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SMAD, Generalleutnant M. I. Dratwin, Generalmajor George P. Hays von der US-Militärregierung (OMGUS) – gleichlautende Schreiben ergingen auch an die britische und französische Militärregierung – mitgeteilt:
»Vom 1. April 1948 an müssen alle Militär- und Zivilangestellten der amerikanischen Militärregierung und ihre Familienangehörigen, soweit sie amerikanische Staatsbürger sind und durch die sowjetische Besatzungszone auf der Autobahn Berlin–
Helmstedt fahren, am Kontrollpunkt Marienborn und einem noch zu errichtenden Kontrollpunkt auf der Autobahn zwei Kilometer östlich von Babelsberg, Personal- und sonstige Ausweise ihrer Zugehörigkeit zur amerikanischen Militärregierung in Deutschland vorzeigen. Das gleiche Verfahren, wie soeben dargestellt, gilt auch für Eisenbahnreisende von und nach den Westzonen durch die Sowjetzone am Kontrollpunkt Marienborn und entlang der ganzen Demarkationslinie.«1)
Mit Eisenbahnreisenden waren Deutsche gemeint, die die Militärzüge seit längerem mit ordnungsgemäßen Reisepapieren westalliierter Stellen benutzen konnten. Dazu zählten deutsche Zivilangestellte bei den Militärregierungen, Dienstreisende von Bizonen-Ämtern und vom Berliner Magistrat, Parteikuriere und andere.
     Die sowjetischen Kontrollorgane protestierten gegen einen derartigen »Mißbrauch«
Gerhard Keiderling
»Baby-Airlift«
brachte 200 Tonnen

Die Generalprobe für die Luftbrücke fand im April 1948 statt

Grenzstation Marienborn in den frühen Morgenstunden des 1. April 1948. Der kurz nach Mitternacht von Berlin-Charlottenburg eingetroffene britische Militärzug wartete noch immer auf seine Abfertigung durch sowjetisches Kontrollpersonal. Inzwischen traf, aus Helmstedt kommend, ein amerikanischer und später auch ein französischer Zug ein. Doch die Signale zur Weiterfahrt in beide Richtungen standen auf Rot. Auf den Bahnsteigen redeten die westlichen Begleitoffiziere gestikulierend auf sowjetische Militärpersonen ein. Aus den abgestellten Zügen schauten noch schlaftrunkene Fahrgäste heraus. Was war geschehen?
Ab Mitternacht galten neue Kontrollbestimmungen für den westalliierten Militärverkehr zwischen den Westzonen und Berlin. Bislang hatte es ausgereicht, daß die sowjetischen Kontrolleure eine Prüfung der Passagierlisten auf dem Bahnsteig vornahmen. Am 30. März 1948 hatte der Stellvertretende Oberkommandierende der

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der nur für Militärzwecke eingerichteten Verbindungswege. Im Januar 1948 hatten sie in Marienborn schon einmal 120 Deutsche aus einem britischen Zug aussteigen lassen und nach Berlin zurückgeschickt. Jetzt diente dieser Personenkreis den Sowjets zum Vorwand für ihren Eingriff in den westalliierten Berlin-Verkehr. Danach mußten sich künftig alle Reisenden ausweisen und ihr Gepäck überprüfen lassen. Zu diesem Zweck wollten die sowjetischen Kontrolleure durch die Züge gehen. Im Frachtverkehr aus dem Westen wurden Begleitpapiere und aus dem Osten Erlaubnisscheine verlangt, die sowjetische Dienststellen ausfertigten. Letzteres wurde mit einem »Ausverkauf« der Berliner Wirtschaft und der illegalen Ausfuhr von ostzonalen Gütern begründet. Die drei Westmächte protestierten umgehend und weigerten sich, ein derartiges Kontrollrecht der Sowjetbehörden anzuerkennen. Ihre Berufung auf ein im Sommer 1945 vereinbartes Recht auf freien und unbeschränkten Zugang nach Berlin stand allerdings auf wackligen Füßen, denn damals war diese Frage mit Marschall Shukow nur mündlich geregelt worden. Es gab keine Dokumente.
     Weil das Begleitpersonal der westalliierten Dienstzüge die Order erhielt, eine sowjetische Inspektion nach den neuen Regeln abzulehnen, wurden sie am 1. April 1948 an der Zonengrenze angehalten und
zurückgeschickt. Die sogenannte April-Krise brach aus. Allen war klar, hier ging es vordergründig nicht um eine veränderte Verkehrskontrolle, sondern um die erwartete Attacke der Sowjetunion gegen die westliche Deutschlandpolitik, die die baldige Gründung eines Weststaates vorsah. Zehn Tage nach der letzten Sitzung des Alliierten Kontrollrates (BM 3/98) zielte Stalin auf den empfindlichen Lebensnerv der Westalliierten in Berlin. Obwohl für die Westmächte dieser Schritt nicht überraschend kam, reagierte man in den Hauptstädten zurückhaltend, in der Hoffnung, ihren Berliner »Outpost« nicht zu starken Gefährdungen auszusetzen und Moskau zum Einlenken zu bringen.
     In Washington überlegte man, ob aus Sicherheitsgründen nicht amerikanisches Personal oder wenigstens Familienangehörige aus Berlin evakuiert werden sollten.
     Der US-Militärgouverneur, General Clay, reagierte darauf ungehalten. Er bat um die Erlaubnis, durch bewaffnetes Zugbegleitpersonal den Sowjets den Zutritt zu den Militärzügen notfalls mit Gewalt zu verwehren bzw. eine freie Weiterfahrt an der Zonengrenze zu erzwingen. Mit einem bewaffneten Konvoi wollte Clay auch den gesperrten Straßenweg nach Berlin frei machen. Aber diese Ermächtigung erhielt er nicht.
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Das westliche Zögern bestärkte Stalin zu weiteren Schritten.
     Noch am 1. April 1948 wurden der neue Autobahnkontrollpunkt Babelsberg-Dreilinden eröffnet und der Lkw-Verkehr zwischen dem Ostsektor und den Westsektoren Berlins von Volkspolizei kontrolliert. Am 2. April verlangte die SMAD die sofortige Schließung der amerikanischen und britischen Hilfsstationen auf der Autobahn Berlin–Helmstedt und deren Telefonrelaisstationen in Weimar und Magdeburg. Wegen »ungültiger Frachtpapiere« wurde der Binnenschiffsverkehr zwischen Berlin und den Westzonen gesperrt. Am 3. April mußte der Frachtverkehr zwischen Berlin und Hamburg auf die Eisenbahnstrecke nach Helmstedt umgeleitet werden. Bürokratische Schikanen brachten den Postpaketverkehr zum Erliegen; mehr als 2 000 Tonnen Pakete stapelten sich in Westberliner Postämtern. An den Ausfallstraßen des Ostsektors zum Land Brandenburg richtete die Volkspolizei Kontrollstellen ein. Es war unübersehbar: Stalin probte den Ernstfall Blockade.
     Nun ging auch der Westen zur Tat über. Am 2. April belagerte US-Militärpolizei für mehrere Tage das am Schöneberger Ufer gelegene Gebäude der ostzonalen Reichsbahndirektion. Am selben Tag starteten die Amerikaner und Briten die Aktion »Baby-Airlift«, die kleine Luftbrücke. Vom 2. bis 4. April transportierten 24 US-Flug-
zeuge von Frankfurt am Main aus rund
200 Tonnen ausschließlich für die Garnison bestimmte Güter – die Lebensmittelzufuhr für die Bevölkerung war nicht blockiert – zum Flughafen Tempelhof. Die Royal Air Force flog ihren Flugplatz in Gatow an.
     Hier kam es am 5. April zu einem ernsten Zwischenfall. Eine aus Hamburg kommende britische Passagiermaschine kollidierte kurz vor der Landung mit einem sowjetischen Jagdflugzeug. Die Insassen beider Flugzeuge fanden den Tod.
     Offenkundig war Stalin inzwischen der Meinung, daß es erst einmal reichte, dem Westen die Krallen des russischen Bären gezeigt zu haben. Der Eisenbahn- und Straßenverkehr normalisierte sich wieder, ohne daß die Sowjets alle ihre Maßnahmen zurücknahmen. Im Gegenteil, sie versetzten dem Berlin-Verkehr in den folgenden Wochen immer wieder durch kurzfristige Behinderungen und Schikanen gezielte Nadelstiche
Die April-Krise glich trotz ihrer kurzen Dauer einer Generalprobe für den bevorstehenden großen Krach. Einem Konflikt um die Zugangswege nach Berlin war nicht mehr auszuweichen. Die Sowjetunion hatte ihre Entschlossenheit bekundet und ihre Möglichkeit demonstriert. Der Westen hatte Gelegenheit gehabt, seine Gegenmittel zu erwägen und ansatzweise zu erproben.
     Für General Clay hatten vor allem zwei Erkenntnisse Bedeutung. Bei einer totalen
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Sperre der Land- und Wassserverbindungen blieb noch immer der Luftweg frei, auch zur Versorgung der Bevölkerung, wie er versicherte. »Baby-Airlift« dauerte zwar nur drei Tage, doch der Lufttransport wurde nie mehr völlig eingestellt. Zum zweiten lehrten die Ereignisse, daß man sich für alle Eventualitäten vorbereiten müßte. Gemäß dem Plan »Basic Assumption« von Ende März 1948 begann man das Anlegen von Vorratslagern an Lebensmitteln und Brennstoffen.
     Seine politische Erfahrung faßte Clay prägnant in seiner bekannten »Dominotheorie« zusammen, mit der während der Telefonkonferenz vom 10. April 1948 besorgte Fragen seines Vorgesetzten in Washington beantwortete. Man müsse die sowjetische Herausforderung annehmen und in Berlin auch mit militärischen Mitteln ein Exempel statuieren. Denn: »Warum sind wir in Europa? Wir haben die Tschechoslowakei verloren. Wir haben Finnland verloren.
     Norwegen ist bedroht ... Auf Berlin wird Westdeutschland folgen ... Wenn wir entschlossen sind, Europa gegen den Kommunismus zu behaupten, dann dürfen wir nicht weichen.«2) Die Gelegenheit, seine Standfestigkeit unter Beweis zu stellen, sollte Clay bald bekommen.

Quellen:
1 Zitiert nach: Berlin. Quellen und Dokumente 1945–1951, Hrsg. im Auftrag des Senats von Berlin, 2. Halbband. Dokument Nr. 812, S. 1447
2 Lucius D. Clay: Entscheidung in Deutschland, Frankfurt am Main 1950. S. 400

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