Eine Rezension von Volker Strebel


Zwingende Logik der Geschichte

Michail Gorbatschow: Wie es war
Die deutsche Wiedervereinigung.
Aus dem Russischen von Kurt Baudisch.

Ullstein Verlag, Berlin 1999, 222 S.

 

Eine schlichte Dreiteilung kennzeichnet dieses neueste Buch des ehemaligen Generalsekretärs der KPdSU und Staatsoberhaupts der Sowjetunion: „Die deutsche Frage als Folge des Krieges“, „Die Wiedervereinigung Deutschlands“ und „Gedanken zum Jubiläum“. Michail Gorbatschow hatte bereits während seiner Amtszeit Bücher veröffentlicht. Mit Schlagworten wie „Glasnost“ (Transparenz) und „Perestroika“ (Umbau) hatte er sich unter Freunden wie Feinden den Ruf eines medienwirksamen Machers eingehandelt. Im Westen überwog zu Beginn von Gorbatschows Amtszeit zunächst Skepsis, wollte man, statt Schlagwörter zu hören, lieber Taten sehen. Doch die ließen nicht auf sich warten. Einer innenpolitischen Öffnung, vor allem in den Medien und im Umgang mit Kritikern des Sowjetsystems - Michail Gorbatschow holte den in der Verbannung lebenden Menschenrechtskämpfer und Physiker Andrej Sacharow zurück nach Moskau -, sollte eine grundlegende Korrektur der bisherigen sowjetischen Außenpolitik folgen. Das Ende des Kalten Krieges in Europa und die Wiedervereinigung Deutschlands waren konkrete Ergebnisse der Amtszeit Michail Gorbatschows - unabhängig davon, ob er das in dieser Weise angestrebt hatte oder nicht. Doch wie kam es zu dieser neuen Deutschlandpolitik der KPdSU? Mit Hilfe von stenographierten Aufzeichnungen, Notizen und Erinnerungen hofft Gorbatschow, daß es ihm in diesem Buch „in einigen Fällen gelungen ist, etwas wirklich Neues mitzuteilen“.

Nicht zu unterschätzen ist die ganz persönliche Erinnerung an die Kindheit. Von Not und Schrecken des Krieges geprägte Kindheitserlebnisse kennzeichnen so unterschiedliche Biographien wie die von Helmut Kohl, François Mitterrand und auch Michail Gorbatschow: „Unser Hauptmerkmal ist, daß wir Kriegskinder sind“, und erst diese Generation vermochte „im Inland wie in den internationalen Beziehungen eine neue Politik zu entwickeln“.

Im ersten Teil dieses Buches versucht Gorbatschow in einem kurzen Rückblick, einen Abriß der sowjetischen Deutschlandpolitik zu referieren. Er betont, daß bei keiner der Siegermächte eine Konzeption vorgelegen hätte, wie mit dem besiegten Deutschland zu verfahren sei. Deutlich beharrt Gorbatschow auf der Position, daß die Sowjetunion die deutsche Teilung nicht gewollt hatte und sie im sich abzeichnenden Kalten Krieg nicht verhindern konnte: „Das schadete nicht nur dem deutschen Volk, sondern stand auch im Gegensatz zu den langfristigen Interessen der Sowjetunion.“ Im deutlichen Bedauern Gorbatschows, daß die entstandenen beiden deutschen Staaten zum „Gegenstand und Austragungsort erbitterter Schlachten des Kalten Krieges“ mutiert waren und die „Idee der deutschen Einheit aus dem Arsenal der Politik der UdSSR in das der ihr konträr gegenüberstehenden Kräfte überging“, verrät sich ein weiteres Motiv seiner eigenen Deutschlandpolitik. Anders als Großbritannien oder gar Frankreich war bereits das historische Rußland an dem Bestehen eines starken deutschen Partners in der Mitte Europas interessiert. Auch aus diesem Grund lobt Michail Gorbatschow den ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer: „Dadurch, daß er den Grundstein für die Verbesserung der Beziehungen zur UdSSR legte, unternahm er eigentlich einen Schritt in Richtung auf die deutsche Einheit.“

Ausführlich gibt Gorbatschow Einblick in das russische Ringen im Frühjahr 1990 um die NATO-Mitgliedschaft des neuen, wiedervereinigten Deutschlands. Die Wiedervereinigung Deutschlands und das Ende des Kalten Krieges fallen für Gorbatschow zusammen, und eine Bilanz nach zehn Jahren fällt immer dann bitter aus, wenn sich eine Ausgrenzung Rußlands aus der gesamteuropäischen Politik abzeichnet. Sicher, in Rußland selbst gilt das Wort von Michail Gorbatschow sehr wenig - für die Ewiggestrigen ist er der Totengräber der starken Sowjetunion, und die Liberalen kreiden ihm das Festhalten an den alten Strukturen an.

Vom tschechischen Präsidenten Václav Havel stammt der Satz über ein „Treffen mit Gorbatschow“ in Prag: „Eine Sache ist es nämlich, seinen Gruß zu erwidern, und eine andere, sich aus seiner Verantwortlichkeit herauszulügen, indem man sie auf ihn schiebt.“ Das war 1987, und Havel war noch Dissident!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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