Mühlendamm

MITTELALTERLICHE STADTMAUER

Dia-Serie Mittelalterliche Stadtmauer

Die Doppelstadt Berlin und Cölln war seit dem 13. Jh. von Mauern umgeben, die unterschiedlichen Zwecken dienten: militärischen (FestungsanlageFestungsanlage), aber auch polizeilichen und steuerlich-fiskalischen (AkzisemauerAkzisemauer).Ob schon in der Frühzeit Anlagen als "Ringwälle" und "Wendenburgen" im Bereich des heutigen Stadtkerns existierten, ist nicht belegt. Wahrscheinlicher ist die Vermutung, daß Berlin anfangs gänzlich oder teilweise von einem Wall von eingerammten Palisaden mit einem vorgelagerten Wehrgraben, einem aus der Spree abgezweigten Wassergraben, umgeben war.

Wichtigster Beleg für Existenz und Verlauf der mittelalterlichen Stadtmauer war bis vor einem halben Jahrhundert der älteste bekannte Stadtplan von Berlin, der Memhardt-PlanMemhardt-Plan, der die Topographie der Doppelstadt um 1650 darstellt. Im Sommer 1948 stieß man beim Abtragen von Ruinen Mauerreste alter kleiner Häuser zwischen der Neuen Friedrichstraße (seit Mai 1951 Littenstraße Littenstrasse) und Waisenstraße (benannt nach dem ehemaligen, 1697 erbauten Großen Friedrichs-Waisenhaus) zufällig auf fünf Mauerstücke von insgesamt etwa 120 m Länge, die zweifelsfrei dem alten Mauerring zugeordnet werden konnten, der weit mehr als einem Dutzend von Generationen Berliner und Cöllner Bürger vom 13. bis 17. Jahrhundert als Schutz gedient hatte. Obwohl in nachfolgenden Jahrhunderten die alte Stadtmauer beiderseitig, stadtwärts und feldwärts, durch An- und Umbauten sowie Durchbrüche teilweise erheblich verändert worden war, war die Bausubstanz der alten Befestigungsanlage im wesentlichen erhalten geblieben. Diese wertvollen Zeugen des mittelalterlichen Berlin wurden unter Denkmalschutz gestellt und 1983/84 erneut sorgsam restauriert. "Der Wert dieses Bauwerks kann für die Geschichte Berlins kaum überschätzt werden." (SEYER, H. 1987/119)

Wie bei vielen mittelalterlichen Bauwerken fanden sich auch bei den Mauerteilen an der Waisenstraße sogenannte Feldsteine und Backsteine, fest verbunden mit weißlich-grauem Kalkmörtel. Die Feldsteine, kaum bearbeitete Granit-Findlinge eiszeitlicher Herkunft in unterschiedlichen Größen, wurden in den unteren Mauerteilen als Sockel, teilweise als Füllmauerwerk, verbaut, die Backsteine im "Kloster-Format" (28 mal 14 mal 9-10 cm) meist im sogenannten "gotischen" Verband (2 Läufer, 1 Binder) in den oberen Teilen der Wehranlage. Bei den freigelegten Mauerteilen war auf der der Stadt zugewandten Seite im oberen Bereich ein deutlicher Absatz im Backstein-Mauerwerk zu erkennen, der Rest einer Brüstungsmauer, die vermutlich einen Wehrgang gedeckt hatte. An einem Mauerstück waren in knapp 4 Meter Höhe auch drei (später vermauerte) Schießscharten von etwa 0,45 Meter Höhe und 0,10 Meter Breite erkennbar, die in unregelmäßigen Abständen voneinander angebracht waren. Höhe und Stärke der ausgegrabenen Mauerstücke waren unterschiedlich: zwischen 0,90 und bis zu 5 m hoch sowie unten 0,72-1,10 dick. Zu den Untersuchungen der Stadtmauer Mauerrestevon 1948 kamen in der Folgezeit - meist bei Bauarbeiten - weitere hinzu: 1961 beim Wiederaufbau der historischen Gaststätte "Zur letzten Instanz" in der Waisenstraße 15, 1965 beim Bau einer Fernheizung im Bereich des Mauerstücks nahe der Klosterkirche, 1974 bei Arbeiten am Fundament zum "Palast der Republik" und 1983 bei der Restaurierung alter Mauerteile in Höhe der Voltairestraße, die die Litten- und Alexanderstraße verbindet. Die Ausgrabungen beim Bau des "Palastes der Republik" ermöglichten auch Einblicke in den Cöllner Teil der Stadtmauer Mauerreste. Dabei zeigte sich, daß die Mauer auf einem einst viel tiefer gelegenen sumpfigen Terrain, das später aufgeschüttet wurde (die Mauer reichte bis 5,90 m unter die heutige Oberfläche), auf einem Pfahlrost aus zugespitzten, senkrechten Pfählen mit dazwischenliegenden waagerechten Hölzern erbaut worden war.

Die Mauer war hier 1,70-2,10 m breit. Insgesamt bestätigten die Ausgrabungen annähernd die häufig zitierte Beschreibung der Stadtmauer von F. HOLTZE (1820-1908) aus dem Jahre 1859 (1874). Danach war die Mauer meist 6 Fuß dick (das entspricht 1,88 Meter), an einigen Stellen jedoch höchstens nur 3 Fuß, mit niedrigen, zum Teil später hinzugefügten Strebepfeilern, ohne sorgfältige Fundamentierung und kunstreichen Zinnenbau. In der Mauer befanden sich in unregelmäßigen Abständen mehrere bis zu 25 m hohe Türme und etliche innen offene Halbtürme, sog. Weichhäuser (Wikhäuser). Im 15. Jh. hatte man vor der Mauer zwei etwa 15 m breite Gräben ausgehoben, die durch einen etwa 7,50 bis 10 m breiten Erdwall getrennt waren. Der östlich und nördlich um Berlin herumführende sogenannte Berliner Stadtgraben war lediglich eine "Flutrinne von etwa 1500 m" (NATZSCHKA, W. 1971), an dessen Ausfluß in die Spree (an der Stelle der heutigen Friedrichsbrücke) der "Mönchsturm" lag, während der sogenannte Cöllnische Stadtgraben ("Spreekanal") mittels Stauschleuse vor allem der Hochwasserableitung diente ( Mühlendamm). Dabei scheint der Cöllnische Stadtgraben noch bis ins 17. Jh. (wie aus ältesten
        überlieferten Stadtansichtenältesten überlieferten Stadtansichten um 1635 und 1652 entnommen wird) etwa auf der Höhe des heutigen Zeughauses nach rechts abgebogen zu sein und sich bei der heutigen Friedrichsbrücke wieder mit der Spree vereinigt zu haben, d.h. der nördliche Teil der Spree"insel" wäre demnach Festland und der jetzige Kupfergraben Kupfergraben eine künstliche Wasserstraße, die (wahrscheinlich zwischen 1650 und 1655 angelegt) im Memhardt-PlanMemhardt-Plan als "Neuer Ausfluß der Spree" bezeichnet wird, jedoch im Zuge des Baus der Festungsanlage
        (Fortifikation)Festungsanlage (Fortifikation) 1670 wieder geschlossen worden war.

Über den doppelten Wassergraben führten Brücken, die durch fünf Torhäuser ("Stadttore Stadttore") geschützt waren und durch die der gesamte Verkehr stadteinwärts und -auswärts führte. Auf der Berliner Seite standen drei Tore: das Spandauer Tor im Nordwesten, das besonders aufwendige Oderberger Tor (später Georgen- und Königstor) mit einem mehrstöckigen Torturm einschließlich Zeughaus und Gefängnis im Osten sowie das Stralauer Tor im Südosten. Auf der Cöllner Seite befanden sich zwei Tore: das Teltower Tor Stadttore(später Gertraudentor) im Westen und das Köpenicker Tor im Süden. An der Stadtmauer waren die Straßen nur mit wenigen Häusern besetzt, wie etwa in der Heidereiter (Heydereuter) Gasse, in der der Heidereiter (städtischer Oberförster) sowie der Büttel oder Scharfrichter ihre Häuser hatten. Schon die älteste Befestigung umfaßte mit einer Gesamtlänge von 2,5 km beide Teile der Doppelstadt mit ihrer Fläche von ca. 70 ha als Ganzes: Berlin im Osten und Norden als "Berlinische Mauer", Cölln im Süden und Südwesten als "Cöllnische Mauer". Die Umwehrung Berlins begann an der Spree etwas unterhalb der 1822 errichteten Jannowitzbrücke, gegenüber dem heutigen Standort des 1901-1907 erbauten Märkischen Museums Museum. Sie führte vom damaligen Stralauer Tor in einem sanften Bogen entlang der nachmaligen Neuen Friedrichstraße (heutigen Littenstraße) nach Nordwesten, umging in einer kleinen Ausbiegung den Chor der Klosterkirche, führte über die heutige Grunerstraße hinweg zum damaligen Oderberger Tor (später Georgen- und Königstor), verlief am heutigen Standort des Fernsehturmes vorbei über die heutige Karl-Liebknecht-Straße hinweg, bog dann in die heutige Rochstraße nach Westen zum damaligen Spandauer Tor ab, schloß das damals wichtige Heiliggeist-Hospital ein und stieß unterhalb des heutigen Standorts des Radisson-Hotels (ehemaliges, auf dem früheren Gelände der kriegszerstörten Börse 1976-1979 erbautes "Palasthotel") bei der heutigen Friedrichsbrücke Friedrichsbrücke (erstmals 1719 als Große Pomeranzenbrücke angelegt) wieder auf die Spree, wobei die Stadtmauer allerdings einen Knick nach Süden machte und noch einmal in der Burgstraße parallel zur Spree bis vermutlich zur heutigen Ecke Karl-Liebknecht-Straße verlief, offenkundig zum Schutz vor Eindringlingen von der Spree her. Der gesamte Verlauf der Cöllner Stadtbefestigung ist nicht vollständig rekonstruiert, weil der nördliche Teil durch die Errichtung der mittelalterlichen Schloßanlage an der Spree 1443-1451 unter Kurfürst Friedrich  II. (1413-1471, Kfst. 1440-1470) beseitigt wurde, nachdem Berlin/Cölln am 29.8.1442 zur Hergabe des Grundes und Bodens einschließlich der darauf befindlichen Wehranlagen zum Schloßbau gezwungen worden waren. Auf dem ältesten überlieferten Stadtplan Mitte des 17. Jahrhunderts ist die Stadtmauer in diesem Bereich nicht mehr verzeichnet. Der durch Memhardt bekannte südliche Teil der Cöllner Umwehrung begann im Südosten der Spree-(Fischer-)inselFischer-)insel bei der heutigen Inselbrücke (erstmals 1693 erbaut), führte am rechten Ufer des östlichen Spreearms ("Cöllner Spreekanal") entlang zum damaligen Cöpenicker Tor (etwa Roßstraße 14-15) in einem Bogen weiterhin parallel zum halbkreisförmigen Verlauf des Spreearms zum damaligen Teltower Stadttore(später Gertraudentor) am nordöstlichen Ende der alten Gertraudenbrücke und von dort nach Norden bis zur Höhe der Jungfernbrücke bei der Spreegasse (seit 1931 Sperlingsgasse). Der weitere Verlauf ist nicht genau gesichert. Sicher ist, daß die Stadtmauer das Dominikanerkloster mit seiner Kirche etwa am Standort des vormaligen, 1962-1964 erbauten DDR-Staatsratsgebäudes einbezog und schließlich den späteren Schloßplatz (ein im Mittelalter noch sumpfiges Überschwemmungsgelände) durchquerte, wobei dessen größter Teil sowie der spätere LustgartenLustgarten außerhalb der Stadtmauer lagen. Am heutigen Standort des ehemaligen, 1973-1976 erbauten "Palastes der Republik" endete die Befestigung abermals an der Spree.

Die Datierung der mittelalterlichen Stadtmauer ist nicht genau gesichert. Sicher scheint, daß sich der Bau des für mittelalterliche Verhältnisse großen Bauwerkes über einen langen Zeitraum, wahrscheinlich über mehrere Generationen, erstreckte. Urkunden, aus denen der Beginn der Errichtung einer Wehranlage hervorgeht, existieren nicht. Als frühester indirekter Beleg für die Existenz der Stadtmauer gilt eine Urkunde vom Jahre 1319, in der das Heiliggeist-Hospital "domus St. Spiritus intra muros civitatis Berlin" (also innerhalb der Mauer der Stadt Berlin gelegen) genannt wird. Eine weitere Eingrenzung der Entstehungszeit ermöglicht der Verlauf der Wehranlage an der Franziskaner-Klosterkirche. Dort macht die Stadtmauer, wie schon erwähnt, eine kleine Ausbiegung um den vermutlich um 1290 errichteten Chor der Klosterkirche. Das aber heißt, daß die steinerne Wehranlage bereits um 1290 vorhanden gewesen sein muß. Die Behauptung des märkischen Chronisten Peter Hafftiz (vor 1530-nach 1600), Berlin sei schon 1247 ummauert gewesen, läßt sich nicht nachprüfen. Archäologe HEINZ SEYER geht von einer Errichtung des steinernen Mauerringes in den 70er oder oder 80er Jahren des 13. Jh. Aus. Nach DEHIO waren Berlin und Cölln zwischen 1260 und 1280 ummauert (DEHIO 1994/83).

Nachdem diese älteste Stadtbefestigung den weiterentwickelten Waffen immer weniger standzuhalten vermochte und insbesondere im Dreißigjährigen Krieg versagt hatte, beauftragte Kurfürst Friedrich Wilhelm (1620-1688, Kfst. ab 1640 Friedrich Wilhelm) den Baumeister J.G. Memhardt (1607-1678) mit der Errichtung einer neuen Festungsanlage
        (Fortifikation)Festungsanlage (Fortifikation) zum Schutz seiner Residenzstadt.

Quellen und weiterführende Literatur: Literaturquellen
Berlin 1798/7; Zedlitz 1834/739; Holtze 1874/3f.; Woltmann 1872/18; Ring 1883/7; Streckfuß 1886-I/4; Schwebel 1888-I/93f.; Borrmann 1893/141-151; Louis 1936/10-12; Rave 1941/14; Stein 1951/1-3; Schulze 1962/90-92; Natzschka 1971/22, 33; Jäger/Steinhardt 1961/26; Schneider/Gottschalk 1980/32-33; Bolduan u.a. 1982/29; Seyer 1987/71-80, 119; Schich 1988/165-170; Berlin Handbuch 1993/1138-1139; Dehio 1994/83; Lindner 1994/6 f.

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Stadtentwicklung