Eine Annotation von Lili Hennry


Lynn, Robert:

Die Meute im Nacken

Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1998, 285 S.

 

Der Held dieses Bildungs- und Familienthrillers heißt Nikita Arp, genannt Niki. Natürlich ist es nicht sein einziger Name, wie es sich für einen Terroristen mit zwanzigjähriger Berufserfahrung gehört, dafür aber sein richtiger. Er ist mit allen Wassern gewaschen, dieser etwa achtunddreißigjährige Niki Arp: Einst war er vielversprechender DDR-Leistungssportler im Schwimmen, wechselte dann (wegen des ihm anbefohlenen Dopings) zum Boxsport und später das Land (wegen seines Vaters, eines evangelischen Konsistorialrats, der Ausreisewilligen zur Freiheit verhalf, indem er andere denunzierte), ist bis heute begnadeter Pianist und Akkordeonspieler, kann zeichnen und malen wie ein Profi, beherrscht mühelos mehrere Sprachen, wechselt sein Aussehen wie Sherlock Holmes und wird von Frauen umschwärmt. Aber er ist auch zeitlebens ein verschlossener Einzelgänger, der typische „lonely wolf“, der einsam seinen gefahrvollen Weg gehen muß. Aussteigen will er nun endgültig; die von Beirut gesteuerte Terrorbewegung hat sich in Europa totgelaufen und bietet keinen wirklichen Anreiz mehr zum Handeln. Arp nimmt Kontakt auf zu seiner ehemaligen Geliebten Imke Ballhaus, einer nun im Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt tätigen Regierungsrätin mit Diana-Syndrom und gepolsterten Hüften. Ihr signalisiert er seinen Ausstiegswillen, hofft auf einen Deal mit der Staatsanwaltschaft. Durch Zufall erfährt er jedoch von der Ermordung seines verachteten Vaters, dessen Tod er nun plötzlich rächen will. Die Ermittlungen gegen ihn laufen auf Hochtouren, in Paris ebenso wie in Deutschland, aber gegensätzliche persönliche Interessen führen zu einem wahren Tohuwabohu. Jeder gegen jeden ist die Devise. Erstaunlicherweise sind Opfer, Täter und Ermittler alle irgendwie miteinander verwandt, verschwippt oder verschwägert (daher Familienthriller), ihre Wege kreuzen sich auf unglaubliche Weise.

Der Autor hat Freude daran, mit seinen bildungsbürgerlichen Kenntnissen zu glänzen, er läßt fremdsprachige Passagen ebenso beiläufig einfließen wie literarische Zitate oder Musikstücke. Ungenau wird er in jenen Abschnitten, die DDR-Geschichte betreffen (Klaus Gysi ohne „e“ am Ende war 1974 nicht Staatssekretär für Kirchenfragen) oder die gegenwärtigen Verstrickungen einiger Beteiligter (natürlich Stasi-Leute) in den Diamantschmuggel. Unlogisch ist, warum ausgerechnet der Kopf der Stasi-Verschwörung, ein sehr intelligenter, vorsichtiger und strukturiert denkender Mann, nicht in der Lage gewesen sein soll, die Leiche des Konsistorialrats Arp spurenlos verbrennen zu lassen, aber dann wäre die Geschichte ja schon am Anfang zusammengebrochen.

Dieses Buch, mit Kapitelüberschriften wie Stummfilmtitel, ist schön geschrieben, ohne Hetze, ohne atemlose Action. Es liest sich spannend bis zum Schluß, auch wenn ich es bedenklich finde, daß man mit einem Terroristen mitfiebert und hofft, daß er der Meute entkommt.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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