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Juli/August 1945 angenommen wurden. Darunter befand sich das »Abkommen über das Kontrollverfahren in Deutschland« vom 14. November 1944. Es sah die Bildung eines Alliierten Kontrollrates für Deutschland vor, der die höchste Autorität in Deutschland durch die Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte – im Frühjahr 1945 kam Frankreich als vierte Macht hinzu – auf Grund von Anweisungen seitens ihrer Regierungen ausüben sollte.

Konstituierende Sitzung am Rande der Potsdamer Konferenz

Am 30. Juli 1945 – am Rande der Potsdamer Konferenz – trat der Alliierte Kontrollrat zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Die Geschäftsordnung sah vor, daß alle zehn Tage (also dreimal im Monat) eine Plenarsitzung stattfinden und in der Zwischenzeit ein Koordinierungsausschuß die operative Arbeit leisten sollte. Monatlich erfolgte ein Wechsel des Vorsitzes auf allen Ebenen des Kontrollrates.
      Es galt das Prinzip der Einstimmigkeit, d. h. jede Seite verfügte über ein Vetorecht. Um die gewaltige Kontrolltätigkeit realisieren zu können, schuf sich das Vierer-Organ einen Kontrollstab aus zwölf Direktorien,
zuständig für Fachbereiche wie Wirtschaft, Arbeit, Verkehr, Recht, Kultur, Volksbildung usw. Der Alliierte Kontrollrat beschloß Proklamationen, Gesetze und Direktiven zur

Gerhard Keiderling
Das Ende des Alliierten Kontrollrates

Am Nachmittag des 20. März 1948 ging eine Blitzmeldung über die Fernschreiber der großen Nachrichtenagenturen: »Die Sowjets haben den Alliierten Kontrollrat in Berlin verlassen!« Die Mitteilung war sensationell aufgemacht, doch sie kam nicht überraschend. Der Kontrollrat war schon seit längerem für alle Seiten zu einem Hemmschuh geworden, dessen man sich bei der nächstbesten Gelegenheit entledigen wollte. Dabei hatte es so hoffnungsvoll begonnen.

Die »Großen Drei« einigten sich
auf Modalitäten der Besatzung

Auf der Teheraner Konferenz der »Großen Drei« – Roosevelt, Churchill und Stalin – im Dezember 1943 kam man überein, eine Europäische Beratende Kommission (EAC) mit Sitz in London damit zu beauftragen, die Modalitäten einer gemeinsamen militärischen Besatzung und Kontrolle Deutschlands nach der bedingungslosen Kapitulation zu prüfen. Zwischen Januar 1944 und Juli 1945 erarbeitete die Kommission mehrere Vertragstexte, die von den »Großen Drei« in Jalta im Februar 1945 und in Potsdam im

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Entnazifizierung, Entmilitarisierung und demokratischen Umgestaltung Deutschlands.
     Seinen Sitz nahm der Alliierte Kontrollrat in Berlin, das auch nach Kriegsende als deutsche Hauptstadt galt. Im Gebäude des früheren Kammergerichtes am Kleistpark (amerikanischer Sektor) – die postalische Anschrift lautete Elßholzstraße – fand er sein Domizil. Das sowjetische Angebot, den nach Kriegsschäden einigermaßen wiederhergerichteten Komplex des ehemaligen Reichsluftfahrtministeriums in der Leipziger Straße zu beziehen, hatten die Westmächte ausgeschlagen, weil sich das Gebäude im Ostsektor befand. Die besondere Stellung Berlins als deutsche Hauptstadt und Sitz des Alliierten Kontrollrates wurde in den Viermächtevereinbarungen dadurch unterstrichen, daß die Verwaltung der Stadt in der Besatzungsperiode einer alliierten Kommandantur übertragen wurde, die nach ähnlichem Modus wie der Kontrollrat amtierte.

Allierte Eintracht ging
immer wieder verloren


Der Alliierte Kontrollrat hatte allerdings einen Geburtsfehler. Die Festlegung, die Oberkommandierenden der vier Streitkräfte sollten jeder in der eigenen Besatzungszone und gemeinsam in allen ganz Deutschland betreffenden Angelegenheiten handeln, barg separatistische Tendenzen in sich. Je schneller die Entzweiung zwischen den Kriegsver-

bündeten, die im »Kalten Krieg« mündete, vor sich ging, desto häufiger trafen die Zonenbefehlshaber eigenmächtige Entscheidungen. Die alliierte Eintracht aus der unmittelbaren Nachkriegszeit schwand zunehmend. Der Kontrollrat verlor an Bedeutung. Die deutschlandpolitischen Entscheidungen in Ost und West gingen an ihm vorbei.
     Ende 1947 waren die drei Westmächte zu der Erkenntnis gelangt, ihre Besatzungszonen in Deutschland zu einem Staatsgebilde zusammenzufügen und es in die neuen westeuropäischen Organisationen zu integrieren. Die Londoner Viermächte-Außenministerkonferenz über Deutschland vom Dezember 1947 war gerade geplatzt, als die drei Westmächte unter Hinzuziehung der drei Benelux-Länder die Weichen für einen Weststaat im Rahmen einer Westunion stellten.
     »Dieser Weststaat sollte der Ostzone in jeder Beziehung überlegen sein, mit dem Ziel, so Bevin (der britische Außenminister,
G. K.), daß jede Initiative für eine Wiedervereinigung aus dem Westen kommen und nicht zu einer von den Sowjets inspirierten Bewegung aus dem Osten werden würde. Daß dies auf die endgültige Spaltung Deutschlands hinauslief, war allen Beteiligten klar – die Verantwortung dafür war bei der Sowjetunion zu suchen.«1)
     Moskau verfolgte die Londoner Verhandlungen mit großem Unbehagen. Die dort an-
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   44   Probleme/Projekte/Prozesse Alliierter Kontrollrat  Vorige SeiteNächste Seite
gestrebte Deutschlandlösung bedeutete einen immensen Einflußverlust in Mitteleuropa, vor allem den Ausschluß von einer internationalen Kontrolle der Ruhr, an der den Sowjets so viel lag.
     Als Anfang März 1948 die erste Runde der Londoner Sechsmächtekonferenz zu Ende ging, hatten die Franzosen ihre Sonderwünsche aufgegeben und dem angloamerikanischen Programm zugestimmt. Die Einzelheiten sollten in einer Mitte April beginnenden zweiten Verhandlungsphase beraten werden. Obwohl strenge Vertraulichkeit vereinbart worden war, sickerten Informationen an die Öffentlichkeit. Durch einen Agenten im britischen Außenministerium war Moskau stets auf dem laufenden. Inzwischen hatte sich das Klima in den Ost-West- Beziehungen rapide verschlechtert. Der kommunistische Staatsstreich in Prag löste eine Kriegshysterie aus.2)

Demonstrativer Schritt
der Sowjetunion

Die Sowjetunion, die im März den Vorsitz im Alliierten Kontrollrat innehatte, entschied sich zu einem demonstrativen Schritt. Turnusgemäß trat am 20. März 1948 der Kontrollrat zu seiner 82. Sitzung zusammen. Am großen Konferenztisch im Gebäude am Kleistpark hatten wie immer Platz genommen die Militärgouverneure General Lucius D. Clay (USA), General Sir Brian H.

Robertson (Großbritannien) und General Pierre Koenig (Frankreich) sowie der Oberste Chef der SMAD, Marschall W. Sokolowski, mit ihren Beratern.
     Nach seinen Eröffnungsworten kam der Sowjetmarschall sofort auf eine Resolution zur Lage in Deutschland zu sprechen, die die Außenminister der Tschechoslowakei, Polens und Jugoslawiens bei ihrem Treffen Mitte Februar 1948 in Prag auf sowjetisches Betreiben an den Kontrollrat gerichtet hatten. Die drei Militärgouverneure lehnten eine Erörterung dieses – wie sie sagten – »Propaganda«-Papiers ab. Mit hochrotem Kopf zog Sokolowski ein Memorandum seiner Regierung aus der Aktenmappe, das eine Aufklärung über die Londoner Verhandlungen verlangte. Die Militärgouverneure verweigerten abermals eine Aussprache mit der Begründung, sie seien dazu von ihren Regierungen nicht autorisiert. Robertson räumte zwar ein, daß »die Forderung der sowjetischen Delegation im Prinzip als gerechtfertigt« zu betrachten sei, doch seien in London nur Vorschläge erörtert und keine Entscheidungen getroffen worden.
     Sokolowski ließ nicht locker, er zitierte aus dem offiziellen Londoner Kommuniqué vom 6. März, wonach eine weitestgehende wirtschaftspolitische Zusammenarbeit der drei Westzonen vereinbart worden sei, und erinnerte daran, daß die Militärgouverneure, die ja zugleich Kontrollratsmitglieder sind, an diesen Beratungen teilgenommen
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   45   Probleme/Projekte/Prozesse Alliierter Kontrollrat  Vorige SeiteNächste Seite
hatten. Da die westliche Seite jede Auskunft verweigerte, drehte sich die Debatte im Kreise, bis General Clay in barschem Tone reagierte: Er habe mit außerordentlicher Geduld Anschuldigung über Anschuldigung mit angehört, aber er dächte nicht daran, sich in eine Debatte einzulassen. Seine Darstellung müsse genügen, und wenn sie Marschall Sokolowski nicht gefalle, bekäme er trotzdem keine andere.

Sokolowski verlas eine
vorbereitete Erklärung


Nun verlas Sokolowski eine vorbereitete Erklärung: Das Verhalten der Westmächte stelle eine schwerwiegende Verletzung des Potsdamer Abkommens und Kontrollratsabkommens von 1944 dar. »Mit dieser Handlungsweise bestätigen die drei Delegationen noch einmal, daß der Kontrollrat in Wirklichkeit nicht mehr als Organ der höchsten Gewalt in Deutschland besteht, die die Viermächteverwaltung in diesem Lande ausgeübt hatte.« Da seine Fragen unbeantwortet geblieben seien, so fuhr Sokolowski fort, »sehe ich keine Veranlassung, die heutige Sitzung weiterzuführen und vertage sie hiermit.«
     Wutentbrannt raffte der Marschall seine Papiere zusammen, erhob sich abrupt und verließ mit seinem Stab den Saal. Die Militärgouverneure blieben noch einige Minuten im Raum. Sie kritisierten das Verhalten der

Sowjets und vertagten dann ihrerseits die Sitzung, wobei »das Datum der nächsten Sitzung offengelassen« wurde.3)
     Seit Wochen hatten politische Kreise und Journalisten in Berlin gerätselt, wann und wie der Kontrollrat zu Grabe getragen werden würde. Nun war es heraus: Die Russen waren die Übeltäter. Rundfunkberichte und Presseschlagzeilen meldeten den Auszug Sokolowskis als Lahmlegung, Sprengung oder Torpedierung des Kontrollrats. Doch die Sowjetunion zog sich nicht sofort aus dem Kontrollratsgebäude zurück. Unter ihrem Vorsitz arbeitete der Apparat bis Ende März im großen und ganzen weiter. In den nächsten Monaten hätten die Westmächte aufgrund ihres turnusmäßigen Vorsitzes jederzeit das Gremium einberufen können. Doch sie dachten nicht daran. Als die Franzosen bei Ausbruch der Berlin-Blockade eine Kontrollratssitzung wünschten, wurden sie von den Amerikanern zur Ordnung gerufen. Man war sehr zufrieden, diese Hürde auf dem Weg zum Weststaat beiseite geräumt zu haben.

Handelte Sokolowski nach Plan
oder im Affekt?


Das sowjetische Vorgehen vom 20. März 1948 wirft noch heute für die Historiker Fragen auf. Wollte Sokolowski wirklich das deutsche Tischtuch zerschneiden oder nur den Westen durch eine Drohgebärde

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Quellen und Anmerkungen:
1 Rolf Steininger: Deutsche Geschichte 1945–1961. Darstellung und Dokumente in zwei Bänden, Bd. 2, Frankfurt am Main 1983, S. 281
2 Vgl. »Berlin ist nicht Prag«, in Berlinische Monatsschrift, 2/98, S. 24
3 Zitiert nach dem Stenographischen Protokoll der 82. Kontrollratssitzung in: Berlin. Quellen und Dokumente 1945–1951, 2. Halbband, hrsg. im Auftrage des Senats von Berlin, Berlin (West) 1964, S. 1431 ff.
     4 Lucius D. Clay: Entscheidung in Deutschland, Frankfurt am Main 1950, S. 396

zum Einlenken zwingen? Handelte er nach einem wohlüberlegten Plan oder aus dem Affekt heraus? Auf jeden Fall war sein Auszug aus dem Sitzungssaal ein Fehlschlag. Eine Wiederaufnahme der Kontrollratstätigkeit war von nun an ausgeschlossen, es reduzierten sich die Einwirkungsmöglichkeiten auf das Deutschlandproblem in einer wohl nicht beabsichtigten Weise. Wenn die Sowjets gemeint hatten, sie könnten mit ihrem theatralischen Auszug die Westmächte als Spalter Deutschlands anprangern und in der deutschen Bevölkerung eine national-patriotische Protestbewegung auslösen, die von der SED in der SBZ und von der KPD in den Westzonen geführt würde, so verrechneten sie sich gewaltig.
     In seinen zwei Jahre später erschienenen Erinnerungen schrieb General Clay: »Als wir an jenem Tag den Konferenzsaal verließen, wußten wir, daß die Viermächte-Regelung zusammengebrochen war, und daß die Spaltung Deutschlands (...) nun Wirklichkeit geworden war.«4) Ebenso wußten die Westmächte, daß sie in Berlin, der Viersektorenstadt inmitten des sowjetischen Herrschaftsbereichs, am verwundbarsten waren. Sehenden Auges ging man dem Berlin-Konflikt entgegen.
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© Edition Luisenstadt, 1998
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