88   Geschichte und Geschichten   
Kurt Wernicke
Die Karikatur
eines Parlaments

Am 11. April 1847 eröffnete Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861, König 1840–1858) im eigens renovierten Weißen Saal des Berliner Stadtschlosses den Vereinigten Landtag, diese Karikatur eines Parlaments. Die Allerhöchste Zusammenrufung der acht machtlosen Provinziallandtage der preußischen Provinzen erfolgte zu dem alleinigen Zweck, dem königlichen Drängen auf Bewilligung einer Staatsanleihe zur Finanzierung des Baus der finanzaufwendigen Ostbahn ins ferne Ostpreußen gefälligst nachzugeben. Bildungs- und Besitzbürgertum wie auch der verbürgerlichte Teil des Adels hatten sich erhofft, daß die zeitgemäße Forderung nach Mitsprache wenigstens der besitzenden Klassen in Staats- und Staatshaushaltsangelegenheiten als königliche Verheißung an den Anfang der Tagung gestellt würde. Aber alle Hoffnungen waren enttäuscht worden: Hochnäsig hatte der »Romantiker auf dem Thron« den Abgeordneten und dem preußischen Volk dargelegt, daß sie nicht in die Angelegenheiten der Staatspolitik hineinzureden hätten und daß namentlich das Verlangen nach einem geschriebenen Staatsgrundge-

setz – einer Verfassung – seinen Idealen von ständischer Gliederung und Treue zum Monarchen nicht entspräche. Die Verabschiedung einer Verfassung finde er unzumutbar. Diese hochmütige Schmährede rief nicht wenige Karikaturisten auf den Plan (siehe unser Titelbild, auf dem Friedrich Wilhelm IV. auf sein Volk, sagen wir es einmal gewählt, speit).
     Mit einigem Recht kann man die so verspottete Rede an den Anfang der elf Monate später zunächst siegreichen Märzrevolution stellen. Die Borniertheit Friedrich Wilhelms IV. und seiner engsten Umgebung gegenüber den mit Händen zu greifenden Problemen eines drängenden Übergangs zum Verfassungsstaat hatte sich trotz der moralischen Niederlage, die ihm der geldverweigernde Vereinigte Landtag beigebracht hatte, nicht im geringsten verändert. Noch am 14. März 1848 wollte er einer gemeinsamen Delegation von Berliner Magistrat und Berliner Stadtverordnetenversammlung beibringen, die angemahnten Schritte zu bürgerlichen Freiheiten verstößen gegen das von ihm verfolgte Prinzip, jede Veränderung nur im Einklang mit dem Erhalt des Überkommenen anzupacken. Da war es dann kein Wunder, daß der aufgelaufene Reformstau sich durch eine revolutionäre Explosion löste.

© Edition Luisenstadt, 1998
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