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abend«. Der Februar ist dem Thema Bälle und
Gesellschaftsabende gewidmet, wobei neben der Abendgesellschaft der Witwe Pittelkow auch
ein Gedicht über das »Hoffest« im Weißen Saal des Berliner Schlosses Platz gefunden hat. Amüsant und ergreifend zugleich Fontanes Erinnerung an seinen Vater als Hauslehrer im März, der weil
es zu Fontanes Zeit zu Ostern Zeugnisse gab vom Lernen handelt. Den Frühjahrs- und
Sommermonaten sind zahlreiche Auszüge aus den
»Wanderungen durch die Mark Brandenburg«, aus den
englischen und dänischen Reiseskizzen, aber
natürlich auch wieder Jugenderinnerungen, Gedichte
und passende Romanstellen zugeordnet.
Zum Gedenkmonat September finden wir vor allem Textproben aus Fontanes Theaterkritiken in der »Vossischen Zeitung«, für die er seit 1870 als Rezensent arbeitete. Für den Oktober wurden neben der bekannten Ballade vom Herrn von Ribbeck ausschließlich stimmungsvolle Herbstgedichte ausgewählt und so Fontane von einer vielleicht nicht so bekannten Seite vorgestellt. Der November enthält neben einer Wanderung durch den Charlottenburger Schloßgarten (aus den Mark-Brandenburg-Büchern) auch das Begräbnis des alten Stechlin aus Fontanes letztem, erst nach seinem Tode erschienenen Roman. Der Dezember ist natürlich vorwiegend dem Thema Weihnachten gewidmet und beginnt mit einer Kindheitserinnerung an Weihnachten in Swinemünde, schildert Weihnachtsbräuche in London, im Harz und bei einer Mennonitengemeinde in Nordamerika. Wie man aus den Beispielen ersehen mag: Der Almanach trägt sicher dazu bei, all denen, die ihn vorwiegend aus seinen Romanen und Balladen kennen, Fontane ein Stück näher in seiner ganzen Vielfalt zu erschließen. Das wird auch durch die knappen, aber informativen Einführungen zu den Monatskapiteln unterstützt. Eine besondere Freude sind die stilgerechten Illustrationen des Almanachs. Sie sind, wie es etwas zurückhaltend in der dem | ||||||
Luise Berg-Ehlers (Hrsg.) Fontane Almanach; Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1997 Zum Fontane-Jahr 1998, in dem wir am 20. September den 100. Todestag, am 30. Dezember den
179.Geburtstag des Schriftstellers begehen, hat die traditionsreiche Nicolaische Verlagsbuchhandlung einen Fontane-Almanach herausgebracht. Sie hat sich sicher davon leiten lassen, daß Almanache, diese im 14./15. Jahrhundert aufgekommenen Jahrbücher, in denen anfangs vor allem
astronomische Angaben, später zunehmend unterhaltsame
literarische oder auch populärwissenschaftliche
Beiträge enthalten waren, sich gerade zu Fontanes
Lebzeiten besonderer Beliebtheit erfreuten. Als
Ergänzung von Wochen- und Monatszeitschriften, vor
allem der in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
entstandenen Familienblätter und Illustrierten gedacht,
und oft auch von diesen herausgegeben, dienten sie dazu, Skizzen, Feuilletons, Kurzgeschichten,
auch Auszüge größerer literarischer Arbeiten
bekannter (oder auch noch unbekannter aufstrebender)
Autoren für ein breites Leserpublikum aufzubereiten.
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Almanach vorangestellten »Danksagung«
heißt, »Zeitschriften aus dem Ende des vorigen
Jahrhunderts« entnommen. Sie dürften zu einem guten Teil aus der seit 1891 bei Ullstein
herausgekommenen »Berliner Illustrirten Zeitung« stammen,
einige wenn mich der Strich nicht täuscht von
deren prominenten Zeichnern Hans Baluschek und
Fritz Koch-Gotha. Hier wäre wohl eine
detailliertere Quellenangabe angebracht gewesen. Ebenso
hätte ich mir wenigstens Jahreszahlen zu den uns
heute recht amüsant erscheinenden
Zeitungsannoncen und ähnlichen Beigaben gewünscht. Oder auch einen erläuternden Bildtext zu einem der
Glanzstücke des Almanachs: Einem Titelbild des
»Bazar«, dieser ersten Berliner »Illustrierten
Damen-Zeitung«, die eine Zeitlang von dem Fontane gut
bekannten Berlin-Beschreiber Julius Rodenberg
geleitet wurde. Zu fragen bliebe schließlich, warum vom Verlag auf das eigentlich zu einem Almanach gehörende Kalendarium verzichtet wurde. Hätte
das nicht Gelegenheit gegeben, mit Daten aus
Fontanes Leben und vielleicht auch schon mit
Höhepunkten des Fontane-Jahres in Berlin vertraut zu machen? Horst Wagner | den Berlins, im Stadtbezirk Prenzlauer Berg,
ein neues Zuhause suchten und das zeigen u. a.
die interessanten Familiengeschichten, die dieser vorzüglich bebilderte Band präsentiert
vielfach auch fanden.
Der massenhafte Zuzug der Italiener stand in engem Zusammenhang mit der raschen Industrialisierung und Ausdehnung der Stadt in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Über 1 300 Italiener sollen um 1900 in Berlin gelebt haben, in vielen Bereichen von Handel und Gewerbe zum Vorteil der sich zur Millionenmetropole entwickelnden Reichshauptstadt. Eine der bekanntesten Familien waren die Bacigalupos, deren Entwicklung der Aufsatz von Tatjana Freygang ausführlich darstellt (mit Stammbaum!). Karen Hoffmann zeichnet in zwei Beiträgen ein plastisches Bild der Familien Cocozza und Raffo, die zu den besonders einflußreichen Vertretern der italienischen Kolonie in Berlin gehörten. Der besonderen Bedeutung der katholischen Kirche für die italienischen Migranten geht Werner Kerkloh in seinem Beitrag über Don Luigi Fraccari nach, der 1944 als katholischer Priester nach Berlin kam, um jenen seiner Landsleute beizustehen, die nach der Entmachtung Mussolinis mitten im Zweiten Weltkrieg von Verbündeten zu Feinden Deutschlands geworden waren und in Internierungslager gepfercht wurden. Überhaupt besteht der Wert der Aufsätze des Sammelbandes darin, immer wieder am Schicksal einzelner anschaulich zu exemplifizieren, was es für Italiener im Auf und Ab der Zeitläufe bedeutete, in einem ihnen fremden Land zu leben und sich hier durchsetzen zu müssen. Da war vor allem immer wieder berufliches Können gefragt, das für viele Italiener, die als Handwerker, Techniker oder Gastronom über Spezialkenntnisse verfügten, Ausgangspunkt einer erfolgreichen Karriere in Berlin wurde. Schade, daß manche Beiträge dazu noch zu wenig Einzelheiten bieten (was z. T. auch der schwierigen Quellenlage ge- | |||||
Italiener in Prenzlauer BergSpurensuche vom Kaiserreich bis in die Gegenwart.
Istituto Italiano di Cultura Berlino, Selbstverlag 1997 Eines der interessantesten Kapitel der ausländischen Zuwanderung nach Berlin wurde in unserem Jahrhundert zweifelsohne von Italienern geschrieben, Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen ihre Heimat verließen und besonders im Nor- | ||||||
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schuldet ist). Neugierig auf solche Details macht
in diesem Zusammenhang auch der kurze Beitrag über den Schauspieler und Zirkusdirektor
Mario Turra, dessen spannendes Leben noch einer
ausführlicheren Darstellung harrt.
»Italiener in Prenzlauer Berg« ist eine wichtige Ergänzung von Mario Tamponis Broschüre »Italiener in Berlin«, die 1996 von der Ausländerbeauftragten des Berliner Senats herausgegeben wurde, eine Arbeit, die über den Stadtbezirk Prenzlauer Berg hinaus Beachtung verdient. Dieter Götze | uralten Berlin, aber auch nur noch wenige
Bauherrlichkeiten aus späteren Jahrhunderten vorhanden. Dies ist auf wiederholte große Brände
im Mittelalter ebenso zurückzuführen wie auf
Abrißmaßnahmen, um, wie auch im Fall des Hohen Hauses geschehen, Platz für neue Gebäude zu schaffen. Zahlreiche Häuser wurden schließlich Opfer der Bomben des Zweiten Weltkrieges. Der Autor hat viele Details über die einstige
Bebauung dieses Gebietes und seine Bewohner zusammengetragen. Er beschreibt, wie bestimmte Gebäude im Laufe der Jahrhunderte unterschiedlich genutzt wurden. Das Buch ist weit mehr als nur
eine stadtgeschichtliche Bestandsaufnahme; in ihm enthalten sind auch viele der Vergessenheit
entrissene Geschichten.
Mit Sachkenntnis und viel Phantasie weckt Ralph Hoppe Interesse für dieses heute von trutzigen grauen Gebäuden wie Amtsgericht, Finanzsenat, Stadthaus und GASAG geprägte Viertel, in dem die Wohnadresse des Pfarrers im evangelischen Gemeindehaus die Ausnahme ist und in dem keine Geschäfte zum Bummeln einladen. Ein Stück vom eigentlichen Berlin, im Augenblick allerdings noch eine ziemlich verlassene Ecke, aber mit einer lebendigen, wissenswerten Geschichte, wird dem Leser vor Augen geführt. Etwas schwerer tut sich Hoppe mitunter mit der Nachkriegsgeschichte. Mehr aufgesetzt als passend wirken konstruierte Assoziationen beispielsweise zwischen einem möglichen Kaninchen auf den Grünanlagen neben der Klosterkirchenruine und dem in der DDR verbotenen Buch »Das Kaninchen bin ich« von Manfred Bieler. Der gleichnamige DEFA-Film war damals ebenfalls verboten worden und kam erst nach der Wende in die Kinos. Das ist allgemein bekannt. Warum aber so ein »Aufwand«, wenn außer einem Schwenk der Kamera vom Gericht in der Littenstraße (früher Neue Friedrichstraße) zu den Ruinenresten in dem Film nichts Bezug zum historischen Klosterviertel hatte. | |||||
Ralph Hoppe
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Ungeachtet dessen lohnt es, das Buch beim Spaziergang durch das zwar relativ kleine und
überschaubare Viertel mit heute nicht einmal mehr 30 Gebäuden bzw. -komplexen bei sich zu
haben. Über das in der Barockzeit erbaute Stadtpalais
während des Krieges bis auf die Mauern
zerstört und in den 50er Jahren wiederaufgebaut ist z.
B. zu erfahren, daß es einst der Wohnort des
preußischen Staatsministers Heinrich Graf von
Podewils (16951760) war. Nach ihm ist das Gebäude ab
Juli 1992 erneut benannt worden. Zu DDR-Zeiten ein Domizil für Kinder und Jugendliche, waren hier bis zu 50 verschiedenartige künstlerische
Gruppen tätig. Die Bandbreite reichte vom Kabarett
über Foto- und Keramikzirkel bis zum
Jugendensemble. Als »Haus der jungen Talente« ist es nicht
zuletzt auch durch das seit 1971 alljährlich veranstaltete internationale Festival des politischen Liedes sowie viele weitere Veranstaltungen über Stadt
und Landesgrenzen hinaus bekannt geworden. Heute versteht sich das Podewil als Zentrum
zeitgenössischer, aktueller und experimenteller
Kunstformen sowie als Begegnungsstätte in- und
ausländischer Künstler.
In unmittelbarer Nachbarschaft des Palais Podewil befand sich das 1574 eröffnete Gymnasium Zum Grauen Kloster. Über Jahrhunderte hinweg war es die Eliteschule des Berliner Bürgertums. Der Vater von Theodor Fontane, aber auch Karl Friedrich Schinkel und Otto von Bismarck, Deutschlands späterer Kanzler, haben dieses Gymnasium besucht. In einer weiteren Bildungseinrichtung in diesem Viertel wurden ebenfalls junge Menschen auf die Zukunft, allerdings auf eine Militärlaufbahn, vorbereitet. Dies geschah fast vis-àvis. Die Königliche Kadettenanstalt befand sich am Standort des heutigen Amtsgerichts. In einer Garnisonstadt wie Berlin war das Militär nicht nur präsent, es sorgte zugleich für gut ausgebildeten Nachwuchs. Wenn auch längst nicht auf solchem Niveau, aber immerhin Lesen, Schreiben | und Rechnen wurden im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts elternlosen Kindern in einem
am Spreeufer errichteten Waisenhaus beigebracht.
Der einstige Ort ist leicht auszumachen, denn das nun an dieser Stelle stehende graue Verwaltungsgebäude der GASAG ist schon von der Stadtbahn aus zu sehen. In diesem Bereich befand sich über viele Jahre eine Flußbadeanstalt, die nicht nur von den Kindern des Waisenhauses gern genutzt wurde. Um die Atmosphäre sowohl im Gymnasium als auch im Waisenhaus deutlich zu machen, bedient sich Hoppe hier, wie auch an anderen Stellen des Buches, dem Zugriff auf zeitgenössische Literatur. Das ist eine durchaus legitime Möglichkeit, um Farbe in die sonst sachliche Darstellung zu bringen. An das Waisenhaus erinnert heute noch ein Straßenname. Nur ein paar Schritte sind es von der Waisenstraße bis zur Parochialstraße, wo sich neben der gleichnamigen Kirche der älteste noch erhaltene Friedhof Berlins befindet. Die Kirche ist täglich geöffnet, Führungen können vereinbart werden. Ausführliche Texttafeln im Inneren des sakralen Gebäudes informieren den Besucher über die Geschichte der Kirche sowie über ihr einst berühmtes Glockenspiel. In der Parochialstraße wurde Mitte der zwanziger Jahre von Ernst Friedrich das erste Berliner Anti-Kriegsmuseum eröffnet. Nach Hitlers Machtergreifung besetzte die SA das Haus und funktionierte es für ihre Zwecke um. Nicht nur die Namen von Besitzern, Bewohnern und Nutzern der Gebäude im Klosterviertel wurden von Ralph Hoppe recherchiert, oft nennt er auch Architekten und Baumeister. Der Leser erfährt beispielsweise, daß es hier eine Königliche Kunstschule gab, die sich direkt an den Klosterkomplex anschloß, oder welche Museen in welchen Gebäuden zu welchem Zeitpunkt untergebracht waren. Künstler, die zu ganz verschiedenen Zeiten in einer der beschriebenen Straßen lebten oder ihre | |||||
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Ateliers hatten, werden genannt, darunter
Christian Daniel Friedrich Rauch und Käthe Kollwitz.
Erinnert wird an das schwere Schicksal der Juden, die bereits ab 1290 in der Umgebung der
heutigen Jüdenstraße siedelten.
Sehr ausführlich beschäftigt sich der Autor mit dem U-Bahnhof Klosterstraße. An diesem Ort beginnt und endet sein historischer Spaziergang. Interessant gestaltet, lädt er zum Verweilen regelrecht ein. Da dieser Bahnhof nicht allzusehr von ein- und aussteigenden Fahrgästen frequentiert ist, kann sich in aller Ruhe umgeschaut werden. Natürlich wird dem Leser, wie könnte es anders sein, das wohl legendärste Gasthaus Berlins nicht vorenthalten. »Zur letzten Instanz« soll, wie sein Besitzer in einem Faltblatt festgeschrieben hat, das älteste Berliner Lokal sein. Viele Geschichten und Geschichtchen ranken sich um dieses Haus, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft man den einzigen noch erhaltenen Teil der ältesten Stadtmauer Berlins in Augenschein nehmen kann. Vielleicht hundert Schritte entfernt, befindet sich das schon erwähnte Land- und Amtsgericht. Für dort Vorgeladene war das Gasthaus nach dem Prozeß ein Ort, um den Erfolg zu feiern bzw. den Frust zu ertränken. Alles in allem ein detaillierter Spaziergang durch einen geschichtsträchtigen Teil Alt-Berlins, der gewiß größeres Interesse verdient, als es gegenwärtig der Fall ist. Um den Neulingen unter den Stadtwanderern die zeitliche Einordnung von wichtigen Ereignissen im Klosterviertel noch überschaubarer zu machen, wäre eine kurze Chronik am Buchende nützlich gewesen, so wie es im Band 78 der Reihe »Berlinische Reminiszenzen« erfolgt ist. Hier lädt Stefan Eggert zu einem Spaziergang durch Schöneberg ein. Der Leser wird durch Historie und Gegenwart des Bezirks geführt. Dabei sind Viktoria-Luise- und Winterfeldtplatz, Rudolf-Wilde- und Kleistpark oder das Bayerische Viertel ebenso Stationen wie die Friedhöfe mit den | Grabstätten berühmter und weniger berühmter Berliner. Aber auch die Ceciliengärten, der Lindenhof und Friedenau werden vorgestellt.
Gespannt darf man auch auf die nächsten Ausgaben
der »handlichen« und hübsch aufgemachten
»Berlinischen Reminiszenzen« sein.
Jutta Aschenbrenner | |||||
© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de