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Tageslänge auch in größeren Zeiträumen übereinstimmt, werden bei Bedarf ganze Sekunden in die Zeitskala eingefügt. Sollte die Erde sich mal etwas schneller drehen, können auch Sekunden weggelassen werden.
     Im Alltagsleben spielt die genaue Zeit meist keine entscheidende Rolle. Wer sich an der Weltzeituhr auf dem Berliner Alexanderplatz verabredet, wird auch einige Minuten warten. Anders jedoch bei technischem oder wissenschaftlichem Tun. Wenn beispielsweise Raumsonden zu benachbarten Planeten unterwegs sind, dann sind genaueste Zeitmessungen zu ihrer Steuerung auch über größere Zeiträume erforderlich. Das Schlagwort von der astronomischen Genauigkeit gründet sich hauptsächlich auf die in dieser Wissenschaft schon immer notwendig gewesene genaue Zeitzuordnung.
     Blicken wir auf andere Bereiche der menschlichen Gesellschaft und dazu noch weit in die Vergangenheit zurück. Im täglichen Gebrauch waren bei den Griechen und Römern die sogenannten Temporalstunden. Der lichte Tag und die dunkle Nacht wurden in jeweils zwölf Stunden unterteilt. Dadurch waren die Tagesstunden im Winter deutlich kürzer als solche in den Sommermonaten. Die ungefähre Tageszeit wurde aus den Schattenlängen der aufrecht stehenden Menschen abgeleitet, die in Einheiten von Fußlängen der betreffen-
Eckehard Rothenberg
Die Astronomen und
der Tagesbeginn

Auf die Frage, wann ein neuer Tag beginnt, gibt es, wie es scheint, eine einfache Antwort: um Mitternacht, also 0.00 Uhr. Denkt man jedoch länger darüber nach, kommen schon die ersten Zweifel. Im Zeitalter der weltweiten Kommunikation ist vielen bewußt, daß Zeitangaben immer an ein Bezugssystem gebunden sind, das zudem auch noch staatlich durch Verordnungen geregelt ist. Man denke nur an das Verfahren zur Einführung der Sommerzeit. Will man einen Zeitpunkt genau angeben, ist unbedingt auch das Bezugssystem zu benennen, also beispielsweise Datum, soundsoviel Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit (MESZ).
     Oft bezieht man sich auf die sogenannte Koordinierte Weltzeit (UTC), das ist die Zonenzeit des nullten Meridians, der z. B. auch durch die berühmte Sternwarte in Greenwich hindurchgeht. Die Koordinierte Weltzeit setzt sich aus aneinandergereihten SI-Sekunden zusammen, die durch eine Vielzahl von Atomuhren in aller Welt bereitgestellt wird. Sie ist eine fundamentale Größe des internationalen Einheitensystems. Damit diese Zeitfolge aus den SI-Sekunden mit der durch die Erdrotation bestimmten

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den Personen angegeben wurden. Diese einfache Stundenbestimmungsweise war bis in das 14. Jahrhundert vorherrschend. In vielen alten Kalendarien wurden entsprechende Tafeln der Schattenlängen angegeben. Die Astronomen jener Tage hatten jedoch schon ein ganz anderes Verhältnis zu der Zeit. So benutzten sie die gleichlangen (sogenannte Äquinoktial-) Stunden für ihre Zeitangaben, ebenso wurde von ihnen der Unterschied zwischen Mittlerer Zeit und Wahrer Zeit beachtet. Die wahre Sonne, die man also am Himmel sieht, läuft in zweifacher Weise ungleichmäßig über das Firmament. Ursache dafür sind die sogenannte Schiefe der Erdachse und die elliptische Erdbahn. Eine richtig aufgestellte Sonnenuhr zeigt z. B. die Wahre Zeit an, die Mittlere Zeit bezieht sich dagegen auf eine fiktive, gleichmäßig am Himmel laufende Sonne, welche durch Rechnung aus den Positionen der wahren Sonne abgeleitet wird.
     Mit dem Aufkommen der Räderuhren im 14. Jahrhundert änderten sich langsam die Verhältnisse. Je genauer die Uhren liefen, um so lästiger waren die ständigen Korrekturen dieser Uhren nach den ebenfalls aufgestellten Sonnenuhren. So wurde allmählich die mittlere Zeit eingeführt. Ab 1. Januar 1780 ließ man die Uhren in Genf nach mittlerer Zeit gehen. Später folgten London (1792), Berlin (1810), Paris (1816), Zürich (1832). Auch die mittlere Zeit ist eine Ortszeit. Nur
Orte auf demselben Meridian, derselben Mittagslinie also, hatten auch die gleiche Zeit. Das störte nicht sonderlich, denn die wenig und behäbig reisenden Menschen stellten ihre tragbaren Uhren jeweils in den verschiedenen Orten um.
     Als dann durch die Eisenbahnen nach und nach größere Strecken in Ost-West-Richtung zurückgelegt werden konnten, war das System der Ortszeiten störend und auch der Betriebssicherheit der Bahnen nicht förderlich. So wurden nach und nach die sogenannten Eisenbahn- oder Normalzeiten eingeführt. Das waren die Ortszeiten der jeweiligen Verkehrszentren der einzelnen Eisenbahngesellschaften. So gab es die Prager Zeit, die Pariser, die Karlsruher oder die Petersburger Zeit. Die einzelnen Eisenbahnverwaltungen legten ihre Normalzeiten unabhängig voneinander fest. So sollen auf dem kleinen Gebiet rund um den Bodensee fünf verschiedene Normalzeiten in Gebrauch gewesen sein. In den USA gab es beispielsweise im Jahre 1873 einundsiebzig verschiedene Bahnzeiten. Von dort kam dann auch der Vorschlag, ein festes Stundensystem mit definiertem Anfangsmeridian festzulegen. Die Erde sollte in 24 Zeitzonen von je 150 Längenunterschied eingeteilt werden. Bis dieser vernünftige Vorschlag verwirklicht werden konnte, vergingen jedoch einige Jahre der Diskussion. Schließlich wurde – nach bereits praktischem Gebrauch durch die Eisenbahn-
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verwaltungen – die Mitteleuropäische Zeit am 1. April 1893 in Deutschland auch offiziell eingeführt.
     Besonders schwer tat sich Frankreich mit dem Bezug auf den Greenwich-Meridian. Zuerst wurde die Pariser Zeit als Zonenzeit für ganz Frankreich eingeführt, und erst am 10. März 1911 schließlich dann die Westeuropäische Zeit. Bei der Einführung solch praktischer und notwendiger Neuerungen gab es, wie immer bei Unbekanntem, viel Diskussion, Bedenken und auch Versuche, die Interessen kleinerer Gruppen durchzusetzen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Generalversammlung der europäischen Gradmessungskommission 1883 in Rom. Diese, hauptsächlich aus Astronomen und Geodäten zusammengesetzte Versammlung, beschloß neben vielem Nützlichen auch die Änderung der Datumszählung. Der Tag sollte von Mittag zu Mittag gezählt werden, wie es die Astronomen tun. So sparte man sich den Datumswechsel in den nächtlichen Beobachtungsbüchern. Ein Jahr später wurde dieser Beschluß auf einer Konferenz in Washington wieder aufgehoben. An dieser Konferenz nahmen neben Astronomen und Geodäten auch Wissenschaftler anderer Disziplinen und Diplomaten teil. Nun sollten die Tage wieder, wie es auch der allgemeinen Gepflogenheit entsprach, von Mitternacht zu Mitternacht gezählt werden.
     Die Astronomen sind erst 41 Jahre später
diesem allgemeinen Gebrauch gefolgt, wie es in den Erläuterungen zum Berliner Astronomischen Jahrbuch für das Jahr 1925 zu lesen steht:
»Der bürgerliche Tag beginnt um Mitternacht, die Weltzeitstunden werden von 0h bis 24h Uhr durchgezählt. Die Beziehung zu der bisher im Jahrbuch verwendeten Mittleren Zeit Greenwich besteht darin, daß der astronomische mittlere Tag erst am Mittag des bürgerlichen Tages, also 12 Uhr nach dessen Anfang beginnt. Somit ist 1925 Jan. 1, 0h Weltzeit gleich 1924 Dez. 31, 12h mittlerer Zeit Greenwich.«
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© Edition Luisenstadt, 1998
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