Eine Rezension von Bertram Gabriel


Die Lyrikerin als Korrespondentin

Jörg-Dieter Kogel (Hrsg.):

Ingeborg Bachmann - Römische Reportagen

Eine Wiederentdeckung. Reportagen.

R. Piper, München 1998, 123 S.

Gustav René Hocke, der nicht nur für die „Süddeutsche Zeitung“ aus Rom berichtete, sondern auch für Radio Bremen aktuelle politische Beiträge lieferte, war es letztlich, der Ingeborg Bachmann zum Funk brachte. Denn als er für eine längere Zeit Rom verlassen mußte, empfahl er der Funkanstalt 1954, seine Vertretung mit der damals 28jährigen Ingeborg Bachmann zu besetzen. Sie habe nicht nur schon Radioerfahrung gesammelt, sondern spreche perfekt italienisch, schreibe ausgezeichnet, und auch das Geld könne sie gut gebrauchen. Der Sender folgte der Empfehlung, und die Schriftstellerin berichtete daraufhin von September 1954 bis zum Sommer 1955 34mal aus Rom. So klingelte gewöhnlich am Montag das Telefon in Rom, man besprach das Thema, und einen Tag später diktierte die Korrespondentin ihren Text telefonisch ins Stenogramm. Die Redaktion hatte - auch das ist, wie die Honorarabrechnungen, belegt und im Buch abgedruckt - mit den Texten wenig zu tun. Hier und da ein Strich des Redakteurs, dort mal eine Wortergänzung, mal eine kleine Umstellung - mehr nicht. Gesendet wurde es dann aber unter dem Pseudonym Ruth Keller.

Das Spektrum, über welches sie berichtete, ist breit. Der alltägliche politische Alltag Italiens ist ebenso Thema wie langweilige Parlamentsdebatten, Kriminalfälle, Partei-Intrigen oder Naturkatastrophen. Da wird auch schon einmal ein neues Auto vorgestellt, der Besuch eines durchreisenden Ministers beschrieben oder über das Problem der Arbeitslosigkeit nachgedacht. Es sind alles kleine, vom Umfang her meist so um die zwei Seiten lange Miniaturen über Italien, die, wenn nicht politischen Inhalts, direkt farbig daherkommen. Stimmungs- und bilderreich schildert Ingeborg Bachmann Zeremonien oder Begebenheiten. Man meint noch zu merken, daß Italien damals eben noch nicht - wie heute - bekannt, sondern mit einer feinen Spur von Exotik umgeben war. Das hält die Schriftstellerin aber nicht ab, hin und wieder mit Ironie ans Werk zu gehen. Doch in diesen Fällen wird dann nicht ü b e r Italien bzw. Rom gelacht, sondern m i t ihnen, weiß sie doch gut genug, daß es auch in Deutschland nicht nur ein Städtchen Schilda gibt. Es sind - das Sendeformat bedingt es - leicht konsumierbare Texte. Präzise formuliert, ohne Schnörkel, aber deswegen nicht stimmungslos, berichten und erklären sie, versuchen Verständnis zu schaffen.

Es ist schon als eine kleine Sensation zu bezeichnen, wenn sich mehr als zwanzig Jahre nach ihrem ungeklärten Tod Texte - hier in Form von Tonbändern - auffinden lassen, deren Existenz so gut wie niemand vermutete. Eine Tagung 1997 zum Thema „Buch, Buchhandel und Rundfunk 1959-1960“ legte die Spur. Jetzt hat der Herausgeber Jörg-Dieter Kogel die Texte veröffentlicht, ein erklärendes Nachwort dazugeschrieben und auch nicht vergessen, den für heutige Leser wichtigen Anmerkungsteil zu erstellen, schließlich ist zwar Gina Lollobrigida noch bekannt, aber mit Fausto Coppi oder Cesare Merzagora sieht es anders aus. Ob es glücklich war, den Anmerkungsapparat in ein Personen- und ein Sachregister aufzuteilen, sei dahingestellt. Die von Bachmann geschriebenen, schon bekannten römischen Beiträge für die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ sind ebenfalls in den Band mit aufgenommen worden, so daß hier auch im Vergleich gelesen werden kann. Überschneidungen gibt es da nur wenige.

Wenn dieser gut gemachte Band zwar auch einen bisher unbekannten Teil des Schreibspektrums von Ingeborg Bachmann belegt, so ist dieses Buch aber eher etwas für den Italien-Liebhaber als für den Bachmann-Fan. Denn die literarischen Qualitäten der jungen Schriftstellerin konnten hier gar nicht richtig zur Geltung kommen: Ein Rundfunkbeitrag ist eben etwas anderes als ein Gedicht, ein Hörspiel oder ein Roman.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite