Eine Rezension von Wolfgang Voigt


Interessante Deutung alter Kulturen

Graham Hancock: Die Spur der Götter

Das sensationelle Vermächtnis einer verschollenen Hochkultur.

Aus dem Englischen von Xenia Osthelder und Heike Rosbach. Mit Fotografien von Santha Faiia.

Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1995, 607 S.

Die Pyramiden Ägyptens und Süd- und Mittelamerikas, der Tempel von Angkor und die Sphinx von Gizeh zählen neben anderen Bauwerken zu den unvergänglichen Zeugnissen der Menschheitsgeschichte. Doch waren die Menschen jener Zeit, wie Hancock anhand einer Vielzahl von Beispielen nachzuweisen bemüht ist, nicht in der Lage, diese Monumente mit den heute bekannten zeitgenössischen Werkzeugen zu errichten. So seien z. B. zur Aushöhlung eines Sarkophags Bohrer und Sägen verwendet worden, die allerdings nirgendwo bei Ausgrabungen gefunden wurden. Hancock beruft sich auf Berechnungen eines Archäologen des 19. Jahrhunderts, Sir W. M. Flinders Petrie, wonach „ein Gewicht von mindestens einer Tonne auf den Zehn-Zentimeter-Bohrern“ lasten mußte, um den Granit zu durchdringen und den Sarkophag in einer bestimmten Zeit fertigzustellen. Selbst ein heutiger Steinmetz könnte es den alten Ägyptern „mit den besten Wolframkarbid-Werkzeugen nicht gleichtun“. Diese Aussage durchzieht das Buch wie ein roter Faden.

Die alten Ägypter müssen also, so Hancocks Schlußfolgerung, „auf ein u n b e k a n n t e s technisches Verfahren zurückgegriffen haben“. Sie griffen auf ein komplexes, hochentwickeltes Wissenssystem auf den verschiedensten Gebieten - der Geometrie, der Mathematik, der Physik, der Astronomie, der Architektur und der Kartographie - zurück, das vor ihrer Existenz bestand und auf irgendeine Weise an sie vermittelt wurde oder auf sie überkam.

Bei Erich von Däniken wären es „natürlich“ die Außerirdischen gewesen, die den alten Ägyptern oder den Olmeken, den Maya, den Azteken und den Inka ihren hochtechnologischen Wissensfundus vermittelt hätten. Hancock ist demgegenüber seriöser und sucht nach einer wissenschaftlich überzeugenden, zumindest diskussionswürdigen Lösung der aufgeworfenen Fragen. Er vermutet die Existenz einer menschlichen Hochkultur in der letzten Eiszeit (d. h. bis etwa 13000 v. d. Z.), die er in der damals noch eisfreien Antarktis lokalisiert. Diese Hochkultur sei wahrscheinlich durch eine riesige Flutkatastrophe untergegangen. Vermittelten deren Überlebende, Missionaren gleich, ihr Wissen an die restliche Welt?

Dieser Frage geht Hancock mittels Vergleich der Mythologien - u. a. der Ägypter, der Azteken und der Inka, aber auch der biblischen Überlieferungen - nach. So findet sich z. B. das Sintflutereignis mit der Gestalt des Noah in fast allen mythologischen Überlieferungen. Das Motiv des Turmbaus zu Babel, seinerseits die Überarbeitung eines weitaus älteren mesopotamischen, findet sich u. a. auch in einer voraztekischen Überlieferung, was darauf schließen läßt, „daß die beiden Versionen der Legende sich mehrere Jahrtausende lang getrennt entwickelten, daß sie ihre Entstehung aber ein und demselben uralten Vorbild“ - der antarktischen Hochkultur - verdanken. Diese Vermutung scheinen die Statuen olmekischen Ursprungs zu untermauern, die im mexikanischen Santiago Tuxtla und Tres Zapotes entdeckt wurden. Bei ersterer handelt es sich um eine über 2000 Jahre alte Monumentalskulptur, die einen Menschen mit negroiden Zügen darstellt, bei letzterer um einen Kopf, datiert auf etwa 100 Jahre v. d. Z., mit einem Umfang von etwa 5,5 Metern und ebenfalls ausgesprochen negroiden Gesichtszügen. Nun gab es aber vor 2000 Jahren in der Neuen Welt überhaupt keine afrikanischen Schwarzen. Sie kamen erst nach der Conquista und mit Einsetzen des Sklavenhandels. Handelte es sich demnach um Vertreter der antarktischen Hochkultur, deren Abbild die Jahrtausende überdauerte?

Ein weiteres Indiz liefert der Vergleich der mittelamerikanischen und der ägyptischen Pyramiden. Sowohl die Große Pyramide in Gizeh als auch die Sonnenpyramide von Teotihuacan tragen den Wert PI in sich, und zwar auf eine Weise, die vermuten läßt, daß die Baumeister beiderseits des Atlantik mit dieser Zahl bestens vertraut waren (das Verhältnis der ursprünglichen Höhe zum Umfang der Pyramide entspricht genau dem Verhältnis zwischen dem Radius und dem Umfang eines Kreises, nämlich zwei PI). Ein Zufall? Immerhin bestand zu der Zeit, in der die Pyramiden errichtet wurden, kein direkter Kontakt zwischen Ägypten und Mexiko. Schöpften also beide Zivilisationen aus einer gemeinsamen älteren Quelle?

Die Mythen der Neuen und der Alten Welt scheinen sich auch im Hinblick auf solche Themen wie die „große Flut“, die „große Kälte“ und die „Zeit großen Aufruhrs“ in der Aussage und in der Symbolik nicht zu unterscheiden: „der eine gute Mann und seine Familie, die Warnung von einem Gott, die Rettung des Samens aller lebenden Dinge, das Rettungsschiff, der Schutzraum gegen die Kälte, der Baumstamm, in dem sich die Ahnen der künftigen Menschheit verstecken, die Vögel und anderen Geschöpfe, die nach der Flut freigelassen werden, um Land zu suchen“. Daneben erscheinen in vielen Mythen Darstellungen von Gestalten, die - wie Quetzalcoatl und Viracocha in Mittelamerika - nach Zeiten der Finsternis bzw. der Flut auftauchen, um den verstreuten und niedergeschmetterten Überlebenden Architektur, Astronomie, Naturwissenschaften, Gesetze und neue Bräuche zu bringen.

Wer waren diese Kulturbringer - Produkte primitiver Vorstellungskraft? Außerirdische? Götter? Oder Menschen, die in der Lage waren, die Mythen so zu beeinflussen, daß diese zu Vehikeln für die Übermittlung ihres Wissens über die Zeiten hinweg wurden?

Für letzteres spricht die Tatsache, daß sich in den Mythen, die genauso alt und universell sind wie die von der Sintflut, immer wieder astronomische Daten von bemerkenswerter Präzession finden. So enthält der altägyptische Osiris-Mythos einen Zahlencode, den die Archäastronomin Jan B. Sellers entschlüsselte. Die von ihr gefundenen Zahlen der Präzession (des Vorrückens der Tagundnachtgleichen) 360, 72, 30 und 12 ermöglichen, ein antikes Computerprogramm zu starten. Deshalb liegt die Vermutung nahe, daß dieser Code bewußt von Menschen, die in der Lage waren, die Präzession exakt zu messen, in den Osiris-Mythos eingefügt wurde. Der Osiris-Code ist darüber hinaus auch im kambodschanischen Tempelkomplex von Angkor, im Tempel von Borobudur auf Java, in der hebräischen Kabbala und bei den Rosenkreuzern nachweisbar.

Wenn dies nicht dem Zufall geschuldet war, wer war dann für die Schaffung und Vermittlung dieses Phänomens der Präzession in den Mythen verantwortlich? Und, um die Frage weiterzuführen, wenn die „Botschaft von der Präzession“ den „bewußten Kommunikationsversuch seitens einer verschollenen Zivilisation der Vorzeit darstellt, wieso wurde sie dann nicht einfach niedergeschrieben“, statt sie in Mythen zu verschlüsseln? Die Antwort von Hancock ist verblüffend einfach: weil das Medium, auf dem die Botschaft aufgeschrieben worden wäre, nach vielen tausend Jahren sicher zerstört oder abgenutzt, d. h. unleserlich sei, oder weil die Sprache, in der sie verfaßt wurde, völlig in Vergessenheit geraten wäre (wie die Schrift des Industales, die bis heute unentschlüsselt blieb). Folglich habe man nach einer „universellen“ Sprache gesucht und sich ihrer bedient: der Sprache der Mathematik.

Ein weiterer Hinweis auf die Existenz einer frühen Hochkultur bietet die Bestimmung des tatsächlichen Alters der Sphinx in Ägypten, wie sie der amerikanische Forscher John A. West vornahm. Nach West weisen die Sphinx, der Taltempel in Gizeh und das Osireion im oberägyptischen Abydos eindeutig Spuren von Wassererosionen auf. Diese könnten nur während der Regenperiode um das 11. Jahrtausend v. d. Z., d. h. gegen Ende der Eiszeit, eingetreten, die besagten Bauwerke also 10 000 v. d. Z. errichtet worden sein.

Über diese Datierung entbrannte 1992 ein Streit zwischen Geologen und Ägyptologen in der American Association for the Advancement of Science, in der West ausführte: „Man will uns weismachen, die Entwicklung der menschlichen Zivilisation sei ein linearer Prozeß gewesen. Sie habe beim beschränkten Höhlenmenschen eingesetzt und ihren Gipfel bei uns schlauen Kerlchen mit Wasserstoffbomben und gestreifter Zahnpasta erreicht. Doch die Tatsache, daß die Sphinx viele 1000 Jahre älter ist, als die Archäologen glauben - mithin älter als das dynastische Ägypten - deutet darauf hin, daß es irgendwann in ferner Vergangenheit eine hochentwickelte Kultur gegeben haben muß, wie uns sämtliche Mythen bestätigen.“

Diese Auffassung vertritt voll und ganz der Verfasser Graham Hancock, der mit seinem Buch Die Spur der Götter jener Theorie neue Nahrung gibt, die eigentlich seit den zwanziger Jahren für veraltet gilt, der „Theorie der Kataklysmen“, d. h. der Vorstellung, daß in der Erdgeschichte häufig katastrophale Umwälzungen stattfanden, in deren Gefolge die Tier- und Pflanzenwelt vernichtet und von wenigen überlebenden Samenspendern jedesmal neu geschaffen wurden.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite