärts in gleicher Linie heben zwei antike Löwen ihre Köpfe empor, die statt der Griffe dienen, und Ringe in den offenen Rachen halten.
     In vertiefter Füllung, an derselben Seite des Denkmals, befinden sich die Attribute der Dicht- und Kriegskunst und des Ingenieur-
füllungen zeigen ein Basrelief: 1. den Schutzgeist des preußischen Staates, an einer Urne ruhend, mit gesenkten Flügeln, – 2. eine weibliche Figur, die unter dem Sinnbilde der Landestrauer, das Medaillon des Prinzen vor sich, seinen unsterblichen Namen in eine Tafel gräbt; das Bild hängt an einer Säule, die den Aschenkrug trägt, und an deren Fußgestelle verschiedene Armaturen, Zypressen und Lorbeern

Der Zinnsarg des Prinzen Heinrich v. Preußen

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lag. Seitdem ist ein brutaler Versuch gemacht worden, eben diesen Sarg, in dem man Schätze vermutete, zu berauben, was nun ... zur Vermauerung der Pyramide geführt hat.«
Hier aber irrte der gute Fontane, denn der Sarg war eben nicht aus Zink, sondern aus Zinn. In Deutschland begann die Produktion von (korrosionsanfälligeren) Zinkgegenständen eigentlich erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu florieren. Bis dahin wurden Potentaten wie z. B. Friedrich der Große und Prinz Heinrich vornehmlich in Zinnsärgen beigesetzt. Fontanes Verwechslung der beiden Mate-
Bauurkunde vom 25. November 1835 rialien muß schon verwundern, zumal sich auch unter seinen französischen Vorfahren zwei Zinngießer (Pierre und Pierre François Fontane) befanden, die einst ihre Werkstatt – genau wie jener Siricks – Unter den Linden betrieben. Doch in puncto Genauigkeit hat der sympathische Wanderer durch die Mark Brandenburg offensichtlich gern mal ein Auge zugedrückt.
     Man wird ihm das sicherlich nachsehen.

Bildquellen:
Repros des Verfassers nach »Der Bär von Berlin«, 37 (1988) und nach Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 19 (1902), Archiv des Verfassers

wesens; auf der Plattform des Ganzen liegt die Rüstung des deutschen Ritterordens mit einem bekränzten Helme und Schilde, unter diesen das Panier und Ritterschwert; die Königl. Krone auf einem Kissen über dem Haupte.«
     Rund fünfzig Jahre später besuchte Theodor Fontane Rheinsberg, selbstverständlich nicht, ohne einen Blick auf den Prunksarg im Innern der seinerzeit noch unvermauerten Grabpyramide des Prinzen Heinrich zu werfen: »Im Jahre 1853«, so Fontane in den »Wanderungen durch die Mark Brandenburg«, »sah ich noch deutlich den großen Zinksarg stehen, auf dem ein rostiger Helm
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© Edition Luisenstadt, 1998
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