Eine Rezension von Lili Hennry


Aufbruch in ein fernes Land

Ken Follet: Die Brücken der Freiheit

Roman.

Aus dem Englischen von Till R. Lohmeyer und Christel Rost. Mit Buchkunstarbeiten von Achim Kiel.

Bastei-Verlag G. Lübbe, Bergisch Gladbach 1998, 544 S.

England im 18. Jahrhundert. Es ist die Epoche der großen Umbrüche, der politischen Veränderungen, der Auswanderung nach Amerika. In diese Zeit hineingeboren, ist Malachi McAsh, nach geltendem Recht seit 15 Jahren Bergbausklave in Schottland, einer der wenigen, die sich gegen die Grubenbesitzer auflehnen. Als er herausfindet, daß die praktizierte lebenslange Versklavung von Kindheit an eine bewußt falsche Rechtsauslegung durch die Grubenbesitzer darstellt, beginnt für McAsh der Kampf um die Freiheit. Nach einem Jahr und einem Tag wurde ein Mann Eigentum desjenigen, für den er arbeitete. Die Kinder wurden bereits mit sieben Jahren von ihren Eltern gegen Handgeld verkauft. Mit dem Tag der Volljährigkeit aber sind sie wieder frei. Am Tag nach seinem unmittelbar bevorstehenden 22. Geburtstag läuft Macks Frist ab: die Frist für den Ausbruch aus der Drangsalierung im Bergwerk in ein selbstbestimmtes Leben. Der junge Mack ist ein Rebell, freiheitsliebend bis zur Selbstaufgabe, stürmisch und unüberlegt. Und er ist, trotz der Schufterei in den Kohlegruben, ein Bild von einem Mann. Seine verstorbene Mutter hatte ihn einst schreiben und lesen gelehrt, so verfügt er über eine erstaunliche Bildung. Mack gelingt die Flucht aus den Gruben, sein ausgeprägter sozialer Gerechtigkeitssinn bringt ihn allerdings auch im freien London sofort wieder in Bedrängnis. Wenn die Gefahr am größten ist, kreuzt zuverlässig die schöne Lizzy seinen Weg, zwar von adligem Geblüt, aber auf ihre Weise ebenso unangepaßt wie McAsh. Sie hilft ihm selbstlos, wo sie kann, und es gibt für ihn Gelegenheit, sich zu revanchieren. Eine seiner spontanen, wenig durchdachten Aktionen führt schließlich zur Verurteilung. In Ketten wird er nach Virginia deportiert, auf demselben Schiff, das Lizzy mit ihrem Ehemann auf dessen Tabakplantage bringen soll. In Virginia beginnt - nach neuerlichen Kämpfen - für Mack und Lizzy ein neues Leben in buchstäblich grenzenloser Freiheit, fern jeder Konvention.

Dieser „Follet“ war für mich eine Enttäuschung. In einem aufregenden Jahrhundert angesiedelt, hat er nichts von der atmosphärischen Dichte der wundervollen Säulen der Erde, nichts von deren Detailgenauigkeit; ihm fehlen die Spannung des Modigliani-Skandals oder die politische Brisanz der Nacht über den Wassern; die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Die Figuren entbehren jeder psychologischen Ausformung. Follet gestaltet seine Protagonisten mit einigen fest umrissenen, nahezu unveränderlichen Charakterzügen, die den Ablauf der sich ganz geradlinig entwickelnden Handlung vorhersehbar machen. Der Held, McAsh, ein armer, schwer arbeitender Bergarbeiter, wird mit bildungsbürgerlichen Elementen ausgestattet, die ebenso unglaubwürdig wirken wie seine plötzlich erwachenden juristisch-rhetorischen Fähigkeiten. Die kräfteverschleißende Fron seiner Kindheit im Bergwerk hat weder körperliche noch seelische Schäden hinterlassen. Eine innere Entwicklung der Personen findet überhaupt nicht statt. Die anfänglich so angelegte Figur der Lizzy bietet keinen wirklichen Widerpart, da sich beide zu sehr ähneln und Lizzys Wandlung vom oberflächlich-arroganten Adelstöchterchen zur Gerechtigkeitsfanatikerin schon auf den ersten Seiten erfolgt. Der Plot gelangt nicht über den Rahmen einer naiven Sozialromanze hinaus, die einer Rosamunde Pilcher angestanden hätte. Auch bleiben die so unterschiedlichen sozialen Verhältnisse und Lebensbedingungen in England und Amerika undifferenziert, blaß und unwirklich. Dem ohne irgendwelche erzählerischen Finessen geschriebenen Roman fehlt schlichtweg jede Authentizität. Schließlich wissen wir spätestens seit Defoes Moll Flanders oder den Büchern von Charles Dickens, wie das Elend in dieser Zeit tatsächlich beschaffen war.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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