Eine Rezension von Hans-Rainer John


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Im Kampf um die Psycho-Waffe

 

Ulla Berkéwicz: Ich weiß, daß du weißt
Roman.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1999, 270 S.

 

Das ist nun das zehnte Buch, das Ulla Berkéwicz seit 1982 bei Suhrkamp erscheinen läßt. Der Roman Ich weiß, daß du weißt macht dem Leser die Annäherung nicht leicht. Die Sprache ist wortgewaltig und ausdrucksstark, von intensiver Bildhaftigkeit und poetischer Dichte, aber die Sätze ziehen sich - von sechs Einschüben und sieben Nebensätzen belastet - mitunter über zwei Druckseiten hin, und sie enthalten Spezialausdrücke, fremdsprachliche Sequenzen und Fremdwörter, die in keinem Liebknecht zu finden sind. Auch sonst hat die Autorin beschlossen, es dem Durchschnittskonsumenten nicht leichtzumachen: Wer zum Beispiel denkt schon an „Pique Dame“ und ihren Haupthelden Hermann, wenn er „Pikowaja Dama“ und German liest. Trotzdem kann man sich an die Wortgestalt des Textes gewöhnen, und nach hundert Seiten wird man sogar süchtig.

Erzählt wird die Geschichte zweier Menschen, Olga Michelezki und Alon Katznelson, die im Amsterdam des Jahres 1987, im kasachischen Lokal „Ural“, aufeinandertreffen. Sie scheinen einander anzuziehen, für einander bestimmt zu sein, sollen sich aber nicht lieben, sondern beschatten, anbaggern, umdrehen und erledigen, denn sie sind Feinde. Alon ist ein israelischer Hirnforscher, der für den Mossad an einem Amsterdamer Institut an der Entwicklung der Psycho-Waffe arbeitet, zugleich beauftragt, seine männliche Anziehungskraft einzusetzen, um die attraktive Olga aufs Kreuz zu legen. Olga ist DDR-Bürgerin, ihre Legende macht sie zu einer Republikflüchtigen, sie hat ein Jahr lang Ausbildungs- und Trainingslager im Iran und im Libanon absolviert, um die Sache der Palästinenser voranzutreiben, und sie soll sich an die Datenbank des israelischen Instituts heranmachen, den letzten Forschungsstand ermitteln. Der Konflikt wird für beide existentiell, er scheint sie zu zerreißen, bis sie ihn überwinden, indem sich jeder von der Sache lossagt, der er verpflichtet ist. Ob sie gemeinsam die Flucht antreten oder sich das Leben nehmen, bleibt offen.

„Sie hatten sich aus dem Staub gemacht“, formuliert die alternde Orlowa lediglich, die die Geschichte in Erinnerungsfetzen erzählt, indem sie einbezieht, was ihr Olga und Alon hier und da berichtet haben (denn nicht überall war die Besitzerin des „Ural“ Augenzeuge, kann sie sich doch kaum noch von ihrem Stammplatz im Lokal erheben). Es geht also um Dshihad, Hisbollah, Islamismus auf der einen Seite, radikal-orthodoxes Judentum, Siedlerextremismus und Herrenmenschentum auf der anderen Seite, um Fundamentalismus und Mystifikation von Geschichte, um Erlösungsterror und Vaterlandswahn. Die P-Waffe, um die hier der Wettkampf beider Seiten entbrennt, ist ein Mittel der psychischen und physischen Manipulation des Gegners, effektiver als jede chemische oder biologische Waffe - ihr Einsatz ist nicht nachweisbar, und es gibt kein Mittel, sich gegen sie zu schützen. Sie wirkt wie osmanische Schwarzmagie, kabbalistische Zauberei oder Voodoo in Lateinamerika - nur technologisch eben. Die Autorin enthält sich im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern jeder Stellungnahme, sie spricht keiner Seite die Berechtigung ihrer Sicht und ihres Anliegens ab, sie spricht aber auch keine Seite von der Anwendung verbrecherischer Gewalt frei. Das ist die Grundlage für die Lösung des Konflikts der Liebenden - sie stehlen sich so oder so heraus. Das ist zwar politisch erklärlich, aber ästhetisch nicht überaus befriedigend.

Es handelt sich übrigens um sehr ungleiche Partner: Alon ist ein älterer Mann, hat daheim Frau und Kinder, ist Jude, ein Patriot seines Landes; Olga dagegen ist eine noch junge Frau, ungebunden und gänzlich unengagiert hinsichtlich Ideologie und Religion. Die Beziehung beider wird teils faszinierend und teils mit kolportagehaften Zügen erzählt. Die DDR-Biographie Olgas ist jedenfalls reichlich abenteuerlich. Mit den Behörden kriminell in Konflikt geraten, wird sie vor die Alternative Gefängnis oder (trotz antisozialistischer Haltung!) Agentenausbildung gestellt. Um die „klappernde DDR-Öde“ und den „DDR-Mief“ hinter sich zu lassen, greift sie entschlossen zu letzterer. Warum aber muß die Autorin sie dann partout noch einen Schnellkurs in Musiktheater absolvieren lassen? Ein Gastspiel der Deutschen Staatsoper aber war wohl nötig, um ihren Absprung in Amsterdam zu motivieren. Warum die Israelis nun ausgerechnet in Amsterdam ein so wichtiges Forschungsinstitut plazieren, wird zwar mit der strategischen Lage der Stadt zu begründen versucht, ist aber so recht einsichtig nicht. Überraschend und merkwürdig zudem, daß sich Olga am Ende plötzlich und unmotiviert David hingibt, dem gewissenlosen Versuchsleiter Alons, einem demagogischen Vertreter des Zentralapparats. Außerdem erfährt Olga durch den Mossad, daß ihr Vater Jude war (was der Stasi entgangen sein mußte), und durch den arabischen Geheimdienst: „Der Israeli (Alon) kann dich sowieso nicht ficken, sie haben ihm den Schwanz abgeschnitten, 73, im Jom-Kippur-Krieg“ (das wiederum mußte dem Mossad unbekannt gewesen sein). Kommentiert werden beide Mitteilungen nicht, Folgen haben sie auch nicht, aber merkwürdig und fragwürdig sind sie doch.

Tröstlich ist angesichts dessen, daß die Geschichte der Liebenden gut eingebettet ist in die rauhe, farbige und dramatische Schilderung des Lebens einer bunten Truppe im „Ural“: Ein kleines Universum, das hier an der Amstel ißt, trinkt, weint, lacht, lebt und stirbt - eine Gruppe hilfsbereiter, warmherziger Menschen (in der auch der Judas nicht fehlt), bedürftig des Schutzes einer Gemeinschaft. Eine Insel der Menschlichkeit in verhärteter Umwelt, in der Unterdrückung und Haß dominieren.

Es wird viel gesagt, beschrieben, erzählt in diesem Buch, und ebensoviel bleibt ungesagt - Raum für Gedanken, Raum für Phantasie entsprechend den Lebenserfahrungen des Lesers. Die Unstimmigkeiten und Sinnwidrigkeiten, die ins Auge fallen, werden aufgewogen durch das Verdienst, einen zentralen weltweiten politischen Konflikt bewegend thematisiert und die Sehnsucht nach einer friedlichen Welt der Toleranz und des gegenseitigen Verständnisses gestärkt zu haben.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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