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stellen zu wollen, vorausgesetzt, die Frauen würden zur Immatrikulation zugelassen.
     Sie schrieb:
An den Universitäten Bayerns, Württembergs und Badens ist den Frauen bereits seit einigen Jahren durch Zulassung zur Immatrikulation die Möglichkeit eines ordnungsgemäßen Studiums eröffnet. Ich zweifle nicht, dass eine gleiche Auffassung zu Gunsten der Frauen binnen Kurzem auch an den Preußischen Universitäten oder wenigstens in Berlin erfolgen wird. In der Voraussetzung, dass die Frauen zur Immatrikulation zugelassen werden, biete ich der Berliner Universität ein Kapital von zweimalhunderttausend Mark an, dessen Zinsen für studierende Frauen bestimmt sein sollen. Als Bedingungen setze ich für die Ausführung der Stiftung fest, dass das Stipendium auf Frauen (die an der Berliner Universität immatrikuliert sind – A. V.) beschränkt und in Jahresbeträgen von eintausend Mark an jede derselben vergeben werden soll, wobei ich voraussetze, dass jeder Stipendiatin daneben noch ein zusätzliches Einkommen von fünfhundert Mark aus eigenem Vermögen oder durch Zuschuss von dritter Seite gesichert ist. Der geneigten Erklärung des Herrn Rektor und des Senats der Universität hoffe ich hiernach entgegensehen zu dürfen.
      In vorzüglicher Hochachtung
Ottilie v. Hansemann geb. v. Kusserow (Bl. 1)
Annette Vogt
Wie der Universität viel Geld entging

200 000 Mark hätte die Hansemann-Stiftung gebracht

In der Geschichte der Berliner Universität nahmen die verschiedensten Stiftungen einen besonderen Platz ein. Ihre Gründer wollten sich nicht nur selbst ehren, sie verbanden mit diesen Stiftungen in der Regel auch Auflagen an die Universität, die von ihrem Verantwortungsbewußtsein oder Mäzenatentum kündeten. Im Rahmen dieser Stiftungen verdienen zwei besondere Aufmerksamkeit, weil sie die Situation für studierende Frauen an den preußischen Universitäten zu Beginn unseres Jahrhunderts erhellen. Es handelt sich um den Elsa-Neumann-Preis (BM 8/97) und die Ottilievon-Hansemann-Stiftung.
     Im Januar 1907, als es Frauen in Preußen noch verwehrt war, sich immatrikulieren zu lassen, schrieb die Witwe des Geheimen Kommerzienrates von Hansemann, Ottilie von Hansemann, geborene von Kusserow, an die Berliner Universität einen Brief und kündigte an, der Universität die beachtliche Summe von 200 000 Mark zur Verfügung

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Der Brief zeigt, daß Ottilie von Hansemann sehr genau über die Situation an den deutschen Universitäten Bescheid wußte. Die Reaktionen der Universität zeugen dagegen von dem Unbehagen, das dieses generöse, aber mit Auflagen verbundene, Anerbieten hervorrief. In den Archiv-Akten sind noch alle Materialien enthalten, die die Leitung der Universität über die Verhältnisse bezüglich des Frauenstudiums in Deutschland anfertigen ließ. (Bl. 2–6) Schließlich schrieb der Rektor der Universität am 1. März 1907 in seinem Brief an die »hochgeehrte gnädige Frau«, daß die Universität »zur Zeit noch nicht in der Lage (ist – A. V.), die Stiftung anzunehmen, da die Voraussetzung ... noch nicht zutrifft«. (Bl. 7)
     Ottilie von Hansemann hatte sich in ihrer zeitlichen Vorhersage über das Frauenstudium in Preußen nur unwesentlich geirrt, und bald folgte der »Erlaß zum Immatrikulationsrecht für Frauen an preußischen Universitäten vom 18. August 1908«. Er enthielt neben der lange erkämpften und sehnsüchtig erwarteten Zusage des Immatrikulationsrechtes für Frauen jedoch einen bezeichnenden Paragraphen, der besagte: »3. Aus besonderen Gründen können mit Genehmigung des Ministers Frauen von der Teilnahme an einzelnen Vorlesungen ausgeschlossen werden.«
     Es war nun genau dieser Paragraph und nicht irgend eine unwichtige Verfahrensfrage, wie Klaus Schultz 1994 schrieb,1) der
in dem nun folgenden Briefwechsel bis zum November 1915 zwischen Ottilie von Hansemann und den jeweiligen Rektoren der Berliner Universität (die Rektoren wurden bis 1932 jährlich gewählt) die Hauptrolle spielte. Klaus Schultz hatte das Problem einfach nicht verstanden, da er formulierte, daß »nur (wegen – A. V.) eines Paragraphen im Statut, der der Stifterin mißfiel, und den der Minister nicht zu streichen gewillt war«, die Stiftung nicht realisiert werden konnte.
     Der Erlaß war kaum verkündet worden, da beauftragte das Kultusministerium Rektor und Senat der Universität, »die Verhandlungen mit Frau von Hansemann wider aufzunehmen« (Bl. 8) und über den Fortgang derselben zu berichten. Bereits vier Tage später, am 8. September 1908, schrieb der Mathematiker Hermann Amandus Schwarz (1843–1921), der in jenem Jahr als Rektor amtierte, an Ottilie einen schönen Brief und fügte auch eine Kopie des Ministererlasses bei. Er bat auch gleich um die Überweisung der 200 000 Mark an die Universitätskasse und versicherte, »Ihnen demnächst weiter zu berichten«. (Bl. 9) Aber so einfach sollte die Universität denn doch nicht in den Besitz dieser großen Kapitalsumme gelangen.
     In ihrer Antwort schrieb Ottilie von Hansemann höflich, daß sie, bevor sie die Summe überweisen wolle, erst noch einige Fragen klären wollte, insbesondere zum Paragraphen 3 des Ministererlasses, und sie zitierte Zeitungsberichte, in denen geschil-
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dert wurde, wie ebendieser Paragraph von einigen Professoren dazu benutzt wurde, Frauen von dem Besuch ihrer Vorlesungen auszuschließen. (Bl. 11–12) Inzwischen hatte zu Beginn des neuen Wintersemesters das Amt des Rektors gewechselt, und H. A. Schwarz konnte den leidigen Schriftwechsel mit der unnachgiebigen Frau von Hansemann seinem Nachfolger, dem Professor für Kirchen-, Straf- und Staatsrecht Wilhelm Ernst Petrus Kahl (1849–1932), übergeben. Dieser besuchte sie im November 1908 in ihrer Wohnung in Berlin-Tiergarten und brachte zwar den Entwurf der Statuten der »Studien-Stiftung« mit, aber er schrieb eine »Notiz«, in der er festhielt, daß bei seinem Besuch Frau von Hansemann eine »Erklärung abgegeben (hat – A. V.), die Ausführung der von ihr beabsichtigten Stiftung so lange zurück halten zu wollen, bis die Bestimmung wieder aufgehoben sei, wonach den einzelnen Dozenten mit Genehmigung des Herrn Minister gestattet ist, Frauen die Zulassung zu den Vorlesungen zu verweigern«. (Bl. 20) Nun gab es wirklich an der Berliner Universität Professoren, die diesen »Ausschließungsparagraphen« auch anwandten. In einem erneuten Schreiben des Rektors Kahl an Ottilie von Hansemann am 28. November 1908 betonte er nämlich, daß der Senat der Universität die Situation er-örtert habe und daß er ihr zur Kenntnis geben wolle, »dass es tatsächlich von den nahezu 500 Professoren und Dozenten unserer Universität nur zwei sind, die mit Genehmigung des Herrn Minister Frauen von ihren Vorlesungen ausschließen. Dem Professor Dr. Roethe war das Recht ... bei seiner Berufung von dem Ministerium schriftlich zugesichert ... Der zweite Fall betrifft den Prof. Dr. Lesser, ... Professor Waldeyer, ... kommt nicht mehr in Betracht.
     Es handelt sich tatsächlich also nur um Prof. Roethe, dessen Fach aber noch durch andere Professoren und Privatdozenten vertreten ist.« (Bl. 21–21 R)
     Der Germanist Gustav Roethe (1859–1926), seit 1902 ordentlicher Professor an der Philosophischen Fakultät, war stadtbekannt dafür, daß er sowohl gegen Hörerinnen als auch gegen studierende Frauen auftrat. Ihm war vom Kultusministerium noch nach dem Erlaß über das Frauenstudium und unter Bezug auf Paragraph 3 dieses Erlasses im Oktober 1908 »ausnahmsweise« genehmigt worden, »daß Sie auch fernerhin Frauen von der Teilnahme an Ihren Vorlesungen und Übungen ausschließen«.2)
     Professor Edmund Lesser (1852–1918) war seit 1896 außerordentlicher Professor, ab 1910 Honorarprofessor und 1911 ordentlicher Professor für Dermatologie gewesen. Professor Wilhelm Waldeyer (1836–1921), seit 1883 Professor für Anatomie, galt als bekannter Verfechter gegen das Frauenstudium überhaupt.
     Der Rektor der Universität, Wilhelm Kahl, hatte jedoch recht, wenn er schrieb, daß
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Roethes Fach an der Fakultät noch durch andere Wissenschaftler vertreten wurde. Ebenfalls seit 1902 lehrte Konrad Burdach (1859–1936) als lesendes Akademiemitglied das Fach, ab 1905 Privatdozent Georg Baesecke (1876–1951) und ab 1910 Professor Karl Drescher (1864–1928).
     Obwohl es sich bei den zwei Professoren in der Tat um Ausnahmen handelte, erkannte Ottilie von Hansemann, daß eine ministerielle Regelung wie der von ihr kritisierte Paragraph 3, wenn er bestehen bliebe, immer wieder einzelnen Herren Professoren die Möglichkeit einräumte, die gesetzlich zugesicherte Immatrikulation zu unterwandern. Sie bestand daher auf ihrer Forderung, der Minister möge diesen Paragraphen aufheben bzw. modifizieren. (Brief vom 2. 12. 1908, Bl. 22) Die Entscheidung über ihre Stiftung oblag damit dem Kultusministerium.
     In regelmäßigen Abständen schrieb nun Ottilie von Hansemann an den – jeweiligen – Rektor der Universität, erneuerte ihre Bereitschaft zur Aufnahme der Stiftung, betonte jedes Mal, daß die Summe von 200 000 Mark bei der Disconto-Gesellschaft Berlin hinterlegt worden war, und erinnerte die beteiligten Herren an ihr »Geschenk«.
(Vgl. 1909, Bl. 24 und 1914, Bl. 33)
     Dann erhielt sie Unterstützung: Am 31. August 1910 hatten sich zehn Berliner Frauen in einem sechsseitigen Schreiben an den Rektor und Senat der Universität gewandt,
um anläßlich des Universitätsjubiläums auf ein Problem aufmerksam zu machen. Sie begrüßten ausdrücklich die »Öffnung der Universität für das weibliche Geschlecht« und die »Verwirklichung des Gedankens der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau«.3) Dann wiesen sie darauf hin, daß die wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten gegen Frauen jedoch andauerten, und nannten das von Ottilie von Hansemann bereitgestellte Kapital, das die Universität immer noch nicht nutzen wollte. Die Verfasserinnen kannten ganz offenbar auch den Schriftwechsel zwischen Universität und Ministerium, den sie indirekt erwähnten. Sodann baten sie den Rektor und Senat erstens um eine Unterredung mit den Professoren Roethe und von Wilamowitz,4) um von diesen den Verzicht auf die Ausschließung der Frauen zu erwirken, zweitens baten sie, die Universität möge den Minister um »alsbaldige Aufhebung der Ziffer 3 des Erlasses vom 18. August 1908« ersuchen, und drittens forderten sie die Universität auf, sie möge »sogleich nach erfolgter Aufhebung das Kapital von 200 000 M ... übernehmen«.
(Bl. 27 bis 29)
     Unter diese Petition setzten unter anderen Helene Lange (1848–1930) und Alice Salomon (1872–1948) ihre Unterschrift.
     Die Frauen erhielten zwar vom Rektor der Universität im September 1910 die Antwort, daß man die Vorwürfe zu den Herren Roethe und von Wilamowitz zur Kenntnis genom-
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   42   Probleme/Projekte/Prozesse Hansemann-Stiftung  Vorige SeiteAnfang
men habe, aber eine Änderung der Haltung erfolgte nicht.
     Nachdem Ottilie von Hansemann nochmals 1913 und 1914 ihr Angebot erneuert hatte, obwohl ihr in einem Schreiben des Ministers vom 20. November 1913 erklärt wurde, er könne den beanstandeten Paragraphen nicht aufheben (Bl. 38), machte sie schließlich im Oktober 1915 von ihrem Recht Gebrauch und verwendete die 200 000 Mark anderweitig. (Bl. 39 bis 40) In ihrem Brief vom 5. November 1915 schrieb sie voller Genugtuung, daß das Kapital der »zurückgewonnenen Stiftung« ... »den studierenden Frauen, wenn auch auf einem anderen Wege, dienstbar geblieben ist«. (Bl. 43)
     Die Querelen um das Kapital der 200 000 Mark der Stiftung von Ottilie von Hansemann hatten von Januar 1907 bis November 1915 gedauert, ohne daß sich die Universität gegenüber ihren zwei Professoren bzw. dem Kultusministerium durchsetzen konnte. Zwei Herren vermochten es, ihre Meinung gegenüber einer absoluten Mehrheit weiter durchzusetzen.
     Die 200 000 Mark wurden indes zum Bau des »Ottilie von Hansemann Hauses« verwendet, einem Wohnheim für Studentinnen, das »eine Art von Glaubensbekenntnis zu der Zukunft des Frauenstudiums« geworden war, wie es Helene Lange 1919 in ihrem »Gedenkblatt« für Ottilie von Hansemann nannte.
Quellen und Anmerkungen:
1 Klaus Schultz, Stiftungen zur Studien und Forschungsförderung an der Berliner Universität. Ihr Schicksal in den Jahren der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Beiträge zur Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin, Nr. 32, Berlin 1994, S. 11 zur Hansemann-Stiftung
2 Das Kultusministerium an Professor Roethe, 3. 10. 1908, Kopie an den Rektor und Senat der Universität, in: Archiv HUB, Akte UK R 177, Bd. 1, Bl. 6. Das Ministerium berief sich auf seinen Antrag vom 16. September 1908 und »mit Rücksicht auf die Ihnen bei Ihrer Versetzung an die hiesige Universität erteilten Zusicherungen«. Ebenda. Diesen Hinweis verdanke ich Frau Kalb vom Archiv der HUB.
     3 Es handelte sich um Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (1848–1931), seit 1896 Professor für klassische Philologie.
     4 Helene Lange, Gedenkblatt. Ottilie von Hansemann. In: Die Frau 27 (1919/20), S. 215 ff.
     Alle Zitate aus dem Briefwechsel von Ottilie von Hansemann mit der Universität in: Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Rektor Nr. 350, Bl. 1–43. Im Text wird die jeweilige Blatt-Nummer in Klammern angegeben.
     Für die Daten zu den Privatdozenten und Professoren vgl. Johannes Asen, Gesamtverzeichnis des Lehrkörpers der Universität Berlin. 1810–1945. Leipzig 1955
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