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nationale Volkspartei gerichtet, die als Koalitionspartner ausgeschaltet werden sollte. Ihre Kampfstaffeln wurden, da angeblich durch kommunistische und marxistische Elemente verseucht, verboten.
     Die Sonderaktion wurde von SA-Sturmbannführer Herbert Gehrke geleitet. Ab vier Uhr morgens befanden sich am 21. Juni die Köpenicker SA-Stürme mit mehreren hundert Mitgliedern in erhöhter Alarmbereitschaft. Vormittags erhielten sie Verstärkung durch den berüchtigten Maikowski-Sturm aus Charlottenburg. Unterstützung erhielt die SA von Gestapo und Polizei. Ihren Ausgangspunkt nahm die Terroraktion in der Siedlung Elsengrund am S-Bahnhof Köpenick. In den Vormittagsstunden des 21. Juni wurden die ersten Verhaftungen vorgenommen. Der von Gehrke geführte Sturmbann 15 hatte sein Stabsquartier im Köpenicker Amtsgericht, das zu einer berüchtigten Folterhölle wurde. In den einzelnen Gefängniszellen waren zeitweise bis zu 20 Personen zusammengepfercht.
     Die Einlieferungen waren so zahlreich, daß nicht einmal mehr die Personalangaben aufgenommen wurden.
     Abends gegen 22.15 Uhr – nach Angaben der Gestapo gegen 23.30 Uhr – drang der SA-Sturm 1/15 erneut in das Haus Alte Dahlwitzer Straße 2 ein, angeblich, um »auftragsgemäß eine Durchsuchung bei dem sozialdemokratischen Gewerkschaftsfunktionär« Johannes Schmaus durchzuführen.
Herbert Mayer
Mahnung an die Köpenicker Blutwoche

Wer den S-Bahnhof Köpenick verläßt und in nördlicher Richtung geht, gelangt bald in den Stellingdamm, der Weg führt weiter zur Schmausstraße, zum Essenplatz und zur Janitzkystraße. Vielen Berlinern und Touristen werden diese Namen kaum etwas sagen. Sie sind – wie auch die Pohle-, Spitzer-, Aßmann- und Karl-Pokern-Straße – mit dem wohl schrecklichsten Ereignis der Köpenicker Geschichte in unserem Jahrhundert verknüpft. Die Straßen tragen – meist seit 1947 – die Namen von Antifaschisten, die in der Köpenicker Blutwoche vom 21. bis 26. Juni 1933 von der SA ermordet wurden.
     In einer vorbereiteten Sonderaktion wurden Hunderte von Gegnern des NS-Regimes in Köpenick verhaftet und in SA-Sturmlokalen mißhandelt und gefoltert. Die Zahl der Ermordeten ist bis heute nicht exakt ermittelbar. Unter den Opfern befanden sich Oppositionelle verschiedener politischer und weltanschaulicher Richtung: Kommunisten, Sozialdemokraten, Parteilose, Gewerkschafter, Mitglieder von Jugendorganisationen, Juden. Ursprünglich waren die Aktionen auch gegen die Deutsch-

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Dessen Sohn Anton forderte die SA-Leute auf, das Haus zu verlassen. Als sich die SA-Leute auf ihn stürzten, erschoß er in Notwehr zwei von ihnen, ein dritter SA-Mann starb wenige Tage später an seinen Verletzungen. Bei dieser Auseinandersetzung wurde vermutlich auch Erich Janitzky, der verhaftet auf einem SA-Lastwagen saß, erschossen. Seine Leiche wurde in der Alten Dahlwitzer Straße gefunden. Die SA versuchte, Janitzkys Tod auf Schmaus abzuwälzen. Zeugen bestätigten später, daß er von der SA ermordet wurde. Anton Schmaus floh in Richtung Friedrichshagen und stellte sich der Polizei, in der illusionären Erwartung, Schutz vor der SA zu erhalten. Er wurde in das Polizeipräsidium am Alexanderplatz eingeliefert, wo ihn SA-Leute in ihre Gewalt brachten. An den erlittenen Schußverletzungen verstarb er später. (Nach Zeugenaussagen war Sturmbannführer Gehrke der Mörder.) Der Vater von Anton Schmaus wurde von den SA-Männern gelyncht, im eigenen Haus aufgehängt.
     Sturmbannführer Gehrke befehligte im Amtsgerichtsgebäude auch eine Kommission, die über das Schicksal der Gefangenen bestimmte. Als Folterstätte wurde die Gefängniskapelle benutzt. Viele Verhaftete aus der Siedlung Elsengrund wurden in das SA-Sturmlokal Seidler in der Mahlsdorfer Straße verschleppt. Weitere Köpenicker Folterstätten waren das SA-Lo-
kal Jägerheim in der heutigen Puchanstraße (damals Kaiserin-Auguste-Viktoria-Straße) und das SA-Heim Müggelseedamm im Müggelseedamm (damals Seestraße).
     23 Ermordete sind heute namentlich sicher nachgewiesen, doch liegt ihre Zahl höher. Bei einigen Opfern ist die Identität nicht völlig geklärt, einige gelten als vermißt, da ihr Tod sich nicht amtlich nachweisen läßt. Zu den ersten Ermordeten gehörten die Kommunisten Joseph und Paul Spitzer und Karl Pokern, die vom SA-Sturm 2/15 (Demuth-Sturm) im SA-Lokal Demuth in der damaligen Elisabethstraße (heute Pohlestraße) mißhandelt wurden. Weitere Opfer waren der Sozialdemokrat Richard Aßmann, der Gewerkschaftssekretär und Bezirksvorsitzende des Reichsbanners Paul von Essen sowie der Reichstagsabgeordnete, frühere mecklenburgische Ministerpräsident und SPD-Vorstandsmitglied Johannes Stelling.
     Die erste zusammenfassende Darstellung über die Köpenicker Blutwoche lieferte die Tarnschrift der KPD »Luftschutz ist Selbstschutz«. Erschütternd der Bericht eines Augenzeugen: »Als die Nachricht von der Erschießung der drei SA-Leute eintraf, wurde unter uns Gefangenen ein schreckliches Blutbad angerichtet. Mit Stühlen, Peitschen und Seitengewehren schlug man auf uns ein. Im Kirchensaal schwammen etwa 35 Arbeiter in ihrem Blute. Die Kleider heruntergerissen. Die
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SA trampelte mit den Stiefeln auf ihnen herum. Blut und Fleischstücke wurden zusammengefegt und mit Eimern herausgetragen.«
     Hilfe und Unterstützung erhielten die Opfer und Verfolgten von mutigen Köpenickern. Es gab so viele Verletzte, daß Ärzte protestierten. Dr. Lehmann aus der Oberspreestraße schrieb an den Berliner Polizeipräsidenten, er habe in der letzten Nacht elf Leute behandelt, von denen neun in Krankenhäuser gebracht werden mußten, ein Mann (Spitzer) sei im Krankenhaus an den Folgen der Mißhandlungen verstorben, »die Empörung über das Vorgehen der SA (sei) auch in nationalen Kreisen sehr groß«. Hilfe leistete unter anderen das Pfarrerehepaar Ratsch in der Freiheit 14, das auch beim NSDAP-Bürgermeister gegen das brutale Vorgehen der SA protestierte.
     Der Umfang und die Brutalität der Verbrechen wurden von der Propaganda vertuscht. Das NS-Regime betrauerte die drei toten SA-Leute, die postum befördert wurden.
     Sie erhielten ein Staatsbegräbnis, an dem auch Goebbels teilnahm, ihnen wurden Gedenktafeln gewidmet, nach ihnen wurden Straßen benannt.
     Erst nach Kriegsende konnten die Vorgänge der Justiz übergeben werden. Bereits in einem von SPD, KPD und CDU unterzeichneten Flugblatt von 1945 wurden die Köpenicker aufgefordert: »Köpenicker Au-
genzeugen! Wir brauchen Eure Hilfe! Schildert uns, was Ihr erlebtet, nennt uns die am Prügeln beteiligten Nazibanditen, ihre Helfer, Angeber und Anstifter. Wir wollen sie alle zur Verantwortung ziehen ... Erwünscht sind nur eindeutige Angaben, keine leichtfertigen oder böswilligen Anfeindungen!« Der erste Prozeß fand vor der 1. Großen Strafkammer in Berlin-Moabit vom 19. bis 21. Juni 1947 statt. Vier SA-Leute waren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit entsprechend den Kontrollratsgesetzen angeklagt. Es wurden zwei Freiheitsstrafen von acht Jahren und 18 Monaten ausgesprochen; eine Angeklagte wurde freigesprochen, ein Angeklagter war vor dem Prozeß geflohen. In einem weiteren Prozeß in Moabit im August 1948 wurden zwei SA-Leute zu 15 Jahren, einer zu sechs Monaten Zuchthaus verurteilt. Im dritten und letzten Prozeß von 5. Juni bis 19. Juli 1950 vor der 4. Großen Strafkammer des Ostberliner Landgerichts waren 61 Personen angeklagt, von denen aber nur 32 anwesend waren. Die Anklageschrift umfaßte 350 Seiten, 400 Zeugen wurden gehört. Diese Verhandlung ging als »Prozeß gegen Plönzke und andere (Köpenicker Blutwoche)« in die Geschichte ein. Plönzke und 15 weitere Angeklagte wurden zum Tode, 13 zu lebenslänglicher Haft, die anderen Angeklagten zu Freiheitsstrafen zwischen fünf und 25 Jahren verurteilt.
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