Eine Rezension von Ursula Reinhold


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Im Blickpunkt die literarische Physiognomie eines Autors

Günter Scholdt: Gustav Regler
Odysseus im Labyrinth der Ideologien.
Eine Biographie in Dokumenten.

Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 1998, 433 S.

 

Die anläßlich des 100. Geburtstages von Gustav Regler erschienene Biographie präsentiert den aktuellen Forschungsstand, der sich in den letzten zehn Jahren durch die Einrichtung der Arbeitsstelle für die Gustav-Regler-Forschung (sie arbeitet inzwischen unter dem organisatorischen Dach des Literaturarchivs Saar-Lor-Lux Elsaß bzw. der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek) kontinuierlich entwickelt hat. Inzwischen sind dort umfassende Briefnachlässe hinzugekommen, Materialien aus dem Worpsweder Archiv und aus den Moskauer Parteiarchiven, die genauere Aufschlüsse über die Lebenssituationen Reglers und die politischen Konstellationen in Moskau, Spanien und in Mexiko ermöglichen. Besonders die Kenntnisse über die biographischen und ideologischen Stationen der 30er und 40er Jahre haben sich dadurch erweitert. Auf der Grundlage dieser erweiterten Materialbasis konnte die Werkausgabe begonnen werden, von der bisher sechs Bände vorliegen. Neben verschiedenen Wiederabdrucken steht damit auch eine Reihe erstmals publizierter Texte zur Verfügung. Während die Frühphase der Regler-Forschung vor allem durch das allgemeine Interesse an der Exilliteratur geprägt war und sich besonders dem politischen Autor Gustav Regler widmete, gab es in den letzten Jahren stärker spezielle Beiträge, die von mentalitätsgeschichtlichem und philosophischem Interesse gekennzeichnet waren, u. a. Arbeiten zur Rolle von Religionskritik und Religiosität in Reglers Werk, wodurch die politischen Interessen des Autors zu „Sekundärphänomenen“ werden. Die hier vorliegende Biographie in Dokumenten schöpft aus dem umfassenden Materialfundus, vor allem auch aus dem umfangreichen Briefwechsel, und zeigt sich zudem angeregt durch Fragestellungen, die Autor und Werk in einen weiten zeitgeschichtlichen Bezug und dessen ideologischen Reflexen stellen. Obwohl die Biographie des Autors im Zentrum steht, fallen Seitenblicke auf das Werk. Es werden ideologische und ästhetische Wendungen dargestellt und als Beleg der Lebenskurve genommen. Deutlich wird, daß eine ästhetische Wertung des Künstlers Regler schwierig ist und noch weitgehend aussteht. Im Blickpunkt steht die literarische Physiognomie eines Autors, den der Herausgeber in seinem Vorwort in die zweite Garde anspruchsvoller Epiker neben Kesten und Keun, Horvath und Graf, Glaeser und Remarque, Erich Kästner und Joseph Roth, Anna Seghers und Klaus Mann stellt. Mag diese Einordnung zweifelhaft erscheinen, auf jeden Fall benennt Scholdt mit Dichter und literarischer Kolporteur die Pole, zwischen denen der Autor sich bewegte. Für Reglers literarische Physiognomie bleibt eine religiöse Grundprägung maßgeblich, sie prägt den suggestiven, den Leser ansprechenden Predigerton, der nicht nur für seine politischen Bücher kennzeichnend ist. Außerdem verrät sie sich in den Bildern und Denkanstößen, die der Bibel entnommen sind. Ein weiterer Zug seines Werkes wird durch den wichtigen Stellenwert gekennzeichnet, der dem Autobiographischen zukommt. Das Autobiographische findet sich nicht nur in seinen Bekenntnis- und Erinnerungsbüchern, sondern auch in der Art und Weise, wie er eigene, zeitgenössisch-existentielle Probleme in Figuren und Erzählhandlungen historischer oder exotischer Stoffe projiziert und mit einem hohen Maß an Identifikation darstellt. Das Repräsentative von Regler sieht der Autor aber vor allem durch den außergewöhnlichen Lebenslauf gegeben, den er in zahlreichen Dokumenten, Selbstaussagen, in Aussagen von Zeitgenossen, in Beschreibungen und Recherchen reproduziert. Die Lebensstationen führen vom Geburtsort, dem saarländischen Merzig, über München und Worpswede am Ende der zwanziger Jahren nach Berlin, zur kommunistischen Bewegung. Er blieb ein Gralssucher und Rebell, katholische Prägungen, patriotische Neigungen, Hinwendung zur Jugendbewegung und Versuche einer großbürgerlichen Existenz gehen seiner Hinwendung zur Kommunistischen Partei voraus. Die Frontstellung gegen den Faschismus führt ins Exil, zunächst wirkt er als Agitator während der Saarabstimmung, dann führt sein Weg in die Emigration nach Moskau. Schließlich kämpft er in den Reihen der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg und wird schwer verwundet. Danach wird er wie viele ehemalige Brigadisten im französischen Konzentrationslager Le Vernet interniert, trennt sich von der Kommunistischen Partei, emigriert schließlich nach Mexiko, wo er beinahe Wurzeln schlug. In der Nachkriegszeit bis zu seinem Tode mischt er sich in die deutsche und europäische Politik ein, ist zeitweilig als Korrespondent von Radio Saarbrücken in Rom tätig, pendelt zwischen Mexiko und Europa und findet in einem Hotel in Neu Delhi im Januar 1963 einen überraschenden Tod. Im weiten Horizont seines Schriftstellerlebens begegnet er vielen bekannten Schriftstellern und Persönlichkeiten und stand mit einigen von ihnen in regelmäßigem Austausch. Hemingway, Malraux, Eleanor Roosevelt und Münzenberg, der Maler Vogeler und der Graphiker und Bildhauer Grieshaber gehörten dazu, wie auch Kolzow, Negrin und Luici Longo, auch die ehemaligen Gefährten aus der Kommunistischen Partei, wie Kisch, Uhse, Seghers und Renn, mit denen er sich nach seinem Bruch in erbitterter Fehde befand. Diese weiträumigen Beziehungen werden in Auszügen aus einem umfassenden und bisher ungedruckten Briefwechsel dokumentiert. Vor allem die Briefe an seine dritte Frau Peggy, eine Amerikanerin, lassen genauere Einblicke in seine Bemühungen zu, in den USA Fuß zu fassen. Es sind vor allem aufschlußreiche Details über Meinungen und Haltung in den 30er und 40er Jahren. Auch über Reglers Aktivitäten und Wendungen in den Nachkriegsjahren gibt es neue Aufschlüsse. Der Autor kennzeichnet in seinem Vorwort Reglers Weg als eine „idealtypische Karriere, in der nahezu alle kollektivmächtigen Ideen und politischen Haltungen des Jahrhunderts zusammenfanden: Katholizismus und Jugendbewegung, wilhelminischer Patriotismus und Desillusion im Weltkrieg, großbürgerliche Sekurität und kommunistisches Engagement, Kampf für das republikanische Spanien und Exil in Mexiko, totaler Ideologieverdacht und statt dessen ästhetische oder erotisch-feministische Alternativen, Faszination durch archaischen Mythos und esoterische Spekulation - wahrlich, kaum eine wesentliche Zeitströmung, Denk- oder Glaubensform wird ausgelassen, und insofern läßt sich Reglers Existenz als ein Stück Ideologiegeschichte der Zeit begreifen.“ Reglers zeitweilige Identifikation und spätere Ablösung vom Kommunismus wird durch Hinzuziehung ähnlicher Entwicklungen, wie sie bei Koestler, Sperber und Kantorowicz stattfanden und in deren Büchern niedergelegt sind, in seinem modellhaften, zeittypischen Charakter dargestellt, für den maßgeblich ist, daß der Kommunismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts als die Hoffnung der Menschheit galt. Der Autor stellt höchst unterschiedliche Einschätzungen Reglers von Zeitgenossen, Freunden und Feinden nebeneinander und verweist auch so auf dessen innere Widersprüchlichkeit. Er charakterisiert ihn in seinem Wesenskern als einen Homo religiosus, der, von einem Übermaß an Glaubenseifer bewegt, sich immer aufs neue in wandelnde Zeitströmungen einließ. „Man kann vom Modellfall Regler auf die Notwendigkeit des Engagements und der Utopie als änderungsfördernde Energiequelle schließen, aber gleichzeitig auch auf die Grenzen und Gefahren einer daraus folgenden Parteilichkeit.“ Beeindruckend gelingt die Einbeziehung der jeweiligen Zeitumstände, durch deren Darstellung Reglers Lebensfahrt ihren für das zu Ende gehende Jahrhundert modellhaften Charakter enthüllt.

Am Schluß der materialreichen Arbeit wird Reglers Beziehung zu seiner saarländischen Heimat bzw. deren Stellung zu ihrem Sohn explizit behandelt. Dabei fallen aufschlußreiche Streiflichter auf ein widerspruchsvolles regionales Kulturverständnis, aber auch auf die bemerkenswerten Ergebnisse einer in den letzten Jahren kontinuierlich verlaufenden Forschung. Im Anhang gibt es ein Verzeichnis der Primärliteratur von Regler, der selbständig und unselbständig erschienenen Werke sowie der nicht publizierten Typoskripte. Außerdem wird weiterführende Literatur zu Regler bzw. zur Literatur des Exils verzeichnet. Ein Namenregister erhöht den Gebrauchswert des Buches.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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