97 Dokumentiert | Antrag Stadtrat Duncker |
Hermann Duncker (BM 12/1993, S. 63 ff.); 1845
von den Stadtverordneten zum Stadtrat gewählt
und staatlich bestätigt, war er erst im April 1846 in sein Amt eingeführt worden und so auch an
Dienstjahren das jüngste Mitglied der städtischen
Selbstverwaltung. Sehr wahrscheinlich waren es seine Jugend ebenso wie das Fehlen der traumatischen Erfahrung mit der königlichen
Zurechtweisung vom August 1845, die ihn unbekümmert eine Denkschrift niederschreiben hießen, mit der er wenigstens einige der dringendster Reform
bedürfenden Probleme der preußischen Staats- und Gesellschaftsmaschinerie ansprach. Den Text
dürfte Duncker am 1. März zu Papier gebracht und
wahrscheinlich am 3. März mit zwei
Magistratskollegen diskutiert haben: dem Stadtschulrat Friedrich August Schulze (17981863) und dem ehrenamtlichen Stadtrat Ludwig Heinrich Friedrich
Gärtner (17831864); ihr Anteil an der Formulierung
dürfte allerdings äußerst gering sein. Am 5. März
legten diese drei die Ausarbeitung dem Magistrat vor, damit er sie verabschiede und als Immediateingabe an Friedrich Wilhelm IV. leite. Infolge des vehementen Widerstands von
Oberbürgermeister Krausnick (17971882), der die ohnehin
schwierige Situation nicht noch durch Petitionen
anheizen wollte, ging die Abstimmung in der
Magistratssitzung vom 7. März jedoch mit 18:9 Stimmen
gegen die Billigung des Schriftstücks aus. So wanderte es in die Magistratsakten.
Dort (der jetzige Standort ist Landesarchiv Berlin/ Stadtarchiv, Rep. 01, Nr. 2435) wurde es in den vergangenen anderthalb Jahrhunderten mehrmals von Historikern eingesehen und für Darstellungen der Berliner Märztage benutzt. Im Wortlaut veröffentlicht wurde die Duncker-Denkschrift nur bei Gelegenheit des 50. Jahrestages der Märzrevolution in der »Vossischen Zeitung« vom 9. März 1898. Wir machen es der Öffentlichkeit im Folgenden erneut als eines von zahllosen Beispielen dafür bekannt, wie von kritisch begleitenden Geistern | ||||||
Reformbedarf beim Namen genannt
Eine Denkschrift aus dem Schoß des Berliner Magistrats Anfang März 1848 Der seit 1809 von der Berliner Stadtverordnetenversammlung gewählte Magistrat, der
selbstverständlich auch als gewählte Verwaltung vor
seinem Monarchen in Ehrfurcht erstarb, hatte
nichtsdestoweniger schon hin und wieder ein wenig
Mannesmut vor Königsthronen gezeigt hauptsächlich natürlich immer dann, wenn es darum ging,
die städtischen Finanzen entweder vor staatlichen Zugriffen zu retten oder auf Kosten des Staates aufzubessern. Im August 1845 hatte er erstmals
mit einer Eingabe an den König auch gewagt,
öffentlich diskutierte Probleme außerhalb von Finanzen
und Administration vor den Thron zu bringen: Er
hatte sich gegen die protestantische Orthodoxie
gewandt, die, deutlich vom Wohlwollen der
Staatsbehörden begleitet, kritische Stimmen in der
evangelischen Kirche zum Schweigen bringen wollte. Und er hatte dabei ergebenste Kritik an der Handhabung religiöser Toleranz in Preußen durchscheinen
lassen. Die harsche Antwort des Königs war ihm
dann so in die Glieder gefahren, daß er von seinem Vorrecht des unmittelbaren Vorsprechens beim Monarchen längere Zeit keinen Gebrauch mehr zu machen wagte. Aber der Ausbruch der Pariser Februarrevolution und die Ausrufung der
Republik in Frankreich gaben auch in Berlin wieder
Anstoß zu Überlegungen, im Interesse dringend nötiger politischer Veränderungen das magisträtliche
Wort unmittelbar an den König zu richten.
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98 Dokumentiert | Antrag Stadtrat Duncker |
erkannter Reformstau durchaus
systemimmanent aufzulösen versucht wird, ohne daß solches
Unterfangen bei den Inhabern der Macht auf
Gegenliebe zu stoßen vermag.
Kurt Wernicke Der Antrag hat folgenden Wortlaut:
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auch gut in Betreff unsrer Finanzen, aber Geld
und Heer reichen nicht aus, dem kriegslustigen Volk Europas zu widerstehen, wenn es fortgerissen
wird von dem Fanatismus seiner Größe, seines
Ruhmes: sie reichen nicht aus; das Jahr 1806 hat es zu
unsrer Schmach bewiesen. Wenn die Jahre 1813 bis
1815 diese Schmach ausgelöscht haben, und wir nicht die großartigsten Begebnisse der
Weltgeschichte nur als ungelehrige Schüler gedankenlos
anstarren wollen, müssen wir uns nicht zu unbefangener Beantwortung die Frage vorlegen: ob die gegenwärtige Lage Preußens und Deutschlands dem Jahre 1806 oder dem Jahre 1813 ähnlicher
steht? Und kann diese Beantwortung zweifelhaft sein?
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99 Dokumentiert | Antrag Stadtrat Duncker |
Sympathien des preußischen Volkes, ohne die
Sympathien Deutschlands unterliegen unsere Heere gegen den äußeren Feind, und wir müssen
entweder eine zweite schmachvolle Zeit über
Deutschland hereinbrechen sehen oder die Abwehr
derselben einer anderen Macht und einem anderen
Prinzip überlassen, als dem eigenen. Noch ist es Zeit,
noch kann Preußen jene Sympathien sich
bewahren, noch ist es nicht zu spät!
Wenn aber diese Einsicht in uns lebt, wird sie nicht auch in denen lebendig sein, welchen die Leitung der Geschicke des Vaterlandes anvertraut ist? So hören wir Sie fragen. Aber wir brauchen als Antwort auf diese Frage nur hinzuweisen auf jenes Ereignis selbst, welches die Veranlassung dieser Betrachtungen ist und das mit blutigen und flammenden Zügen aufs neue die große Lehre in die Denktafeln der Geschichte eingegraben hat, daß den Königen und ihren Rathgebern die Stimmungen ihrer Völker nur allzu oft ein Geheimnis sind. Eben darum ist es heilige Pflicht jedes Bürgers, heilige Pflicht vor allem der Stadt, welche dem angestammten Königshause am nächsten steht, das Ohr des geliebten Königs nicht allein dem Rathe seiner gewählten Räthe zu überlassen. Wären seine geborenen Ratgeber versammelt, wir könnten schweigen, sie sind es nicht, und die Gefahr liegt nahe, daß das Gouvernement wie 1806 sich dem Gefühl einer trügerischen Sicherheit überläßt. Darum muß sprechen, wer ein Herz hat für König und Vaterland, darum muß vor allem sprechen, wer erwarten darf, daß seinen vertrauensvollen Worten Vertrauen entgegenkommt. Wir dürfen es erwarten, denn unser König hat uns selbst da, wo er unsere Ansichten bekämpfte, als Freund geantwortet. Haben wir, als es sich nur um die nach unserer Ansicht gefährdete kirchliche Freiheit handelte, ohne Rückhalt und Furcht das Wort ergriffen, wie viel mehr müssen wir es jetzt, wo alle Güter zugleich, wo unsere, wo die deutsche Nationalität von Gefahr bedroht ist! | Darum, hochverehrte Kollegen, schließen Sie
sich unserem Antrage an: in einer ehrfurchtsvollen Adresse Seiner Majestät dem Könige treu und
wahr die Besorgnisse auszusprechen, welche uns die gegenwärtige Lage des Staats einflößt, und
daran die Bitte zu knüpfen, schleunigst die Stände
des Reichs um sich zu versammeln und sie mit denjenigen Gaben königlicher Gnade zu
empfangen, welche geeignet sind, die begründeten Wünsche der Nation zu befriedigen und dadurch ein
neues unzerreißbares Band zwischen König und Volk, zwischen Preußen und Deutschland zu schlingen.
Mit erweitertem Wahlrecht der Bürger und Bauern, mit Beseitigung der Differenzen des Patents vom 3. Februar und der frühern Gesetzgebung, mit Gewährung wahrer Freiheit der Presse und der Kirche wird er sein Volk unüberwindlich machen. Für einige Opfer seiner Machtvollkommenheit wird das Volk, wenn es noth thut, Gut und Leben an dem Altar des Vaterlandes opfern, und Preußen wird nicht nur die etwaige französische Invasion siegreich bestehen, sondern auch Deutschland aufs neue sich geistig erobern und einen neuen schönern Tag über das ganze herrliche Vaterland herbeiführen. Quelle: Vossische Zeitung 1898, 9. März | |||
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