Eine Rezension von Maria Careg

Leben voller Banalitäten, Häßlichkeit und Leere

Alexander Trocchi: Wasserläufe

Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Beck und Marie Rahn.
Ullstein Verlag, Berlin 1997, 173 S.

Im Nachwort (Edinburgh 1996) zu diesem Roman geht John Pringle auf die Bedeutung des lange vergessenen schottischen Autors Trocchi und seines hiermit in deutscher Erstausgabe vorliegenden Erstlingswerkes ein. Die Publikationsgeschichte des Buches ist verworren. 1947 im ersten Entwurf vorliegend, konnte es erst 1961 nach zahlreichen Umarbeitungen und Veröffentlichungen in den USA in Großbritannien erscheinen.

Der Autor und sein Werk wurden offensichtlich seit jeher in die Nähe von Camus' Der Fremde gerückt, wobei dies ganz offensichtlich nicht nur literarisch gemeint ist, sondern auch als Synonym für sein, Trocchis, Fremdsein in dieser Welt gelten muß. „Junkie, Pornoschreiber, Radikaler und treibende Kraft der Subkultur der 50er und 60er Jahre: Dies war das Image, das Trocchi selbst pflegte und voll auslebte.“ (S. 165)

Die Geschichte ist denkbar einfach: Ein junger Mann, auf einem Lastkahn arbeitend, auf dem Weg von irgendwo nach nirgendwo, fischt gemeinsam mit seinem Chef eine Frauenleiche aus dem Wasser. War es Unfall, war es Mord? Wir werden es nie erfahren, auch wenn die Justiz am Ende eines Indizienprozesses einen Schuldigen findet und ein Urteil fällt.

Alles an diesem Roman, dessen Szenen sich fragmentarisch aneinanderreihen, erscheint beliebig und austauschbar - die Orte, die Personen und ihre Schicksale. Zwar werden schottische Ortsnamen genannt, aber die Landschaft und die Orte bleiben gestaltlos wie im Nebel. Die Handlung könnte in jeder Ödnis dieser Welt spielen. Alles ist schäbig in diesem Roman - der Lastkahn, die Unterkünfte, die Häuser, die Kleider und die Denkungsart der Menschen. Die Lebensäußerungen der Romanfiguren werden auf das Äußerste reduziert, auf bloße körperliche Bedürfnisse einer seelenlosen Hülle Mensch eingeschränkt. Selbst die unvermeidlichen sexuellen Szenen sind so unerotisch wie Staubflocken. Eine vermutete Freiheit des Individuums führt zur totalen Bindungslosigkeit und -unfähigkeit, abgesehen davon, daß dieser Roman keine Individuen, sondern nur schäbige Abziehbilder beschreibt. Leben voller Banalitäten, Häßlichkeit und Leere. Sie sind nicht des schönen Scheins entkleidet, denn es gab nie eine Verkleidung. Joe, der Ich-Erzähler und Protagonist des Buches, steht gewissermaßen neben sich, reflektiert seine Lebensumstände aus der (ziemlich arroganten) Außenperspektive. So baut sich nicht nur zwischen ihm und seiner Umwelt eine Lichtjahre weite Distanz auf, sondern auch zwischen Leser und Buch. An jenen Stellen, an denen man beim Lesen nicht gerade von Abscheu übermannt wird, gerät man angesichts dieser beschriebenen Nicht-Existenz in einen Zustand des Gelähmtseins.

Die Euphorie des Verfassers des Nachwortes, „in dieser Zeit der sauber abgepackten Konformität eine Gegenstimme zu hören“, ist für mich nicht nachvollziehbar, denn dies ist sicherlich eines der stimmlosesten Bücher, das ich je lesen mußte.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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