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Helmut Caspar
Bismarck-Boom vor hundert Jahren

Im März 1890, zwei Jahre nach seiner Thronbesteigung, entließ Kaiser Wilhelm II. (1859–1941, Kaiser von 1888–1918) Reichskanzler Otto von Bismarck (1815–1898), den er noch mit einem Herzogstitel ausstattete. Der Eiserne Kanzler, dem nach drei »Einigungskriegen« – 1864 mit Österreich gegen Dänemark, 1866 gegen Österreich und 1870/71 gegen Frankreich – wesentlich die Reichseinigung unter preußischer Vorherrschaft zu verdanken ist, mußte danach Hals über Kopf das an der Berliner Wilhelmstraße gelegene Reichskanzlerpalais räumen. »Wir wurden wie Hausdiebe auf die Straße gesetzt und haben beim überhasteten Bergen unserer Sachen vielerlei Eigentum verloren«, ärgerte sich der Entmachtete.
     Der selbstherrliche Monarch mit imperialen Ambitionen und besten Beziehungen zur Großindustrie wollte in seinem »persönlichen Regiment« nicht gestört werden und sich von dem knorrigen, mit allen Wassern gewaschenen »Realpolitiker« Bismarck nicht dreinreden lassen.
     Der Groll, den Wilhelm II. gegen den aufs komfortable Altenteil in Friedrichsruh bei Hamburg – hier ist eine Gedenkstätte ein-

gerichtet – abgeschobenen Reichseiniger hegte, hinderte ihn allerdings nicht, diesem in der Reichshauptstadt ein monumentales Nationaldenkmal zu errichten. Die Arbeiten begannen 1897, im letzten Lebensjahr des Altkanzlers.
     Nach dem Tod des in großen Bevölkerungskreisen überaus populären Fürsten am 30. Juli 1898 wurden im Deutschen Reich unzählige weitere Bismarck-Denkmäler errichtet. Eine riesige Flut von Andenken ergoß sich auf die Bevölkerung. Das erste Bismarck-Denkmal gab es 1877 in Bad Kissingen. Bis 1898 standen 33 Denkmäler, und 1906 zählte man schon 306 Standbilder, Gedenksteine, Obelisken, Säulen und Türme, die dem Eisernen Kanzler gewidmet waren. Hinzu kamen viele Namensgebungen für Straßen, Plätze, Flüsse, Berge, Gipfel, ferner für Vereine, Restaurants, ja auch Nahrungsmittel wie den Bismarckhering.
Der Reichskanzler war, was Denkmäler betrifft, in der Reichshauptstadt kein Unbekannter. Auf Relieftafeln der Siegessäule waren bereits der preußische König und deutsche Kaiser Wilhelm I., Bismarck, der 1862 von Wilhelm I. zum preußischen Ministerpräsidenten berufen wurde, und andere meist hochadlige Prominenz des neuen Deutschen Reichs abgebildet.
     Nachdem aber anderswo der Reichskanzler bereits in Stein und Bronze stand, sollte nun auch Berlin ein bedeutsames Monument erhalten. Eines der größten Bismarck-
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Denkmäler im Reich sollte auf dem Königsplatz vor dem Reichstagsgebäude entstehen, vor dem Gebäude also, das Schauplatz heftiger Redeschlachten zwischen Regierung und Opposition war, einschließlich Auseinandersetzungen um die Person des Kanzlers.
     An der Konkurrenz hatten neunzig Künstler teilgenommen, doch keiner konnte die Ausschreibung gewinnen. So erhielt der von Wilhelm II. geschätzte Reinhold Begas (1831–1911), ein Vertreter des Neobarock, den Auftrag, Fürst Otto von Bismarck auf einen ausladenden Granitsockel zu stellen. 1901 wurde das Denkmal auf dem Königsplatz aufgestellt.
     Während das vom gleichen Bildhauer geschaffene Nationaldenkmal Kaiser WilhelmsI. vor dem Berliner Schloß nach dem Zweiten Weltkrieg bis auf die Löwen (heute vor dem Brehm-Haus im Berliner Tierpark) eingeschmolzen wurde, hat das Bismarck-Denkmal im damaligen Westberlin die Zeiten überdauert.
     Mit dem Sockel erreichte die 6,60 Meter hohe Kanzlerfigur ursprünglich die beachtliche Höhe von 15 Metern und entsprach so in den Proportionen den gewaltigen Dimensionen des Reichstagsgebäudes. Die Widmung des Nationaldenkmals lautet: »Dem ersten Reichskanzler – das deutsche Volk 1901«. Kaiser Wilhelm II., der offenbar die Popularität des Kanzlers auch auf sein Haupt lenken wollte, legte bei der feierliche Weihe des Denkmals einen Kranz mit der Inschrift »Des großen Kaisers großem Diener« nieder, damit andeutend, daß
er den alten Kanzler nicht unbedingt zu den Seinigen zählte.
     Reinhold Begas stellte seinen Helden im zugeknöpften Kürassierrock dar, die Pickelhaube auf dem Kopf, eine Hand am Säbel. Mit hoheitsvoller Geste weist der Fürst auf die Urkunde der Reichseinigung von 1871, damit die bedeutendste Tat in seinem langen Politikerleben unterstreichend. Der Dimension des Standbilds angemessen sind die überlebensgroßen Begleitfiguren auf dem Sockel. Ein muskelbepackter Riese schultert die Weltkugel, damit symbolisierend, daß Bismarck wesentlich die Last der Verantwortung für das Einigungswerk getragen hat.
     Zu diesem bronzenen Atlas gesellen sich links und rechts die Figuren der Staatsweisheit und der Staatsgewalt. Es handelt sich um eine Sybille, die auf einer Sphinx sitzt und in einen großen Folianten schaut. Die andere, stehende Frau mit einem mit dem Eisernen Kreuz geschmückten Helm stellt ihren Fuß auf eine Raubkatze und symbolisiert damit die Niederwerfung der Feinde des Reiches. Auf der Rückseite des Denkmals ist der germanische Held Siegfried dabei, das Reichsschwert zu schmieden, ein Hinweis auf die Verehrung, die Bismarck als »Schmied der deutschen Einheit« genoß. Am Granitsockel hat der Bildhauer mit inhaltsschweren Reliefs nicht gespart. Sechs Bronzeplatten, die den Lebensweg des Kanzlers schildern, sind nicht mehr erhalten.
     Angemerkt sei, daß 1938 bei der Umsetzung und dem Neuaufbau des Denkmals am Großen
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Stern im Zusammenhang mit Hitlers Planungen für die »Welthauptstadt Germania« unter Leitung von Albert Speer die Begleitfiguren um einen Meter aneinander gerückt wurden, während die Siegessäule, die ebenfalls einen neuen Platz erhielt, um einige Meter verlängert wurde.
     Die Veränderungen beim Bismarck-Denkmal inmitten einer Gartenanlage gleich neben dem Park des Schlosses Bellevue beeinträchtigen die Proportionen und damit die Wirkung des Monuments. Außerdem wurde auf Speers Anordnung der Stufenunterbau verringert, wodurch das Denkmal kleiner wirkt. Die Eingriffe schränken die ursprüngliche Monumentalität des Nationaldenkmals ein.
     Überlegungen, das von Denkmälern der preußischen Militärs Moltke und Roon flankierte Bismarck-Denkmal an den alten Standort vor dem Reichstagsgebäude zurückzuführen, dürfte kaum Erfolg beschieden sein. Man denke nur an die heftigen Diskussionen im Zusammenhang mit der geplanten Aufstellung von Rauchs Marmorfiguren der Generale der Befreiungskriege Scharnhorst und Bülow vor Schinkels Neuer Wache. Für manche Zeitgenossen käme das einer Verherrlichung des preußischen Militarismus gleich, so daß Senatspolitiker die Wiederherstellung des Ensembles Unter den Linden vorerst aufgegeben haben.

Bildquelle: Berliner Denkmäler im Volkswitz, Atlantis Verlag

Auch das Bismarck-Denkmal blieb von der Spottlust der Berliner nicht verschont.
     Bismarck zu seinem Schneider: »Wat, die miessitzende Uniform willst du ooch noch bezahlt haben?«
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