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400 Handschriften vorhanden sind. Deren zeitlicher Rahmen spannt sich von einer Urkunde aus dem 17. Jahrhundert über Briefe, Manuskripte, Ernennungsurkunden und Zeugnisse bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Noch 1943 meldete das »Neuköllner Tageblatt« unter der Überschrift »8 000 Handschriften berühmter Männer. Einmaligkeiten in der Bücherei der Lehrer«, daß neben den 220 000 Bänden, die die Deutsche Lehrerbücherei neben der Comenius bzw. zu dieser Zeit Hans-Schemm-Bücherei zur zweitgrößten pädagogischen Bibliothek Deutschlands machten, das historische Archiv der deutschen Erzieher rund 8 000 Originalhandschriften bedeutender deutscher Männer enthielt. Genannt werden die Namen Freiligrath, Erk, Alexander von Humboldt und Jean Paul. 33 von den 400 der auf uns überkommenen Handschriften tragen keine Signatur. Es gibt lediglich den Hinweis, daß sie angekauft worden sind. Eine solche Handschrift ist auch die aus der Feder Friedrich Wilhelms IV., die zudem keinen pädagogischen Bezug aufweist. Da sie aber aus königlicher Hand stammt, hielt sie ein Bibliothekar der Deutschen Lehrerbücherei wohl für überliefernswert.
Der Text der Handschrift lautet:
Potsdam, 11. April 48

Bester General – Vorgestern stand am Kriegsministerium noch die insultante Inschrift »Nazionaleigenthum«. In der Eile hab' ich heut vergessen Ihnen darüber meinen
Ursula Basikow
Insultante Inschrift
»Nazionaleigenthum«

Fund in der Handschriftensammlung
der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche
Forschung (BBF)

Die 1876 gegründete Deutsche Lehrerbücherei, in deren Nachfolge und Tradition die Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung (BBF) des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung steht, beherbergte unter dem Dach eines weitgefaßten Pädagogikbegriffs neben Büchern auch Sammlungen verschiedener Art. Sie reichten von einer Gedenkmünzensammlung über Bildwerke, Pädagogennachlässe, Nachlässe von Lehrervereinen bis hin zu einer umfangreichen Handschriftensammlung. Dieses Kulturgut ist zu einem großen Teil verschollen, weil es zum Ende des Zweiten Weltkrieges aus Deutschland ausgelagert worden und nicht wieder zurückgekommen ist. Nur die erhalten gebliebenen Kataloge geben Aufschluß darüber, wie umfangreich die Sammlungen einst gewesen sind. Ein Vergleich der trotz der Kriegs- und Nachkriegswirren überlieferten Handschriften mit den Katalogen ergab, daß noch ca.

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Befehl zu geben und hole ihn also von hieraus nach. Sollte es noch heut existieren so befehle ich, daß sie sogleich die Einleitung (treffen ...), die Inschrift morgens in den ersten Frühstunden (vor 5 Uhr morgens) löschen zu lassen. Es muß das im Stillen geschehen und dafür gesorgt werden (allenfalls durch ein gutes Douceur)1) daß die die es löschen, darüber schweigen. Entsteht Aufregung dennoch darüber, so melden sie es mir sogleich, wo nicht: nicht. – Zeigen es aber ... dem Ministerio an und dringen in meinem Namen um so fester auf die Löschung der Inschriften am Wilhelms Palais etc. etc. – Adieu F W.
     So versuchte der König, dessen schwankende und widersprüchliche Haltung zu den Ereignissen der Märztage bekannt ist, die Spuren der ungeliebten Revolution zu verwischen. Als er sich am 29. März aus Berlin nach Potsdam zurückzog, taktierte er zwischen der von ihm eingesetzten liberalen Regierung und dem Hofadel, der es ihm verübelte, daß er formell Vertreter des Bürgertums als Bündnispartner der Krone akzeptierte.
     Belegt sind sowohl seine Verneigung vor den Toten der Revolution als auch die Ab-
lehnung der ihm 1849 von der Nationalversammlung in Frankfurt am Main angebotenen Kaiserkrone, die den »Ludergeruch« der Revolution trage. Interessant an der Handschrift ist neben ihrem Inhalt die Tatsache, daß sie in acht Stücke zerrissen, wieder zusammengesetzt und auf ein Stück

Das zerrissene und wieder zusammengeklebte Schriftstück von Friedrich Wilhelm IV.

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Papier aufgeklebt worden ist. Wer hat das getan? Möglicherweise der General selbst, der es der Geheimhaltung wegen zunächst weggeworfen und dann zu seiner eigenen Sicherheit rekonstruiert haben mag, falls es doch Ärger mit Anhängern der Revolution geben sollte? Oder hat es jemand aus dem Papierkorb gefischt, der professionell die Papierkörbe leitender Staatsangehöriger nach belastendem Material durchstöberte? Wer war der General, der diesen Auftrag auszuführen hatte? Die von Friedrich Wilhelm IV. eingesetzte Regierung wurde in kurzer Zeit mehrfach umgebildet. In der in Frage kommenden Zeit hatte General von Reyher (1786–1857) das Kriegsministerium unter sich, so daß anzunehmen ist, daß er der im Brief angesprochene General ist. Es könnte auch der Kommandant von Berlin, Generalleutnant von Ditfurth (1780–1855) gewesen sein. Dann könnten verwandschaftliche Verhältnissefür den schließlichen Verbleib des Dokuments verantwortlich sein, denn ein Franz Wilhelm von Ditfurth (1801–1880) war im 19. Jahrhundert durchaus bekannt als ein ausgewiesener Literaturhistoriker, speziell Volksliedsammler. Was die Inschriften anbelangt, so ist aus zeitgenössischen Darstellungen zu ersehen, daß Revolutionäre sie mit Farbe und Pinsel an regierungseigene Gebäude angeschrieben haben. In einer zeitgenössischen Quelle ist jedoch zu dem in der Handschrift erwähnten Wilhelms-Palais zu lesen, daß der Palast des Prinzen von Preußen gestürmt und zerstört werden sollte und nur deshalb vor der Verwüstung bewahrt werden konnte, weil man die Inschrift »Eigenthum des Volkes« mit großen Buchstaben an seine Mauern geschrieben und die schwarzrotgoldene Fahne aufgepflanzt hatte. Der Prinz von Preußen, gegen den man allerlei Verdächtigungen ausgestreut habe, sei edel genug gewesen, sich durch eine schon vorher bestimmte Reise nach England zu entfernen.2) Der Passus über die Inschrift legt den Schluß nahe, daß zur Rettung des Eigentums der Krone auch zu sonst den Revolutionären vorbehaltenen Mitteln gegriffen wurde.

Quellen und Anmerkungen:
1 Douceur, franz. Trinkgeld
2 Friedrich Wilhelm, König von Preußen. Ein Lebensbild, herausgegeben und verlegt von dem Haupt-Verein für christliche Erbauungsschriften in den Preußischen Staaten. Berlin 1861. Geschrieben von W. Ziethe, Prediger an der
Parochialkirche.

Bildquelle:
Handschriftensammlung der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung (BBF)

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