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Helmut Engel/Wolfgang Ribbe
Via triumphalis

Geschichtslandschaft »Unter den Linden« zwischen Friedrich-Denkmal und Schloßbrücke

Akademie Verlag, Berlin 1997

Im 350. Jahr der Straße Unter den Linden hat diese Publikation der Historischen Kommission zu Berlin sicher mehr als die Stammleser historisch fundierter Schriften gefunden. Der mit Bauzeichnungen und Bildern sehr anschaulich gestaltete Band stützt sich auf ein Symposium zu diesem Thema, das die Via triumphalis im Wandel der Zeiten behandelte, darüber hinaus Staatsdenkmäler und Geschichtsverständnis einem interessanten europäischen Vergleich unterzog.
     Wie es die Deutschen mit der Geschichte halten, zeigt Helmut Engel mit der minutiösen Beschreibung des Streites um die zentrale Gedenkstätte in der Neuen Wache. Trotz der eher lakonischen Mitteilungen, wer wann welche Position vertreten hat, wie in den Medien, im Berliner Abgeordnetenhaus und im Bundestag gestritten wurde, wird man den Eindruck nicht los, eine Vorlage zu einem von Dieter Hildebrands Kabarett-Texten zu lesen. Auch nicht den, daß hier – nachdem die Angelegenheit zur Chefsache in Bonn erklärt worden war –
Parteipolitik vor Sachpolitik ging. Denn die Frage, wer denn was zu entscheiden habe, wurde mindestens so lange und so heftig diskutiert wie die, ob mit der Vergrößerung der »Pieta« von Käthe Kollwitz die Grenze des Erlaubten überschritten wurde. (In Berliner Kunsthistoriker-Kreisen spricht man seither vom »Oggersheimer Barock«.) Heute kann sich jeder selbst ein Bild machen, aber noch immer wird gestritten. Die Kollwitz-Erben haben ja untersagt, daß Scharnhorst und Bülow, die beiden Generale aus den Befreiungskriegen, ihre angestammten

Plätze vor der Wache wieder einnehmen dürfen.
     Helmut Engel ist auch die detaillierte und hochinteressante Geschichte von Schinkels Neuer Wache zu danken, des lokalen und zeitlichen Beginns der Via triumphalis. Dabei hatte Schinkel, wie nachgewiesen wird, mehrfache Eingriffe des Monarchen hinzunehmen. Mit der Neuen Wache ging die Anpflanzung des Kastanienwäldchens einher, der Umbau der hölzernen Hundebrücke zur Schloßbrücke, die Arbeiten an den Standbildern der Generale vor der Neuen Wache. In diesem Kontext, so erfahren wir, muß auch der nach einem halben Jahrhundert zu Ende gegangene Streit um ein Denkmal für Friedrich II. gesehen werden, das von Rauch dann ausgeführt wird.
     Werner Knopp ruft mit seiner Arbeit »Kulisse der Macht im Kaiserreich« noch einmal in Erinnerung, daß der preußische Macht- und Prachtboulevard nicht von einem Hohenzollern, sondern von Napoleon das erste Mal zu Triumphzwecken benutzt wurde. Obwohl sich die Linden dafür weit weniger eigneten als die Champs-Elysées, die Mal in London oder die Wiener Ringstraße. Die Dreiteilung nämlich ließ Marschsäulen auf breiter Front nicht zu. Außerdem, so Knopp, kam es wegen der baulichen Umrahmung an verschiedenen Stellen zu lästigen Echowirkungen für die Militärmusik, die den Rhythmus der marschierenden Truppe durcheinanderbrachte. Mit interessanten Details und in das politische Umfeld eingeordnet beschreibt er die Staatsnutzung der Linden.
     Jürgen Schmädecke untersucht die »Geschichtsmeile im Umbruch der politischen Systeme«, vom Beginn der Weimarer Republik bis zur Aneignung durch die Nationalsozialisten. Er geht dem Schicksal der Neuen Wache nach, die dann von Heinrich Tessenow zum Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges umgestaltet wurde, und zeigt die Inbesitznahme durch die Nationalsozialisten und die Rolle, die die Linden in der Hauptstadt »Germania« spielen sollten.
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Über die Aneignung der Geschichtslandschaft in der DDR berichtet Helmut Engel, beginnend mit den Weisungen der SMAD, ohne die in den ersten Nachkriegsjahren kein Stein auf den zerstörten Linden bewegt werden konnte. Anhand verschiedener Pläne, so von Paulick und Liebknecht, kann nachvollzogen werden, wie die DDR die historische Mitte besetzen wollte, was ja dann zum Abriß des Stadtschlosses führte. Weiter geht Helmut Engel den einzelnen Bauphasen im Zentrum bis zum Palast der Republik und Unter den Linden nach.
     Verdienstvoll die Arbeit von Rosemarie Baudisch, in deren Händen auch die Gesamtredaktion lag. In einem ausführlichen Literaturverzeichnis hat sie zusammengetragen, was wohl je über die Straße Unter den Linden geschrieben wurde. Ein Personen-, Standort- und Bauwerkeregister rundet dieses gelungene Kompendium über die Linden als Via triumphalis ab.
     Jutta Arnold
Lage. Geschichte und Geschichten des Hackeschen Marktes am gleichnamigen S-Bahnhof lebendig werden zu lassen, das Heute zu streifen, einen Ausblick in das Morgen zu geben und somit ein Stück Entwicklung Berlins im Detail aufzuzeigen, ist das Anliegen der im Auftrag des »Vereins zur Vorbereitung einer Stiftung Scheunenviertel Berlin e. V.« entstandenen Publikation. Mit seinem Geschichtsexkurs beginnt Dieter Weigert bereits ein Jahrhundert vor der Bebauung des Platzes, eines ehemals zwischen zwei Bastionen der kurfürstlichen Stadtbefestigung gelegenen Sumpfgeländes. Sehr ausführlich, mit fast schon zu vielen Details angefüllt, schließt sich daran die Biographie des Namensgebers des Platzes, Hans Christoph Friedrich Graf von Hacke, und dessen familiärer Umgebung an. Vielleicht ermunterte das bewegte Leben des Militärs Hacke zu solcher Ausführlichkeit. Als Stadtkommandant, vom König Friedrich II. in diese Funktion berufen, widmete sich Graf Hacke ab 1749 bis zu seinem Tode 1754 der Bebauung des Areals, das seit 1848 offiziell nach ihm benannt ist. Erst auf Seite 38 stellt der Autor die rhetorische Frage »Wie weit war die städtebauliche Anlage des neugeschaffenen Platzes vor der Spandauer Brücke und die Bebauung der Grundstücke bei Hackes Tod im Jahre 1754 gediehen?« Antwort darauf gibt zunächst eine auf selbiger Seite abgebildete kartographische Darstellung des Kupferstechers Johann David Schleuen aus dem Jahre 1757. Zwei Stiche von Johann Georg Rosenberg zeigen im folgenden den Platz mit seinen Gebäuden und Bewohnern in den Jahren 1780 und 1781. Festgehalten ist darauf auch die Marktsituation – feste Holzbuden mit Auslagen. Diese Zeitdokumente, einen Plan, gefertigt von J. C. Selter im Jahre 1804, fleißige Recherchen in alten Adreßbüchern, Zeitungen, einschlägiger Literatur sowie zahlreiche Fotos nutzt Weigert, um Licht in das Dunkel des Hackeschen Marktes vor unserer Zeit zu bringen. Dessen Areal wurde aufgrund der Nähe zum Schloß Monbijou und zur Spree sowie vor allem seiner zentralen
Dieter Weigert
Der Hackesche Markt

Kulturgeschichte eines Berliner Platzes

Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 1997

Es ist gewiß ein lohnenswerter Versuch, auf 144 Seiten ein Vierteljahrtausend Geschichte eines Platzes inmitten Berlins darzustellen, wo kaum noch Gebäude als steinerne Zeugen an gute wie auch schlechte Zeiten erinnern. Der Besucher benötigt viel Phantasie, um sich in diesen einst dichtumbauten Platz hineinzuversetzen, der nach längerem Schattendasein wieder attraktiver zu werden beginnt, und das nicht nur wegen seiner zentralen

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Lage schnell zu einer bevorzugten Wohngegend. Handwerk und Gewerbe siedelten sich an, im 19. Jahrhundert waren es insbesondere auch die Textilbranche und die Konfektionsindustrie. Aschinger, die Zigarettenfirma Loeser & Wolff und das Kaufhaus Wertheim wurden hier ansässig. Gleich in der Nähe waren die Börse und Zirkus Busch. Der Hackesche Markt wurde nach der Eröffnung des S-Bahnhofs Börse (nach dem Zweiten Weltkrieg in Marx-Engels-Platz und 1992 in Hackescher Markt umbenannt) nun für viele Bewohner im Norden und Osten neben dem Alexanderplatz zu einem reizvollen, schnell erreichbaren Einkaufszentrum. Das Flair des Hackeschen Marktes und der auf ihn einmündenden Straßen bestimmten nicht zuletzt auch kleinere Geschäfte, Kneipen und Cafés. Die Rote Apotheke, die älteste noch existierende Apotheke Berlins, so erfährt der Leser, kann man in der Rosenthalerstraße heute noch bewundern. Anziehungspunkt sind natürlich auch die frischgeputzten Hackeschen Höfe, die Berliner und Touristen in Scharen anlocken. Entstanden im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts, ist für sie charakteristisch die Mischung von Gewerbe und Wohnen, aber auch Ballsäle, Weinhandlungen und ein Kino waren dort zu finden. Heute sind im Inneren der Höfe auch wieder Galerien, Ateliers, eine Druckerei, Varieté, Antiquariat und Café und noch vieles mehr zu Hause. Nicht wenige der früheren Geschäftsinhaber, Gewerbetreibenden und Wohnmieter sowohl in den Hackeschen Höfen als auch am Hackeschen Markt und in den umliegenden Straßen waren Bürger jüdischer Herkunft. Ihnen ist eines der zehn Kapitel des Buches gewidmet. In ihm wird über Bankiers, Kaufleute und Intellektuelle berichtet, die Geschichte, Kulturgeschichte, Philosophie, Pädagogik und vieles andere noch mitgeschrieben haben, wie zum Beispiel Isaak Daniel Itzig, Simon Veit, Moses Mendelssohn und Ludwig Marcus. Für sie alle und für viele andere Persönlichkeiten und »Normalbürger« war der Hackesche Markt und seine Umgebung eine gute Adresse: für Alexander von Humboldt, die Schriftsteller Gustav Freytag und Gerhart Hauptmann, den Rechtsgelehrten Friedrich Karl von Savigny ... Viele weitere Namen von Personen, die irgendeinen Bezug zum Hackeschen Markt oder zur Spandauer Vorstadt haben, werden in dem Buch genannt. Es hätte sich deshalb ein alphabetisch geordnetes Personenregister als Anhang angeboten. Nicht unbedingt negativ wirkt auf den Leser, daß das Buch nicht aus einem Guß besteht, sondern die einzelnen Kapitel von unterschiedlichem Herangehen geprägt sind.
     Für Berliner ist es natürlich kein Problem, den Hackeschen Markt als nur eine S-Bahn-Station vom Alexanderplatz entfernt zu orten und nicht zwei, wie in der Publikation auf Seite 9, gewiß ein Lapsus, die Beschreibung des Platzes eingeleitet wird. Einen Besucher von außerhalb könnte dies aber vielleicht irritieren. Etwas unübersichtlich erscheinen auch die militärischen Ränge des Grafen Hans Christoph Friedrich von Hacke. Positiv muß aber unbedingt noch die große Auswahl an Fotos erwähnt werden. Sie vermitteln dem Leser Eindrücke des Platzes aus der Zeit seiner Blüte, und sie geben Zeugnis davon ab, wie er nach den Bombardements im Zweiten Weltkrieg zu einem fast gebäudelosen Platz wurde. Augenblicklich ist der Platz, auf den bekannte Straßen wie die Oranienburger münden, von immensem Baugeschehen gekennzeichnet. Ab Seite 131 erfährt der Leser, welche ehrgeizigen Bauvorhaben diesseits und jenseits des S-Bahn-Viaduktes geplant sind. Die Claims dafür sind längst abgesteckt. 250 Jahre nach der Urbebauung des Platzes werden wir nun Zeitzeugen eines Versuchs, mit heutiger Technik traditionelle Elemente der Vergangenheit zumindest teilweise wiedererstehen zu lassen.
     Jutta Aschenbrenner
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© Edition Luisenstadt, 1998
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