Eine Rezension von Hansjakob Knortz

Das Menetekel in der Ibrahim-Moschee

Felicia Langer: Wo Haß keine Grenzen kennt. Eine Anklageschrift

Lamuv Verlag, Göttingen 1995, 208 S.

Das ist kein Buch, das man in einem Zuge durchlesen wird. Nur langsam, Abschnitt für Abschnitt, kommt man vorwärts, während die Gefühle rebellieren und kühle Analyse, sachliches Urteil oft zur Seite drängen. Es geht nämlich um ein blutiges Geschehen in Hebron, das tagelang die Schlagzeilen beherrschte, weil es Araber und Israelis, Christen wie Nicht-Christen, Juden wie Muslime in Entsetzen, Empörung und schier grenzenlosen Haß gestürzt hatte ...

Warum gerade Hebron, das die Palästinenser „el Khalil“ nennen? Es liegt auf halbem Wege zwischen Jerusalem, der heiligen Stadt dreier Weltreligionen, und der Stadt Beersheba am Nordrand der Negev-Wüste, also im südlichen Teil des besetzten Westjordanlandes. Ein flüchtiger Medienkonsument, mit Crime, Sex und Model-Stories gefüttert, kann kaum wissen, daß dort in Hebron die Gräber von Abraham (Ibrahim), dem Stammvater von Juden und Arabern, dessen Frau Sarah, des Sohnes Isaak und des Enkels Jakob sowie deren Frauen liegen und ihr Platz, die Machpela-Höhle, von einem mächtigen Gebäude überwölbt ist, dessen Fassade einer byzantinischen Kirche von 570 entstammt. (S. 206). Vor allem das Abraham-Grab, dem eine besondere Moschee gewidmet ist, wird verehrt. Die Stamm-Mutter der heutigen Araber, die ägyptische Magd Haggar, die Abraham den Sohn Ismail gebar und (lt. Bibel, 1. Buch Moses, 21. Kapitel) bei Beersheba in die Wüste verstoßen wurde, scheint vergessen.

Am Ende des Mittelalters, als die blutigen Kreuzzüge abebbten, erließ der mameluckische Sultan Baibars für Juden wie Christen das Verbot, die Grabstätten Abrahams und seiner Familie zu besuchen. Der Prinz von Wales, der spätere König Edward VII. und sein Schwager, der preußisch-deutsche Kronprinz Friedrich Wilhelm (1888 der Kaiser der 99 Tage) bedurften einer speziellen Erlaubnis des osmanischen Sultans, als sie 1862 bzw. 1869 die Machpela-Höhle besichtigen wollten. Erst der Sechs-Tage-Krieg von 1967 brachte den Israelis den freien Zugang zu den Grabstätten. Mehr noch: Dem Grundkurs der Landnahme folgend, wurde ein Jahr später nordöstlich der Altstadt von Hebron die Siedlung Kiryat Arba gegründet, deren Einwohner - man spricht von 700 Menschen - gegenüber den 38 000 Palästinensern eindeutig privilegiert und außerdem bewaffnet sind.

Am Freitag, dem 25. Februar 1994 gegen 5.30 Uhr, dem 15. Tag des Ramadan-Monats des Jahres 1414 der Hedschra, geschah in der Moschee am Patriarchen-Grab ein grausames Verbrechen. Nicht zufällig, sondern, wie Felicia Langer nachweist, vorsätzlich. Der es ausführte, der 39jährige Arzt Dr. Baruch Benjamin Goldstein, geboren in den USA und 1982 Einwohner von Kiryat Arba geworden, hatte zuvor einem Journalisten der Zeitung „Yediot Achronot“ (S. 102) erklärt: „Wir belügen uns, wenn wir meinen, wir könnten mit den Arabern Seite an Seite leben. Das ist unmöglich. Sie machen uns krank. Sie sind die Krankheitserreger, die uns infizieren ... Es gibt eine Zeit, in der geheilt, und eine Zeit, in der getötet wird.“

Felicia Langer, israelische Anwältin ungezählter Araber, hat in ihrem Buch dokumentiert, daß Baruch Goldstein an jenem Freitagmorgen mit wechselnden Munitionsmagazinen in die Reihen von Muslimen feuerte, als diese sich zum Gebet in Richtung Mekka neigten, und 29 von ihnen erschoß, bevor es gelang, den Mörder zu Boden zu werfen und zu erschlagen (S. 16). Er wurde später von religiös emotionalisierten Siedlern und Gesinnungsfreunden wie ein Heiliger zu Grabe getragen.

Nach Augenzeugenberichten hatte Goldstein die Grabstätte des Patriarchen in Hebron vor dem blutigen 25. Februar mehrfach besichtigt, und natürlich begegnete er dabei Kontrollen. Doch „mit einer Kippa und einer Waffe kann man, ohne gefragt zu werden, eine Menge Militärsperren passieren“, schrieb Nachum Barnea in der „Yediot Achronot“ (S. 54), „und mit der Kombination von Kippa, Uniform, Waffe und dem Rang eines Hauptmanns kann man alle Sperren passieren, wie am Freitagmorgen der Mörder Dr. Goldstein bewiesen hat.“

Das Buch, von Felicia Langer mit juristischer Gründlichkeit konzipiert und mit interessanten Dokumenten ergänzt, gibt Auskunft über die Reaktion von Regierung und Öffentlichkeit in Israel, über die Wurzeln eines Hasses, der keine Grenzen kennt, über die Versuche, den Sachverhalt und bestimmte Verantwortlichkeiten zu entstellen. Vor allem kann sich der Leser mit den Resultaten der Untersuchungen bekannt machen, die eine israelische und eine palästinensische Kommission vornahmen. Dabei ergab sich, daß an jenem 25. Februar vor nun vier Jahren israelische Soldaten in Hebron Dr. Goldstein Feuerschutz erwiesen und zahlreiche Palästinenser niederschossen. Aus der Siedlung Kiryat Arba wurde kein einziger Siedler entfernt, wohl aber die Ibrahim-Moschee geteilt.

Mit äußerster Besorgnis beobachten Israelis und ihre Freunde den orthodox-religiös gekleideten jüdischen Fundamentalismus, der Ende 1995 die Waffe des Mörders von Yitzhak Rabin in Anschlag brachte und die Politik des Premierministers Netanyahu munitioniert. Man erinnert sich, daß Friedensaktivisten schon Anfang März 1994 den sofortigen Abbau der Siedlungen im Westjordan-Gebiet forderten (S. 115). Der jetzige Reigerungskurs ist um 180 Grad seitenverkehrt und hat den „Frieden“ mit den Palästinensern zu einem Waffenstillstand unter Apartheid-Bedingungen degradiert. „... Der Bodenraub in den besetzten Gebieten durch Israel als Besatzungsmacht und die jüdische Besiedlung stehen im Widerspruch zum Völkerrecht, wie das völlig unmißverständlich in der Haager Konvention von 1907 und in der Vierten Genfer Konvention von 1949 formuliert wurde“, urteilt Felicia Langer (S. 87).

Stellvertretend für viele hat ein israelischer Wissenschaftler wie Professor Jesaja Leibowitz die Worte des großen österreichischen Dramatikers Franz Grillpartzer zitiert: „Es führt ein Weg von der Humanität über die Nationalität in die Bestialität. Das deutsche Volk ging diesen Weg bis zum Ende, und wir haben diesen Weg 1967 angetreten.“ Dieser Weg, so kommentiert Frau Langer (S. 83 ff.), „ist mit einem gefährlichen jüdisch-orthodoxen Gesetz gepolstert, das man kennen muß, um es bekämpfen zu können“. Sie weist auf Prof. Israel Shahaks Analyse der (aus dem Talmud abgeleiteten) „halachischen Wurzeln“ mörderischer Aktivitäten hin. Und damit drängt sich die Frage auf, ob nicht Fundamentalisten, die aus Besitzgier und Haß Menschenopfer rechtfertigen, mit dem Schweiß und Blut der Erbauer des jüdischen Staates, mit dem Existenzrecht Israels spielen, wenn sie Frieden, Sicherheit und ein lebenswertes Zusammenleben mit den arabischen Nachbarn begraben.

Felicia Langer hat ihre Anwaltskanzlei in Jerusalem geschlossen und das Land, das man das „heilige“ nennt, verlassen. Ein bitterer Beweis für das Auseinanderdriften einer Gesellschaft, ein Zeichen im Schatten des Menetekels, das Goldsteins Hand in Hebron mit der Maschinenpistole niedergeschrieben hat.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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