21 Probleme/Projekte/Prozesse | 40 000 Versuche mit Steinen und Metallen |
tiker nicht die Bedeutung Marggrafs, aber er hat als Chemiker, Physiker und im Chemisch-Technischen vieles gefördert. Er war ein emsiger Beobachter vieler Naturerscheinungen und
naturwissenschaftlicher Entwicklungen, er zeichnete sich durch
eine ungewöhnliche, vielseitige
Betriebsamkeit aus, veröffentlichte zahlreiche Vorträge und Arbeiten und stützte sich bei vielen seiner Ausführungen auf Ergebnisse langer Versuchsreihen.
Da Achards Leben auch von großen finanziellen Bedrängnissen begleitet war, viele seiner Projekte Schulden verursachten, so daß sein Akademiegehalt zwangsverpfändet werden mußte, trieb die Peitsche der Schulden ihn auch von Unternehmung zu Unternehmung, bestimmte dadurch manche Arbeitsgebiete und erregte in der wissenschaftlichen Welt und in der Öffentlichkeit seiner Zeit auch manchen Zweifel am wissenschaftlichen Ernst des gehetzten, allzu »industriösen« Mannes. Zu den Problemen, mit denen er sich in den ersten Jahren seiner Akademiemitgliedschaft beschäftigte, gehörte die Elektrizität, die damals in Mode kam. Er war einer der ersten, der Luigi Galvanis (17371798) Versuche der »tierischen Elektrizität« wiederholte, die einen Ausgang für die Erforschung der »strömenden Elektrizität« bildete. Achard berichtete darüber Friedrich II., und der König zeigte sich sehr befriedigt über den Nachweis des Einflusses der Elek- | ||||||
Hans-Heinrich Müller
40 000 Versuche mit Steinen und Metallen Franz Carl Achard ein vielseitiger Wissenschaftler Wenn von Franz Carl Achard die Rede ist, so gemeinhin von dem Begründer
der Rübenzuckerindustrie, dem »Erfinder
des preußischen Zuckers«, wie er in
Gedichten schon zu seinen Lebzeiten gepriesen
wurde.1) Aber Achard war nicht nur
Rübenzüchter und Rübenzuckerproduzent,
sondern er war auch ein Chemiker, Physiker, Biologe und Physiologe.
| ||||||
22 Probleme/Projekte/Prozesse | 40 000 Versuche mit Steinen und Metallen |
trizität auf die geistige Fähigkeit;
wünschte, daß die elektrische Kraft dazu beitrage,
bei Kranken die Unordnung des Nervensystems zu beseitigen, um dann in spöttischer
Weise am Schluß seines Antwortbriefes zu
bemerken: »Wenn es Ihnen gelingt, durch
Elektrizität den Dummen Geist zu verschaffen, sind Sie mehr als Ihr Gewicht in Gold wert, denn Sie wiegen nicht so viel wie der
Großmogul.«2) Achard versuchte auch, mit
Hilfe von Elektrostößen Taubheit zu
behandeln, ohne jedoch greifbare Resultate zu
erzielen. Er arbeitete mit einem »Elektrophor«,
um elektrische Ladungen zu trennen, und befaßte sich mit elektrischen
Erscheinungen, die das Reiben von Quecksilber
hervorbringt.
Ironie schwingt bei Friedrich II. wiederum mit, wenn er an d'Alembert (17171783) schreibt: »M. Achard macht dephlogistierte (sauerstoffhaltige, d. V.) Luft.«3) Die Natur der »fixen Luft« hat Achard immer wieder beschäftigt. Er untersuchte die verschiedensten Luft- und Gasarten sowie Lufterscheinungen, Verbrennungsvorgänge, bestimmte den Sauerstoffgehalt, entwickelte Sauerstoffgebläse, um mit ihnen Schmelzversuche zu unternehmen und bessere Luft in die Krankenzimer der Charité zu blasen. 1779 beschrieb er ein Verfahren, um mit dephlogistierter Luft eine stärkere Hitze zu erzeugen, als es die besten Brenngläser und Brennspiegel vermochten.4) Dreizehn Nächte hat er einmal zugebracht, um optische Expe- | rimente durchführen zu können. Bei
solchen Anstrengungen kann sein häufiges
Unwohlsein nicht in Erstaunen setzen. So mußte
er z. B. das Bad Freienwalde zur Erholung aufsuchen. Achard befaßte sich mit
Adhäsion, Verdunstungskälte und -wärme, mit
der Messung der damals umstrittenen konstanten Temperatur des menschlichen
Körpers. Er beschäftigte sich mit der Wirkung
verschiedener Gase auf glühende Kohlen, dem Einfluß der Salzsäure auf Öle und
Seifen, mit Analysen der Schießpulvergase und
mit dem Siedepunktvergleich von
Salzlösungen unmöglich, hier all seine
Arbeitsgebiete und chemischen Experimente
aufzuführen. Es sind zumeist Wiederholungen oder
Bestätigungen von bekannten Experimenten oder Anregungen, die infolge des
unreifen Zustandes der Wissenschaft und wohl geringerer theoretischer Begabung noch
keine ernsthaften Fortschritte erkennen lassen.
Achard erforschte Mineralien und Gesteinsarten. 40 000 Versuche habe er unternommen, um die Bestandteile, die Zusammensetzung der Mineralien, Steine und Metalle zu ermitteln und genauer zu bestimmen. 1788 veröffentlichte er das Werk »Alliage métallique«, in dem er in tabellarischer Form die Eigenschaften der Metalle und Legierungen darstellt.5) Er untersuchte die Wirkung von Borsäure auf Metalle, die Herstellung farbiger Schmelzen mit Borax, Pottasche und Soda. Er hatte einen Apparat konstruiert, mit dem er durch die Behand- | |||||
23 Probleme/Projekte/Prozesse | 40 000 Versuche mit Steinen und Metallen |
lung von Erden und Alkalien mit
stark kohlensäurehaltigem Wasser unter hohem Druck künstliche Edelsteine und
Kristalle erzeugte, die jedoch nie auf dem Markt
erschienen. Dieser Apparat und das Laboratorium seien eine »sehenswerte«
Attraktion vieler Berlinreisenden und Gelehrten
gewesen.6) Er erfand bei den erwähnten
Versuchen wohl den ersten Platinschmelztiegel, der seitdem zu einem der wichtigsten
Bestandteile chemischer Laboratorien gehört.
Für seine zahlreichen chemischen und physikalischen Versuche entwickelte oder erwarb Achard mannigfaltige Instrumente, Geräte, Maschinen, Barometer, Thermometer, Retorten, Pumpen, Schmelztiegel, Kessel, Kugeln, Röhren, Gefäße, Öfen und vieles andere mehr, die Berliner Instrumentenmacher und Handwerker nach seinen Angaben anfertigten oder lieferten. 1791 verkaufte Achard der Akademie 300 »physikalische Instrumente« für 650 Taler. Beauftragte Gutachter der Akademie erklärten nach eingehender Prüfung, daß die »physikalische Klasse sich rühmen kann, einen schönen und wohlfeilen Zuwachs« an »neuesten und besten Instrumenten« erhalten zu haben.7) In den achtziger Jahren untersuchte Achard auf Bitten des Königs einheimische Pflanzen auf ihren Gehalt an Farbstoffen zum »Nutzen der Färberkunst« und um dem »Staat zu nützen«, auch um die Einfuhr ausländischer Farbmaterialien zu sparen. In 1 200 Versuchen prüfte er die Brauchbarkeit | |||||||
Achard, zeitgenössischer Scherenschnitt | |||||||
der gewonnenen Farben auf ihre Dauerhaftigkeit, prüfte er wollene, leinene, seidene und baumwollene Stoffe, indem er sie unter Verwendung verschiedener Salze und Farben in Laugen einweichte und verschiedenen Trocknungsarten aussetzte, um den »Gebrauch der Farbe für die Färberei gänzlich zu bestimmen«.8) Daraufhin bat das preußische Generaldirektorium Achard, Vorlesungen vor Berliner Färbern zu halten mit der Absicht, die Farbqualität der einheimischen Textilien zu verbessern, denn »die | |||||||
24 Probleme/Projekte/Prozesse | 40 000 Versuche mit Steinen und Metallen |
Färberei hat unstreitig einen
beträchtlichen Einfluß auf den Absatz der Fabrikwaren
... und ist bei unserem Fabrikwesen eine höchst notwendige Sache«. Gegen ein
Honorar von 400 Talern las Achard 1787
wöchentlich vier Stunden vor Färbern, um sie
mit wichtigen Neuerungen und Feinheiten vertraut zu machen, wobei immer eine
Stunde für Fragen und Zusatzerläuterungen
vorbehalten blieb. Die Vorlesungen waren offenbar gut angekommen, denn das
Generaldirektorium berichtete, daß die Färber
den Nutzen dieser Vorlesungen anerkannt hätten, worauf Achard in den Jahren 1788
und 1789 die Vorlesungen wiederholte.9)
Achard hat überhaupt in den Abendstunden in
der Akademie zahlreiche Vorlesungen über Chemie, Physik, Elektrizität und agrotechnische Probleme gehalten, die selbst
von prominenten Verwaltungsbeamten besucht wurden er hat damit im Bunde mit
anderen lehrenden Akademiemitgliedern gewissermaßen die Universität in Berlin
vorweggenommen.
1780 hatte Friedrich II. Achard mit der Akklimatisierung ausländischer Tabaksorten beauftragt, »um zu sehen, wie das allhier reussiert und ob es im Großen mit Nutzen weiter zu betreiben stehet«. Der König wies Achard in Lichtenberg eine Ackerfläche von etwa fünf Morgen an. Es kam nicht nur auf die Anpflanzung fremder Tabaksorten oder die Veredlung einheimischer Tabake an, sondern auch auf die Behandlung der ge- | wonnenen Blätter. Wenn bisher auch
Nachrichten über Achards Erfolge fehlen, so müssen seine Versuch den König doch
zufriedengestellt haben, denn er gewährte ihm eine Pension von 500 Talern auf Lebenszeit »für seine Verdienste um
Verbesserung der inländischen
Tabakkultur«.10)
Achard machte später auch Versuche mit ausgewählten Gräsern, wobei England hier als Vorbild wirkte. Er baute englisches und französisches Raigras (Lolium perenne) und Knaulgras (Dactylis glomerata) zum Zwecke einer besseren Futterversorgung der Nutztiere an. Diese Anbauversuche wurden auch von Gutsbesitzern, Pächtern und Bauern nachgeahmt.11) Dabei verbreitete Achard die Erkenntnis, daß »von der Anwendung der Naturlehre und Chemie als der Wissenschaft, welche über die Natur der Körper, ihrer gegenseitigen Verhältnisse und Wirkungen lehren, auf die mannigfaltigen Teile der Landwirtschaft ... sich unfehlbar zu deren Vervollkommnung die reellsten Fortschritte machen lassen«.12) Als im Jahre 1783 in Paris die Brüder Montgolfier ihre ersten Heißluftballons vorführten und dieses Ereignis bald in aller Munde war, wurde auch Achard vom Ballonfieber ergriffen und ging daran, in Berlin ebenfalls Ballonversuche zu starten. Ende Oktober rief er zu Geldspenden für seine Ballonversuche auf und bat auch den König um finanzielle Unterstützung, die der aber ablehnte. Am 27. Dezember 1783 ließ er ei- | |||||
25 Probleme/Projekte/Prozesse | 40 000 Versuche mit Steinen und Metallen |
nen kleinen Ballon mit »entzündbarer
Luft, die bei der Auflösung des Zinks in der
Salzsäure sich entwickelt«, also mit Gas
gefüllt, in Gegenwart des königlichen Hauses
aufsteigen. Er entflog in Richtung Friedrichsfelde auf Nimmerwiedersehen. Achard wiederholte den Ballonversuch am 1. Februar 1784, und am 15. Februar ließ er zwei
größere Heißluftballons aufsteigen, die
zwar eine ansehnliche Höhe (etwa 180 m)
erreichten, jedoch durch technische
Unzulänglichkeiten schnell im Garten der Charité bzw.
in der Nähe der Pulverfabrik niedergingen.
Ein dritter Versuch scheiterte. Achard erlitt mit den Ballonversuchen mancherlei Anfeindungen, man warf ihm vor, sich an den Spenden bereichert zu haben. Er rechtfertigte seine Versuche, stellte eine detaillierte Kostenrechnung auf, abgedruckt in der »Vossischen Zeitung« vom 21. Februar 1784, und zog sich verstimmt aus allen weiteren Ballonversuchen zurück.13) Ebenfalls im Jahr 1784 hat er auf den Türmen des Französischen und des Deutschen Doms sowie auf Privathäusern Blitzableiter angebracht. 1794 konstruierte Achard einen auf Pontonwagen installierten optischen Telegrafen zwischen dem Spandauer Kirchturm und Bellevue, der »23 750 Wörter und Redensarten« senden konnte; er verfaßte dazu ein telegrafisches Lexikon in deutscher und französischer Sprache, das jedoch nie gedruckt wurde. Mit diesem Telegrafen geriet Achard in Prioritätsstreitigkeiten mit Claude | Chappe (17631805), dem eigentlichen
Erfinder des optischen Telegrafen. Der Kummer darüber, daß man ihm die Ehre der
Erfindung streitig zu machen suchte, hat Chappe in den Tod
getrieben.14)
Achard war nicht nur Forscher und Experimentator in Sachen Chemie und Physik, eine technische Begabung, ein Praktiker unter den Wissenschaftlern der Akademie, sondern er hatte als Direktor der Physikalischen Klasse auch die verschiedensten Aufgaben zu erfüllen. Er war z. B. an der Stellung der Preisaufgaben und an der Begutachtung der eingereichten Preisschriften beteiligt, begutachtete oder beauftragte Mitglieder seiner Klasse mit der Prüfung eingereichter technischer Erfindungen, er übernahm 1787 vom Akademiemitglied Nicholas de Beguelin (17141789) vorübergehend die Durchführung meteorologischer Messungen, er hatte sich mit Berichten an die Akademieleitung und an Ministerien und mit Kostenrechnungen und Begleichungen aus der Akademiekasse herumzuschlagen er war wahrlich ein betriebsames, vielseitiges und schreibfreudiges Akademiemitglied. Als Chemiker und Physiker war Achard in der wissenschaftlichen Welt und in der Öffentlichkeit während seiner Akademietätigkeit allseits bekannt, ja sogar berühmt. Er war Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher und »patriotischer Gesellschaften« im In- und Ausland.15) In einer Preisschrift von 1783 über die Verbesserung | |||||
26 Probleme/Projekte/Prozesse | 40 000 Versuche mit Steinen und Metallen |
des Futteranbaues wurde er sogar als
»großer Scheidekünstler«, als »ein Newton
unter den gelehrten Chymisten« bezeichnet,
was für eine große Popularität
spricht.16)
Seit 1786 befaßte sich Achard nachweislich mit Anbau- und Züchtungsversuchen von Rüben und ihrer Verwertung. Das chemische Laboratorium der Akademie verwandelte er allmählich in eine »königliche Rohzuckerfabrik« sehr zum Mißfallen vieler Akademiemitglieder. Rübenbau und Rübenzuckerproduktion bestimmten dann bis zu seinem Tode am 20. April 1821 sein Leben.17) Über den vielseitigen Wissenschaftler urteilte Alexander von Humboldt: »Ein genialer, oft verkannter Physiker mit einem besonderen Scharfsinn im Erfinden und einem Talent in dem Ersinnen von Experimenten.«18) Quellen:
| gend, Bd. 3, Berlin 1786, S. 1
7 BBAW, IXIII, 14, Bl. 6 8 Ebenda, IV, 81, Bl. 1 ff.; IXIII, 23, Bl. 172 9 Ebenda, IV, 83, Bl. 1 ff. 10 R. Stadelmann, Preußens Könige und ihre Tätigkeit für die Landeskultur, T. 2, Leipzig 1882, S. 185 f. 11 F. C. Achard, Der vorzügliche Nutzen des von mir angegebenen künstlichen Wiesenbaues für Märkische Wirthe durch die Urtheile bewiesen, welche verschiedene einsichtsvolle Oeconomen nach selbst gemachten Erfahrungen darüber gefällt haben, Berlin 1798, S. 8, 19, 22 ff. 12 F. C. Achard, Kurze für den Landmann überhaupt, besonders als für Märkische Wirthe abgefaßte Anleitung zu der Anlage der ergiebigsten künstlichen Wiesen auf Ackerfeldern von Mittel und leichten Boden, Berlin 1797, Vorwort 13 Berlinische Blätter für Geschichte und Heimatkunde, Jg. 1, Berlin 1934, S. 111 ff. 14 Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 1, Leipzig 1875, S. 27 15 V. H. Schmidt/D. G. G. Mehring, Neuestes gelehrtes Berlin, T. 1, Berlin 1795, S. 2 ff. 16 BBAW, M781, Nr. 7, Par. 12 17 Berlinische Monatsschrift, Hefte 1/1992, S. 48 ff. und 9/1994, S. 97 ff. 18 H. D. Wallenstein, Achard-Gedenkrede, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität, mathematisch-naturwissenschaftliche Reihe, Nr. 4, 1953/54, S. 337 Bildquelle: Archiv LBV | |||||
© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de