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bauten Complexes liefen, erwiesen sich für die Verbreitung des Feuers, wie so oft schon, als die denkbar günstigsten Bedingungen. Die eisernen Thüren, welche innerhalb des Gebäudes eine Isolirschicht gegen einen etwaigen Brand bilden sollten, waren von den Arbeitern bei der Flucht aus dem brennenden Hause offen gelassen worden. So kam es, daß innerhalb einer Viertelstunde nach dem Ausbruch des Feuers das gewaltige Gebäude einen einzigen formidablen Brandherd bildete.«
Mehrmals hatte es in der Borsigmühle zuvor schon gebrannt, ohne daß größerer Schaden entstanden wäre. Der Gewalt dieses, wie sich bald herausstellen sollte, größten Brandes, der bis dahin überhaupt je in Moabit gewütet hatte, war kein Wasser gewachsen. Unmittelbar nach Alarmierung war Brandmeister Wiesener als erster Feuerwehr-Offizier mit dem 15. Löschzug aus der Feuerwache Turmstraße vor Ort. Die Meldung: »Großfeuer« rief fast die gesamte Berliner Feuerwehr an die Brandstelle.
     Mittels Dampf- und Druckspritzen, mit ungeheuren Wassermengen wurde die Glut bekämpft. Vergebens: Das Wasser verdampfte regelrecht; von oben konnte man die mitunter haushohen Flammen nicht angehen, dafür waren die mechanischen Leitern nicht hoch genug; enorme Hitze verhinderte, daß die Löschmannschaften nahe genug an den Feuerherd herankommen konnten.
     Es sollte sogar noch schlimmer kommen,
Hans Aschenbrenner
Wo einst die
Borsigmühle stand

Als am Abend des 7. Januar 1898 mächtiger Feuerschein vom Nordwesten her über dem Tiergarten aufkam, löste das die abenteuerlichsten Gerüchte aus. Das ehemalige Krollsche Theatergebäude, ja sogar die »Zelte«, sah man einem Großbrand zum Opfer fallen.
     Zu Tausenden fuhren die Berliner mit den Stadtbahnzügen zur Station Bellevue, um möglichst nahe an den Ort des Geschehens heranzukommen. Überfüllt waren die Pferdebahnen nach Moabit. In der Straße Alt-Moabit hasteten die Menschen immer dem Feuerscheine nach. Und sie sahen, daß es die große Dampfmühle auf dem Borsigschen Fabrik- und Gartenterrain war, die in Flammen stand. Was sich abspielte, darüber informierte der »Berliner Lokal-Anzeiger« am Tag darauf: »Die Feuerwehr stand, obwohl die Zugänge zum Gebäude von allen Seiten frei waren und die unmittelbar an der Mühle vorüberfließende Spree die trefflichste Wasserversorgung ermöglichte, vor einer verzweifelten Aufgabe. Die Transmissionsschächte, welche durch alle Etagen des in seinen Thürmen und Erkern bis zu acht Stockwerken hoch festungsartig ge-

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als die Spreefront der Mühle mit den Getreideaufzügen, einem großen Kran, weiteren
Aufzügen und mehreren tausend Zentnern Roggen in die Spree stürzte; bis über den Wasserspiegel lag der Roggen in der Spree. Angesichts der Ausmaße des Brandes erwies es sich als ein überaus glücklicher Umstand,
daß die nächsten Wohnhäuser und das große Eisenwalzwerk von Borsig ein Stück entfernt lagen.
     Das der Firma A. Borsig gehörende Mühlen-Etablissement war per Pachtvertrag vom 18. März 1895 auf die Berliner Dampfmühlen-Aktien-Gesellschaft übergegangen.
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Die Pachtzeit belief sich auf viele Jahre, wobei diese Gesellschaft auch das spätere Ankaufsrecht hatte. Erst 1897 war die Mühle mit einer Hauptfront von 100 Meter Länge nach Plänen der Berliner Firma »Maschinenfabrik für Mühlenbau, vormals C. G. W. Kapler« umgebaut und mit modernsten Maschinen ausgestattet worden. An einem Tag konnten 150 000 Kilogramm Getreide gemahlen werden. Man wollte gerade beginnen, die Mühle auch nachts zu betreiben. Für die Vermahlung sorgten 46 Walzenpaare, zehn Mahlgänge und fünf Desintegratoren. Das Fassungsvermögen des Getreidespeichers betrug vier Millionen Kilogramm Getreide. Über einen unterirdischen, 60 Meter langen Gurttransporteur wurden fertiges Mehl bzw. fertige Kleie vom Mehlspeicher zur Spree und zu den Schiffen gebracht. In massiven Schächten waren sowohl im Getreide- wie im Mehlspeicher auf- und niedergehende Fahrstühle installiert.
     Von all dem ließ die Feuersbrunst lediglich, in total baufälligem Zustand, die Umfassungsmauern zurück. Über die Entstehung des Brandes, der 50 Arbeiter in Beschäftigungsnot brachte, ist viel gerätselt worden, auch darüber, ob Brandstiftung vorliegen könnte. Von der Kriminalpolizei sofort in Gang gesetzte Ermittlungen bestätigten das nicht. Dem Verantwortungsbewußtsein und der Geistesgegenwart aller Beteiligten war es zu danken, daß am
Lageskizze der Brandstelle auf dem einstmaligen Borsig-Terrain in Alt-Moabit
Ende keine Toten beklagt werden mußten, auch niemand ernstlich verletzt worden ist.
     Bis zum 24. Januar brannte und glimmte es in dem Rest-Gemäuer. Die Dampfmühle ist nicht wieder aufgebaut worden. Am 20. Mai wurde erstmals gesprengt. Zur Enttäuschung Tausender, die die Nachricht
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»Die Borsigmühle wird gesprengt!« angelockt hatte, flog aber nicht die ganze Ruine in die Luft, sondern nur das, was vom einstigen Mittelteil noch verblieben war. Die vollständige Sprengung der Mühlenruine erfolgte am 11. Juni 1898 durch ein Kommando des Eisenbahn-Regiments Nr. 1.
     Nichts erinnert heute an dieser Stelle an die Borsigmühle und den großen Brand vor 100 Jahren. Die Firma Borsig, deren erste Fabrik sich einst in der Chausseestraße befunden hatte, übersiedelte – längerfristig geplant – 1898 vom zweiten Standort Moabit nach Tegel. Hier fand sie fortan auch die terrainmäßigen Voraussetzungen für eine expandierende Produktion. Das 2 250 Quadratruthen, so die damalige Bezeichnung, große Borsigsche Fabrik- und Gartengrundstück an der Straße Alt-Moabit, Stromstraße 2 c, war jedoch schon im Mai 1898 für 3,5 Millionen Mark an die Magdeburger Bau- und Kreditbank verkauft worden.
     Später hat es dann die Baugesellschaft »Neu-Bellevue« erworben, die hier Mietshäuser errichtete.
     Einen Orientierungspunkt dafür, wo sich die Borsigmühle befunden hat, bot bis vor kurzem an der Stelle, an der die Dortmunder und die Bochumer Straße auf das Bundesratufer stoßen, die Kneipe »Zum alten Borsigsteg«. Ihren Namen hatte sie von einer kleinen Brücke, die hier einmal die Spree überspannte, im Zweiten Weltkrieg zerstört und danach nicht wieder aufgebaut
wurde. Das Lokal gibt es nun auch nicht mehr – »Zu vermieten (kein Lokal)« vermelden jetzt Aushänge in den Fenstern den neuesten Stand.

Bildquellen:
»Berliner Lokal-Anzeiger«, 8. Januar 1898; »Berliner Zeitung«, 9. Januar 1898

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