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Heute, mitten im Grünen und vom Volk nur durch einen Zaun getrennt, empfängt Roman Herzog im Schloßgarten unter militärischen Klängen Staatsgäste; hier finden Empfänge und Auszeichnungen manchmal mit mehreren hundert Gästen statt. Die Vorfahrten gehen ohne größere Probleme vonstatten, der Bundesgrenzschutz hat gute Sicht.
     Da die 150 Mitarbeiter des von Bonn nach Berlin umgesiedelten Bundespräsidialamtes im Schloß dicht an dicht aufeinander sitzen würden, entsteht südlich von Bellevue ein Ergänzungsbau, der von den Architekten Helmut Kleine-Kraneburg und Martin Gruber entworfen wurde. Sie waren Preisträger eines Wettbewerbs, für den 283 Entwürfe eingesandt wurden. Wegen des ovalen Grundrisses hat das 91 Millionen Mark teure Haus mit 138 Büroräumen in vier Obergeschossen bereits den Spitznamen Präsidenten-Ei weg. Um für den Neubau Platz zu schaffen, mußten 82 alte Bäume gefällt werden. Als Ersatz wurden im Präsidentengarten 676 junge Bäume gepflanzt. Grundsteinlegung war am 14. Oktober 1996, Fertigstellung soll im Juli dieses Jahres sein.
     Im Zusammenhang mit der Errichtung dieses Neubaues mit viel Glas in der grauschwarzen Natursteinverkleidung hatten Mitarbeiter des Munitionsbergungsdienstes zahlreiche Granaten aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden und entschärft,
Helmut Caspar
Präsidenten-Ei neben Preußenschloß

Vor wenigen Jahren gab es Überlegungen, die Residenz des Bundespräsidenten im Kronprinzenpalais Unter den Linden aufzuschlagen. Das in DDR-Zeiten »Palais Unter den Linden« genannte Anwesen gegenüber dem Zeughaus (Deutsches Historisches Museum) und Schinkels Neuer Wache (Mahnmal für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft) wurde jedoch wegen der unmittelbaren Nähe zum großstädtischen Verkehr als nicht sicher genug angesehen, und so blieb es bei der bisherigen Nutzung des Schlosses Bellevue im Tiergarten als Herberge des deutschen Staatsoberhauptes.
     Rund vierzig Jahre zuvor betonte der damalige Bundespräsident zur Einweihung des Berliner Amtssitzes des Bundespräsidenten am 18. Juni 1959, daß mit dem wiederhergestellten Schloß ein Stück Berlin aus der Asche wieder auferstanden sei. Daß die Präsenz des Bundes in der »Frontstadt« Westberlin angesichts der vom sowjetischen Parteichef Chruschtschow betriebenen Isolation ein politisches Wagnis war, beunruhigte Heuss wenig, als er die Berliner zum ersten Rundgang in seine neuen Amtsräume bat.

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während Archäologen vom Berliner Landesdenkmalamt im Schloßgarten Reste einer bronzezeitlichen Siedlung ausgegraben haben.
     Schloß Bellevue (»Schöne Aussicht«) ist gut zweihundert Jahre alt. Erbaut nach Plänen von Michael Philipp Boumann für den preußischen Prinzen August Ferdinand, diente der Adelssitz einige Zeit den Hohenzollern als Sommerresidenz, sah aber auch andere Besitzer. Die noble Dreiflügelanlage mit weitem Ehrenhof und Figurenschmuck ist der erste Bau dieser Art in Berlin, der im damals noch recht ungewöhnlichen frühklassizistischen Stil errichtet wurde. Der Baumeister orientierte sich am Wörlitzer Schloß des Fürsten Franz III. von Anhalt-Dessau, dessen Architekt Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff englische Schlösser zum Vorbild genommen hatte.
     Mitte des 19. Jahrhunderts wurde im Schloß Bellevue eine Gemäldegalerie eingerichtet, die schon bald der Berliner Nationalgalerie zufiel.
     In den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts kam kurzzeitig das Museum für Volkskunde in das Schloß Bellevue, das ab 1938 in ein »Reichsgästehaus« umgebaut wurde. Das Schloß mußte dabei erhebliche Eingriffe in die Raumstruktur und Innenausstattung hinnehmen. Da viel neuer Platz für Hitlers Gäste gebraucht wurde, wurden dem Palais seitliche Anbauten hinzugefügt. Sie wurden in den fünfziger Jahren, als
das im Zweiten Weltkrieg schwer zerstörte Schloß als Berliner Amtssitz des Bundespräsidenten seine Wiedergeburt erlebte, weggelassen. Nur wenige Säle konnten damals im Stil des späten 18. Jahrhunderts rekonstruiert werden, währen sich die meisten Räume in modernfunktionaler Gestalt zeigen.
     Wie zu hören ist, sollen Besichtigungstouren veranstaltet werden, wenn das Ei nebenan fertiggestellt sein wird. Mit der Präsidentenwahl im Sommer 1999 wird das umgebaute Reichstagsgebäude wenige hundert Meter von Schloß Bellevue entfernt offiziell eröffnet. Dessen Ausbau geht mit Riesenschritten voran.
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© Edition Luisenstadt, 1998
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