Eine Annotation von Licita Geppert


Geißler, Horst Wolfram:

In einer langen Nacht

Sanssouci Verlag, Zürich 1998, 252 S.

 

„Ich liebe es überhaupt nicht, wenn vor dem Morgenkaffee geschossen wird, es kann zu Gesundheitsschädigungen führen“, stellt der geheimnisvolle Monsieur Denis fest, dem Dr. Wilhelm Reineke alias Will Fox, der Held dieses poesievollen Kriminalromans, auf einer noch geheimnisvolleren bretonischen Burg begegnet. Dieser verstörende Schuß im Morgengrauen soll auch der einzige bleiben, nicht einmal Tote gibt es, und doch gelang es Horst Wolfram Geißler (1893-1983), eine ungemein spannende Handlung zu spinnen. Die Fäden ziehen sich vom Gardasee über Paris in die Bretagne und von dort bis nach Amerika. Seltsame Dinge geschahen in Gardone in der Villa des Professors Zanetti: ein Einbruch scheinbar ohne Diebstahl, bei dem nur die sorgsam aufbewahrten Manuskripte des verstorbenen Vaters, eines bekannten Etrusker-Forschers, durcheinandergebracht worden waren. Will Fox, der sich gerade nach einem aufregenden Fall in den Sabinerbergen bei Rom erholen will, wird von Zanetti vom Fleck weg engagiert zur Aufklärung dieser Vorgänge. So gelangt er in die Villa am Gardasee, die als Sommerdomizil dann auch viel geeigneter erscheint. „Bisweilen, dachte er, muß sich der Mensch auf dem Flusse dahintreiben lassen können und sich bei dem Glauben beruhigen, daß der Fluß es gut mit ihm meint.“ Recht hat er mit dieser Einstellung, trifft er doch auf seine Fee Morgane, Zanettis Tochter Maria, die ihm bei seinen Ermittlungen behilflich sein will, vor einer gemeinsamen Recherche in Paris dann aber wohl doch zurückschreckt. So reist er allein dorthin. Ein an seinen Hauptverdächtigen gerichtetes Telegramm führt ihn weiter zur Dame von Louha, deren Nichte ihm alsbald tiefe Blicke in ihre grünen Augen gewährt.

Der für schöne Bücher bekannte Sanssouci Verlag hat die in den fünfziger Jahren erschienene Will-Fox-Reihe wieder aufgelegt; dies ist bereits der zweite Fall des eleganten, eigenwilligen und liebenswürdigen Detektivs, „der seine Aufgaben gewissermaßen als eine Art Schachspiel empfindet und dementsprechend behandelt“. Als ehemaliger Student der Alten Geschichte und Archäologie verfügt er über ein tiefgehendes humanistisches Wissen und eine akribische Vorgehensweise. Seine angeborene Grandezza, sein Gespür für dramatische Auftritte und die durch seine Aufträge erworbene Weltläufigkeit runden das Bild des intelligenten und charmanten Schnüfflers ab. Entrückt in die wundervoll beschriebene zauberische Atmosphäre des Romans, möchte man die Zeit anhalten und nie mehr in die Wirklichkeit zurückkehren: „Das Meer scheint zu schlafen und zu träumen. Wovon? Über die Kimm steigt langsam eine weiße Wolke herauf, ein hellgoldener Turm, das sind seine Träume: Gewitter und Sturm. Es mag ihm gehen wie den Menschen, für die der Friede nichts weiter ist als ein kurzes Aufatmen in der ewigen Angst und Unruhe; deshalb können sie ihn nicht genießen und sich seiner freuen, sondern sie blicken immer zum Horizont, was sich da wohl zusammenbraut...“ Diese Friedenssehnsucht bewegt den Autor, bewegt auch die Romanfiguren; die Handlung spielt nach dem Zweiten Weltkrieg (Erstveröffentlichung 1954). Die Erinnerung an den Krieg ist noch nicht verlorengegangen, aber das Leben geht allerorts schon seinen gewohnten Gang, Beschaulichkeit am Gardasee, mondänes Treiben in Paris, mittelalterliche Verhältnisse auf Burg Louha. Die Erinnerung an König Artus wird beschworen, an den Zauberwald Brezeliand, in dem die Fee Morgane lebt und den nur findet, wer ihn nicht sucht. So hat auch Fox die Suche, wenn nicht aufgegeben, so zumindest vernachlässigt, um am Ende dennoch fündig zu werden und den militärischen Fortschritt der Menschheit wenigstens für einige Zeit zu verzögern.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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