84   Geschichte und Geschichten Memoiren der Karoline Bauer  Nächste Seite
Dieter Götze
Die Memoiren der Karoline Bauer

Zu Beginn des Jahres 1825 spielte sich im Schauspielhaus eine junge Schönheit in die Herzen der Berliner, die die Theaterbegeisterten gleichermaßen als Sängerin, Schauspielerin und Tänzerin entzückte:
Karoline Bauer aus dem badischen Karlsruhe, Tochter eines in den Freiheitskriegen gefallenen Offiziers. Ihr Name und ihre Leistung wären heute längst vergessen, hätte die einst Gefeierte nicht Memoiren hinterlassen, Erinnerungen an das Berlin des Biedermeier, die zum Besten gehören, was wir auch an Äußerungen über die Frühzeit des Schinkelschen Schauspielhauses besitzen. Darüber hinaus bleibt dieses Buch ein interessantes Zeugnis für das vergebliche Ringen einer selbstbewußten Künstlerin um Unabhängigkeit und Glück, gegen eine in Vorurteilen und Standesdünkel erstarrte Gesellschaft. Als die Memoiren – bezeichnenderweise erst nach dem Tod Karoline Bauers 1878 – vollständig erschienen, wirbelten sie viel Staub auf, nicht zuletzt deshalb, weil die Bauer der Entsetzen heuchelnden Öffentlichkeit den belgischen König Leopold, mit dem sie nach ihrem Weggang aus Berlin zwei Jahre in

geheimer morganatischer Ehe gelebt hatte, als Hypochonder und Versager präsentierte.
     Die 1807 in Heidelberg geborene Karoline hatte, gefördert von kunstbegeisterten Angehörigen, zunächst im Alter von 16 Jahren viel beachtet an der Karlsruher Hofbühne debütiert. Wenig später erhielt sie ihr erstes Engagement in Berlin, im Königstädtischen Theater am Alexanderplatz. Schnell erfolgte der Wechsel an die Hofbühne, an Lindenoper und Schauspielhaus, gefördert von König Friedrich Wilhelm III. (1770–1840, König ab 1797), der in die hübsche Achtzehnjährige geradezu vernarrt war. Die Memoiren enthalten einen Abschnitt, in dem sie ihre erste Bekanntschaft mit dem Schauspielhaus – zunächst noch als Zuschauerin – beschrieben hat:
     »Am Abend saß ich mit der Mutter zum ersten Male in höchster Spannung im ersten Range des dichtbesetzten Königlichen Schauspielhauses. Es erschien mir gegen das Karlsruher klein, aber eleganter, auch besser beleuchtet. Das Haus war erst vor drei Jahren nach dem großen Brande des Ifflandschen National-Theaters im prachtvollen Neubau nach Schinkels Plänen wieder eröffnet und hatte wegen seiner Kleinheit im eigentlichen Schauspielraum bei der Größe des ganzen Gebäudes schon viel von dem Witz der Berliner zu leiden gehabt. Der Kronprinz, im Witz ein echter Berliner, hatte auch hier den Ton angegeben. Als Intendant
SeitenanfangNächste Seite


   85   Geschichte und Geschichten Memoiren der Karoline Bauer  Vorige SeiteNächste Seite
und Baumeister ihn durch den schönen großen Konzert- und Ballsaal des Hauses in das eigentliche Theater führten, sagte er sarkastisch: Ei! sieh! da ist in dem Schauspielhause ja auch nebenbei ein kleines Theaterchen! Man sollte es kaum glauben! Und die Berliner witzelten ihrem Kronprinzen nach: Schinkel wurde bei der Eröffnung herausgerufen? – Natürlich, denn drinnen hatte er ja auch keinen Platz! Dafür aber klang des klassischen Baumeisters Lob aus jedes denkenden Schauspielers Munde, in das ich bald aus vollem Herzen einstimmen durfte. Es war eine Lust, in dem kleinen Hause bürgerliche Schau- und Lustspiele zu spielen. Man brauchte nicht zu forcieren, man sprach und bewegte sich natürlich, wie im Leben, und auch die feinste Nuance kam zur Geltung.«1)
     Insgesamt 564 mal trat Karoline Bauer dann in den über vier Jahren ihrer Zugehörigkeit zum Ensemble der »Königlichen Schauspiele« auf, zunächst in belanglosen Lustspielen, später auch in Dramen von Shakespeare, Goethe, Schiller, Kleist. Ihre eigentliche Domäne aber waren übermütige jugendliche Liebhaberinnen, zierliche Generalstöchter, verführerische Frauen um die Zwanzig. Die begeisterten Schauspielhausbesucher geizten nicht mit Blumen, Beifall und Bewunderung.
     Bald ging sie auch in den Salons der Stadt ein und aus und lernte hier die Berühmtheiten Spreeathens kennen: Rahel Varnhagen
und Bettina von Arnim, den »verparisierten Salonmann« Alexander von Humboldt, Karl Friedrich Zelter und seine Familie, den »poetischen Kriminalrat« Eduard Hitzig, den frommritterlichen Friedrich Baron de la Motte-Fouqué und den jungen Willibald Alexis. »Allerlei Verehrer« ist das amüsante Kapitel ihrer Memoiren überschrieben, in dem sie vernichtende Urteile über den eitlen Shakespeare-Übersetzer August Wilhelm Schlegel und den »barschen, finsteren, häßlichen Tyrannen« der Schauspielhaus-Bühne Ernst Raupach abgibt, »der für mich kein freundlich Wort, keinen anerkennenden Blick und – keine gute Rolle in seinen Stücken zu haben schien«.
     Mit dem großen Star am Gendarmenmarkt, dem bewunderten Ludwig Devrient, stand sie bald auf vertrautem Fuß, wenn sie auch eine gewisse Scheu vor dem genialen Mimen, mit dem sie u. a. im »König Lear« auf den Brettern stand, nicht ablegen konnte. Neben der Gunst des Königs besaß sie aber vor allem das Herz des Generalintendanten, des Grafen Brühl, der ihren künstlerischen Reifeprozeß wesentlich förderte. Noch nach Jahrzehnten schwärmte sie: »Wie liebenswürdig wußte er mich von einer törichten Mädcheneitelkeit zu kurieren! Ich gab zum erstenmal das Käthchen von Heilbronn und hatte nicht wenig Fleiß und Kunst auf meine zierlich gekräuselten und modisch aufgewirbelten Locken gewendet, und ich fand auch vor meinem Spiegel, daß
SeitenanfangNächste Seite


   86   Geschichte und Geschichten Memoiren der Karoline Bauer  Vorige SeiteAnfang
sie mir zu meinem altdeutschen Kostüm allerliebst standen.
     Überdies trug damals die ganze schöne Welt Locken, und wer keine ermöglichen konnte, erschien den Gelockten sehr altmodisch und häßlich. – Nach der nächsten Probe trat Graf Brühl mit feinem wohlwollenden Lächeln auf mich zu: >Ich danke Ihnen für das holde sympathische Käthchen. Es hat mir viel Freude gemacht, und der warme keusche Herzenston klingt noch in mir nach . . . Aber, mein liebes Fräulein, waren Ihre schönen goldenen Locken nicht doch ein wenig zu schön für das arme Käthchen, das ihrem Ritter durch Regen und Sturm und fremde Gegenden nachläuft und in Pferdeställen und unter freiem Himmel nächtigt?
Woher nimmt Käthchen da den Frisierspiegel und die hilfreiche Hand des Theaterfriseurs und vor allem den – Sinn für solche Toilettenkünste? Erst wahr – dann schön! Wollen wir diese erste Regel der Menschendarstellung stets beherzigen?< «2)
     Ihrer eigentlichen Rivalin, der berühmten Auguste Stich-Crelinger, ging sie nach Möglichkeit aus dem Wege, nachdem ihr die Stich unter vier Augen zu verstehen gegeben hatte, daß die blutjunge Anfängerin für die große etablierte Tragödin doch zu einer Gefahr werden könne. Besonders eng gestalteten sich dagegen ihre Kontakte zu Amalia und Pius Alexander Wolff, dem Schauspielerehepaar, das Graf Brühl von der Weimarer Bühne abgeworben hatte. Karoline Bauer
erlebte beider Höhen und Tiefen am Schauspielhaus, schließlich Pius Alexander Wolffs körperlichen Verfall und Tod im Jahre 1828.
     Kurz darauf verließ sie Berlin und folgte Verlockungen, die sie an die Seite des ungeliebten Prinzen Leopold von Koburg führten, des späteren Königs von Belgien. Sie bezahlte diesen Schritt mit dem vorläufigen Ende ihrer Theaterkarriere und zahllosen Demütigungen und Enttäuschungen. Wenn sie auch später wieder auf die Bühne zurückkehrte und am Petersburger Hof, in Dresden und vielen anderen deutschen Städten erneut Triumphe feierte – die vier Jahre am Gendarmenmarkt blieben der eigentliche Höhepunkt ihres Lebens.

Quellen:
1      Karoline Bauer, Aus meinem Bühnenleben. Eine Auswahl aus den Lebenserinnerungen der Künstlerin. Herausgegeben von Dr. Karl von Hollander, Gustav Kiepenheuer Verlag Weimar 1917, S. 84
2      Ebenda S. 209 f.
     
SeitenanfangAnfang

© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de