Eine Rezension von Ursula Reinhold

Eine Porträt-Skizze von Hans Werner Richter

Barbara König: Hans Werner Richter

Notizen einer Freundschaft.

Carl Hanser, München 1997, 150 S.

 

Das Buch erschien anläßlich des 50. Jubiläums der Gruppe 47. Diesem Anlaß sind 1997 eine ganze Reihe Bücher gewidmet, denn die Gruppe ist längst zum Gegenstand der Literaturgeschichte geworden. Kurz nach dem Krieg entstanden, entwickelte sie sich schnell zu einer Werkstatt junger Schriftsteller, die sich durch gegenseitige Kritik beförderten und durchsetzen halfen. Antifaschismus und die Hoffnung auf eine erneuerte Gesellschaft waren die Antriebe der Gründer, zu denen außer H. W. Richter auch Alfred Andersch und Walter Kolbenhoff gehörten. Urteils- und Kritikfähigkeit waren wichtige Verkehrsformen innerhalb der Gruppe, mit denen man auch in die Gesellschaft hineinwirken wollte. In ihrem informellen Charakter - sie blieb ohne Statuten, ohne Mitgliederlisten - wurde die Gruppe 47 zu einer wichtigen Einrichtung für die deutsche Nachkriegsliteratur. Hans Werner Richter (1908-1993), ihr Initiator und Mentor über viele Jahre, bestimmte allein, wer zu welchem Treffen eingeladen wurde. Sein Organisationstalent, seine Fähigkeit unterschiedliche Persönlichkeiten zu integrieren, sein „diplomatisches Unschärfe-Talent“ (Karl Ludwig Arnold) trugen dazu bei, daß die Gruppe über zwei Jahrzehnte als wichtige Einrichtung des westdeutschen Literaturbetriebs lebensfähig blieb. Er organisierte auch nach ihrem Hinscheiden im Jahre 1967 Treffen, die ihren ursprünglichen Charakter als Freundeskreis wieder stärker betonten. 1990 ließ er sich zu einer letzten Zusammenkunft überreden, die im Schloß Dobriz bei Prag stattfand. Er löste damit ein Versprechen ein, das er sich und anderen 1968 gegeben hatte, als die in Prag geplante Tagung wegen des Einmarsches der Warschauer Vertragsarmeen ausfiel. Allerdings hatte sich ihr Ende schon früher angekündigt. Sie hatte sich als Börse für den Literaturbetrieb überlebt, denn die Nachkriegsliteratur war fest etabliert. Auch waren auf Grund der politischen Entwicklungen jener Jahre zahlreiche Widersprüche zwischen Autoren und Generationen nicht mehr überbrückbar. Die von Sabine Chofalla betreute repräsentative Auswahl aus Hans Werner Richters Briefen (München 1997) ermöglicht es, die Gruppengeschichte im Spiegel von Richters Initiativen und in dem von ihm geschaffenen Kommunikationsgeflecht zu verfolgen. Das politische Profil Richters wird deutlich, die ungeheure Aktivität des Mannes und der gelebte Zusammenhang von Literatur und Politik. Dagegen vermittelt Barabara König mit ihrem Buch ein subjektiv gefärbtes Porträt von H. W. Richter. In den Notizen einer Freundschaft zeichnet sie die Charakterzüge Richters, die ihn antrieben, kommunikative Beziehungen aufzubauen, um gesellschaftlich wirken zu können. Daneben vermittelt sie in Anekdoten und erinnerten Dialogen etwas von den Widersprüchen des Mannes: Ehrgeiz und Bescheidenheit; Klugheit und Blindheit, Egoismus und Anteilnahme stehen dicht nebeneinander. Wir erfahren von seinem Humor, seinem Optimismus und den Motiven für die Gruppeninitiative, die von „der Hoffnung auf eine neue Gesellschaftsordnung“ (S. 133) angetrieben wurden. Es gibt interessante Einblicke, wie Richter mit dem Ruhm späterer Jahre umgeht, und nicht zuletzt erschütternde Sichten auf sein Altern. Unsentimental und menschlich ergreifend sind die Notizen dieser Freundschaft ausgefallen. Aus den fünfziger Jahren wird nur wenig erinnert. Hier steht die Befindlichkeit der jungen Autorin Barbara König im Vordergrund, die 1950 das erste Mal auf einer Gruppentagung las und vor Aufregung nicht zu sprechen vermochte. Hier, wie in den Erinnerungen aus den Jahren zwischen 1960 und 1966, wird Atmosphärisches von Gruppentagungen und über H. W. Richters Agieren vermittelt. In den 70er Jahren beginnen intensivere Aufzeichnungen über Zusammentreffen und Gespräche. Denn auf Richters 70. Geburtstag hatte sie erstmalig aus Tagebuchaufzeichnungen gelesen und nun den Auftrag erhalten, regelmäßig Notizen zu machen. Der Leser kann für die 80er Jahre den Alltag einer Freundschaftsbeziehung mitverfolgen. Er bekommt so ein Bild über eine der produktivsten Schaffensphasen des Schriftstellers. B. König begleitet die Entstehungsgeschichte von Arbeiten aus dieser Zeit: Die Flucht nach Abanon (1980), die autobiographisch gefärbten Romane Die Stunde der falschen Triumphe (1981) und Ein Julitag (1982), die von den letzten Jahren der Weimarer Republik handeln. Der Leser kann die Selbstzweifel verfolgen, die Richter während der Arbeit an 21 Porträts heimsuchten, die er in dem Band Das Etablissement der Schmetterlinge (1986) über die Angehörigen der Gruppe 47 veröffentlichte. Die Notizen zeigen einen Mann, der bis ins hohe Alter offen für Neues blieb und sich gleichzeitig seiner Grenzen immer deutlicher bewußt wird.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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