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Eberhard Fromm
»Tändeln mit einem Schatten!«

Der Dichter Wilhelm Heinrich Wackenroder
(1773–1798)

In seiner kritischen »Romantischen Schule« merkt Heinrich Heine bei seiner Polemik mit Ludwig Tieck auch die »von einem gewissen Wackenroder geschriebenen >Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders<« an. Bis heute ist einer der frühesten Berliner Romantiker dieser »gewisse Wackenroder« geblieben: weitgehend unbekannt, lediglich in der Literaturwissenschaft knapp behandelt, selbst in seinen Werken stets von anderen herausgegeben, zusammengestellt, mit fremden Titeln versehen.
     Wilhelm Heinrich Wackenroder wurde am 13. Juli 1773 in Berlin geboren, wo er bereits am 13. Februar 1798 verstarb. Der Sohn eines preußischen Justizbeamten – der Vater war Geheimer Kriegsrat – lebte seit seiner frühen Jugend im Konflikt zwischen Pflicht und Neigung: vom Vater für die Laufbahn im juristischen Dienst vorgesehen, seinem ganzen Wesen nach jedoch untrennbar mit der Kunst verbunden. Die inneren Widersprüche zehrten an der Gesundheit des sehr

Wilhelm Heinrich Wackenroder
empfindsamen jungen Mannes. »Diese bittere Mißhelligkeit zwischen seinem angebornen ätherischen Enthusiasmus und dem irdischen Anteil an dem Leben eines jeden Menschen, der jeden täglich aus seinen Schwärmereien mit Gewalt herabziehet, quälte ihn sein ganzes Leben hindurch«, schrieb Wackenroder in seiner autobiographischen Geschichte über den »Tonkünstler Joseph Berglinger«.
     Bereits auf dem Friedrichswerderschen Gymnasium, das unter der Leitung des Aufklärers Friedrich Gedike (1754–1803) stand, lernte Wackenroder Ludwig Tieck (1773–1853) kennen, mit dem ihn bald eine
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enge Freundschaft verband. Beide widmeten sich der Literatur und Musik. Zu ihren Lehrmeistern auf literarischem und musikalischem Gebiet gehörten der Schriftsteller Karl Philipp Moritz (1756–1793), der Komponist und Begründer der Singakademie Carl Friedrich Christian Fasch (1736–1800), der langjährige Leiter der Singakademie Carl Friedrich Zelter (1758–1832) und der Musiker und Schriftsteller Johann Friedrich Reichardt (1752–1814). Auch während des Studiums in Erlangen und Göttingen blieben die Freunde zusammen und entwickelten ihr besonderes Interesse für die Kunst des Mittelalters. Als sie eine Zeitlang getrennt waren – Tieck studierte in Halle, während sich Wackenroder in Berlin aufhielt –, führten sie einen intensiven Briefwechsel. Voller Sympathie äußerte sich darin der junge Wackenroder über die Französische Revolution; auch nach der Hinrichtung des französischen Königs änderte sich daran nichts. »Du kannst Dir nicht vorstellen, wie ich nach Freiheit lechze«, schrieb er an Tieck. »Gott, wie verzeihlich ist es, sie zu mißbrauchen, wenn man so lange gequält ist.«
     Nach dem Studium in Erlangen und Göttingen kehrte Wackenroder 1794 nach Berlin zurück, um als Kammergerichtsassessor seine juristische Laufbahn zu beginnen. Als Reichardt einen Beitrag Wackenroders über Albrecht Dürer (»Ehrengedächtnis unsers ehrwürdigen Ahnherrn Albrecht Dürers«)
1796 in die Zeitschrift »Deutschland« aufnahm und für die Werkesammlung des jungen Schriftstellers, die 1797 anonym in Berlin erschien, auch noch einen eigenen Titel erfand – eben die »Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders« –, da keimte wohl noch einmal Hoffnung bei Wackenroder auf, daß er sich als Künstler etablieren und von der ungeliebten Juristerei verabschieden könnte. »Nur Schaffen bringt uns der Gottheit näher; und der Künstler, der Dichter, ist Schöpfer. Es lebe die Kunst! Sie allein erhebt uns über die Erde, und macht uns unsers Himmels würdig«, notierte er voller Begeisterung.
     Doch die Hoffnung trog. Die Vereinigung von Liebe zur Kunst und Leben in der Kunst mit der Realität, wie Wackenroder es in seiner autobiographischen Erzählung »Das merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Joseph Berglinger« erhoffte, fand nicht statt. Ahnungsvoll schrieb er: »Ach!, daß eben seine hohe Phantasie es sein mußte, die ihn aufrieb? ... Sind diejenigen vielleicht glücklicher gebildet, in denen die Kunst still und heimlich wie ein verhüllter Genius arbeitet und sie in ihrem Handeln auf Erden nicht stört?«
     In dem »Märchen von einem nackten Heiligen« beschrieb Wackenroder einen Menschen, der in harter Arbeit ein riesenhaftes Rad zu bewegen hatte, das er als das »rauschende Rad der Zeit« verstand.
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Ebendieses Rad der Zeit trieb auch Wackenroder voran, enthusiastisch, oft wohl auch hektisch, nicht selten von Angst und tiefem Pessimismus befallen. »Wahres Gefühl für das Schöne und Anständige ist untergegangen, und wir tändeln jetzt mit einem Schatten«, beschrieb er seine Zeit und die eigene Situation. In dem Artikel über Albrecht Dürer lobte er die Ernsthaftigkeit der mittelalterlichen Kunst und rügte die Künstler seiner Tage, die vor allem für vornehme Herren arbeiteten, welche von der Kunst »nicht gerührt und veredelt«, sondern lediglich »geblendet und gekitzelt« sein wollten. So seien denn »kalte, geleckte, charakterlose Werke« die Frucht der künstlerischen Arbeit. »Wehe muß ich rufen über unser Zeitalter, daß es die Kunst so bloß als ein leichtsinniges Spielwerk der Sinne übt, da sie doch wahrlich etwas sehr Ernsthaftes und Erhabenes ist. Achtet man den Menschen nicht mehr, daß man ihn in der Kunst vernachlässigt, und artige Farben und allerhand Künstlichkeit mit Lichtern, der Betrachtung würdiger findet?«
     So finden sich bei ihm alle jene Denkweisen und Stimmungen einer nicht mehr zu bewältigenden existentiellen Krise, die für die sich ausprägende Romantik typisch werden. Man kann Wilhelm Heinrich Wackenroder deshalb ohne Übertreibung den ersten Stichwortgeber der deutschen Romantik nennen.
     Nach seinem Tode gab 1799 sein Freund
Tieck, der auch schon die erste Sammlung betreut hatte, eine weitere Zusammenstellung von Schriften Wackenroders, allerdings verbunden mit eigenen Werken, unter dem Titel »Phantasien über die Kunst, für Freunde der Kunst« heraus. Das waren denn auch schon die künstlerischen Ergebnisse dieses kurzen Lebens. Ludwig Tieck hat sie noch einmal 1814 als »Phantasien über die Kunst von einem kunstliebenden Klosterbruder« zusammengefaßt. Wer sie heute nachlesen will, kann auf die Sammlung W. H. Wackenroder, Dichtung, Schriften, Briefe zurückgreifen, die 1984 von Gerda Heinrich herausgegeben wurde.

Bildquelle: Archiv Autor

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