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Hans Aschenbrenner
Exerzierplatz wird Flughafen

Als im Jahr 1923 die Geburtsstunde des Flughafens auf dem Tempelhofer Feld schlägt, da hatte dieses Areal schon eine fast 600 Jahre alte Geschichte hinter sich: Anno 1351 war es erstmals urkundlich erwähnt worden; Markgraf Ludwig (Ludwig der Bayer) hatte hier durch ein Schriftstück »Zwietracht und Streitigkeiten« mit den Städten Berlin und Cölln beendet. Weideland war die Feldmark, bis der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. im Frühjahr 1722 an dieser Stelle erstmals die Regimenter der Berliner Garnison aufmarschieren ließ. Fortan wurde ein Teil des Feldes zum Parade- und Manöverplatz für das preußische Heer. Nach der ersten deutschen Kaiserparade im Juni 1871 wurden solche Aufmärsche zu regelmäßigen Ritualen, und wurden bis zum Ersten Weltkrieg genutzt, um deutsche Militärmacht zu demonstrieren.
     Für die Berliner war das Tempelhofer Feld ein beliebtes Ausflugsziel. Hierher kamen sie an Sommersonntagen zum Picknick, mit den Kindern ließ man Drachen steigen, bei Pilzschwemmen wurde Jagd auf Champignons gemacht. Großes Interesse fanden waghalsige Flugversuche, bei denen

1883 der Schweizer Maler Arnold Böcklin den Anfang machte. Ein schweres Unglück erlebten Hunderte von Zuschauern am 12. Juni 1897, als das von Hermann Wölfert gebaute lenkbare Luftschiff nach dem Aufstieg in 1000 Meter Höhe über dem Tempelhofer Feld explodierte, wobei der Konstrukteur und sein Assistent Robert Knabe den Tod fanden (BM 6/97, S. 105).
     Am 29. August 1909 überflog, aus Friedrichshafen kommend und von einer Unmenge Zuschauern bestaunt, das »Zeppelin«-Luftschiff LZ 6 das Tempelhofer Feld; bald darauf führten die Gebrüder Wright aus den Vereinigten Staaten die ersten Motorflüge in Deutschland vor.
     Berlin erhielt in Johannisthal Ende September 1909 seinen ersten Flugplatz.
(BM 2/93, S. 48) 1915 folgte der Flugplatz Staaken. Tempelhof kam wegen Militärnutzung noch nicht in Betracht. Auch gehörte das in Frage kommende Gelände nicht der Stadt. Vom Kriegsministerium wurden für Flugveranstaltungen Ausnahmegenehmigungen erteilt. Aber der Ruf nach einem Zentralflughafen, günstiger gelegen als die Flugplätze Johannisthal im Osten (etwa 14 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt) und Staaken im Westen (18 Kilometer zum Stadtinneren), wurde, insbesondere vom Reichsverkehrs- und vom Reichspostministerium, immer nachdrücklicher erhoben.
     Vor allem der Verkehrsdezernent der Stadt, Stadtbaurat Leonhard Adler, setzte sich da-
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für ein und opponierte gegen vom Magistrat gehegte Pläne, angesichts schwerer finanzieller Nöte der Stadt auf dem Tempelhofer Feld ein Messegelände zu errichten. Immer mehr sprach für den neuen Flughafen.
     Von den Junkers-Werken Dessau, Abteilung Luftverkehr Berlin, wurde für die Dauer der Leipziger Messe vom 4. bis 10. März 1923 ein regelmäßiger Passagier- und Postflug zwischen Leipzig und Berlin eingerichtet. Die Zeitschrift »Luftfahrt« berichtete: »Am 7. März war Mockau der Schauplatz einer eindrucksvollen Feierlichkeit. Fünf Junkers-Eindecker brachten den Reichspräsidenten mit zahlreichem Gefolge von Berlin nach Leipzig, und auch die Sächsische Regie-
rung wurde im Flugzeug von Dresden abgeholt. Der Reichspräsident, der durch seine Teilnahme an dem Flug das Interesse der Reichsregierung an der Förderung dieses neuen Verkehrszweiges bekundet hat, er-öffnete nach kürzeren Ansprachen den Weltflughafen Leipzig-Mockau. Nicht unerwähnt darf bleiben, daß die Flugzeuge in Berlin vom Tempelhofer Felde starteten und daß sich dieses Gelände, abgesehen von einigen Unebenheiten, für Start und Landung als geeignet erwies. Schon die kurze Zeit des Messeflugverkehrs erbrachte den deutlichen Beweis, wie vorteilhaft ein dem Zentrum der Stadt nahe gelegener Flughafen ist.«1)
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Inzwischen drängten die für das Projekt zuständigen Behörden zur Eile. Bei Rundflügen während einer Veranstaltung, die dazu diente, Mitgliedern der städtischen Körperschaften, von Reichs- und Staatsbehörden, Vertretern von Banken und Industrie sowie einzelnen Pressevertretern den Platz vorzustellen, war eine Maschine zu Schaden gekommen und aus einer Höhe von etwa 15 Metern zu Boden gestürzt. Drei Personen fanden den Tod. In einer auf den 30. April 1923 datierten »Dringlichkeitsvorlage – zur Beschlußfassung – betr. Errichtung eines provisorischen Flughafens auf dem Tempelhofer Felde« für die Stadtverordnetenversammlung wurde die Entscheidung vorbereitet. In dem Dokument wurde u. a. festgehalten: »Die Entwicklung der Flugtechnik hat im Laufe der letzten Jahre früher ungeahnte Fortschritte gemacht. Bis zum 5. Mai des vergangenen Jahres (1922– H. A.) bestand allerdings für Deutschland auf Grund des Versailler Friedensvertrages ein vollkommenes Bauverbot für Flugzeuge. Von diesem Tage ab durften jedoch Flugzeuge für den normalen Personen- und Postverkehr wieder innerhalb bestimmter Begriffsbestimmungen gebaut werden ... Es ist höchste Zeit, daß Berlin bei dem Wettbewerb der verschiedenen Städte, mit an der Förderung des deutschen und internationalen Luftverkehrs mitzuhelfen, nicht zurücksteht. Umsomehr, als es im Tempelhofer Feld einen Platz besitzt, der infolge seiner zentralen Lage und der günstigen Verkehrsmöglichkeiten, kaum von einem andern Flugplatz Deutschlands und vielleicht auch der ganzen Welt übertroffen wird.«2) Am Schluß dieser Vorlage wurde die Stadtverordnetenversammlung gebeten, einem beiliegenden Vertrag zwischen der Stadt, vertreten durch den Magistrat, und den beiden Luftverkehrsgesellschaften Deutscher Aero-Lloyd, Berlin und Junkerswerke, Abteilung Luftverkehr, Berlin zuzustimmen. Der Vertrag wurde am 26./27. Juli bzw. 3. August 1923 abgeschlossen.3)
     Die beiden Luftverkehrsgesellschaften sorgten für den zunächst behelfsmäßigen Ausbau des Flughafens Tempelhofer Feld, wie er damals hieß. Er wurde am 8. Oktober 1923 vom Reichsverkehrsministerium für den provisorischen Betrieb freigegeben.
     Ein Empfangsgebäude (auf der Höhe des heutigen U-Bahnhofs Paradestraße), zwei Flugzeughallen und eine kleine Schmiede für Reparaturen waren bis dahin entstanden. Mit Ausnahme der Schmiede waren die Gebäude in Fachwerk errichtet und sollten 1924 massiv gebaut werden.
     Zur Eröffnung und Betriebsaufnahme sprachen Stadtbaurat Adler und der Vorsitzende des Aeroklubs, Major von Tschudi, einer der erfahrensten Luftschiffer. Flugplanmäßig um 10.30 Uhr startete ein Junkers-Eindecker nach München (Anschlußlinien u. a. nach Wien, Budapest, Zürich,
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Genf); um 10.40 Uhr brach ein Dornier-Konte- Eindecker in Richtung Danzig, Königsberg auf (Anschlüsse nach Petersburg und Moskau). Die Strecke Berlin–Hamburg–
London wurde wegen der eingesetzten größeren Flugzeuge vorläufig noch über den Flugplatz Staaken abgewickelt.
     In der Folgezeit verlagerte sich der Berliner Flugverkehr immer mehr nach Tempelhof. Am 19. Mai 1924 erfolgte die Gründung der Berliner Flughafen-Gesellschaft m. b. H., an der die Stadt mit 52 Prozent, Reich und Preußen mit je 24 Prozent des Kapitals beteilgt waren. Der nun forcierte Ausbau war darauf gerichtet, das große Flugfeld zu planieren und zu besäen, um geeignete Start- und Landeflächen zu erhalten. Gebaut wurden Abfertigungsanlagen, Flugzeughallen, Funkstationen, Versorgungsanlagen sowie Zufahrtstraßen. 1926 wurden die letzten der deutschen Verkehrsluftfahrt durch den Versailler Vertrag auferlegten Beschränkungen aufgehoben. Junkers und Aero-Lloyd schlossen sich zur »Deutschen Luft Hansa AG« zusammen. Bereits 1926 beflog die Lufthansa, Flugplan 16, von Berlin ausgehende Linien sowie Linien für die Zeitungsdienste von Ullstein und Scherl.
     Bald als »Luftkreuz Europas« anerkannt, blieb wenige Jahre später der in für die Nazizeit typischen Manier angestrebte »Weltflughafen« von gigantischen Ausmaßen unvollendet. Tempelhof blieb auch nicht von Bombardierungen verschont. Während
der von der Sowjetunion über die drei Westsektoren Berlins 1948/49 verhängten Blockade wurde der Flughafen zum wichtigsten Start-, Lande- und Umschlagsplatz der Luftbrücke. Die westlichen Alliierten versorgten so über zwei Millionen Menschen. Tempelhof diente dann dem zivilen Verkehr, wurde aber mit Inbetriebnahme des Flughafens Tegel 1974 weitgehend stillgelegt. Inzwischen hat der Flugverkehr wieder etwas zugenommen. Welche Nutzung den Airport bei einer Stillegung im Zuge des Ausbaus von Schönefeld zum Großflughafen erwartet – darüber kann zur Zeit nur gerätselt werden.

Quellen:
1      »Luftfahrt. Deutsche Luftfahrer-Zeitschrift«, 12. April 1923, Nr. 4
2     Vorlagen für die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin, Nr. 16/1923
3     Vorlagen für die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin, Nr. 12/1924

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