Eine Rezension von Bernd Heimberger


Eigener Erlöser

Erica Jong: Der Teufel in Person
Henry Miller und ich.

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1999, 383 S.

 

Jeder ist sein eigener Erlöser. Jeder ist sich selbst der geeignetste Ehepartner. Wenn man’s doch nur wüßte! Wenn man’s doch nur berücksichtigte! Einer soll’s wirklich gewußt haben. Berücksichtigt hat auch er nicht, was er wußte. Jedenfalls nicht im privaten Leben. Der Wissende war Henry Miller. Miller ist ein Markenzeichen der Weltliteratur, das längst nicht alle Welt kennt. Meint Erica Jong. Sie wehrt sich nicht dagegen, eine späte, geistige Tochter des modernsten aller modernen amerikanischen Autoren genannt zu werden. Jong fühlt sich geehrt, wenn ihr Roman Angst vorm Fliegen (1973) als weibliches Gegenstück zum vier Jahrzehnte zuvor veröffentlichten Miller-Roman Wendekreis des Krebses bezeichnet wird. Gemeinsam ist Jong wie Miller, daß sie als pornographische Sexisten verflucht und verdammt wurden. Gemeinsam ist ihnen die Bereitschaft zur Selbstbefreiung. Die möglich zu machen, gab es für sie nur den einen Weg: den steinigen der selbstgepflasterten Worte. Jong und Miller eint die Gemeinsamkeit, die „in dem Mut“ ist, „ein Schriftsteller zu sein“. Großartig wie die mutige Misses Jong den Ton dieses Themas kräftig anschlägt. Und zwar zu Beginn ihres Buches Der Teufel in Person. Der ist, wie nicht anders zu erwarten, der berüchtigtste aller berüchtigten Autoren. Sechs Jahre, Miller starb 1980, korrespondierten die beiden.

Das Buch der Erica Jong peitscht keine der Wogen der anschwellenden Miller-Literatur hoch. Die Kollegin ist keine Erzählerin, die dem Schriftsteller das Wasser reichen kann, wie die von ihr aufgenommenen Miller-Zitate immer wieder klarmachen. Sie ist zudem keine der Frauen, die Miller so nahekamen wie Anaïs Nin, die mehr Wahrheiten über Miller notierte, als er je über sich wußte. Jong ist nicht die Biographin, die Miller-Biographen eines Besseren belehren kann und will. Sie ist auch nicht jene konsequente Analytikerin, die strikt das selbstgewählte Thema - der Mut, Schriftsteller zu sein - durchhält. Entschieden eindeutig ist die Essayistin nur in ihrer Unentschiedenheit. Zu vieles hat sie zu sagen. Zu vieles über das Leben des Henry Miller. Zu vieles über die Frauen des Mannes. Zu viel über das sexverlogene Amerika, das Miller so lange fernhielt, daß Angst vorm Fliegen wie eine Schocktherapie wirken konnte. Zu viel über die knappe Zeit postalischer und persönlicher Begegnungen mit dem Bewunderten, der auch immer in Zweifel zu ziehen war. Zwiespalt diktierte der Autorin die Zeilen. Scheinbar unbefangen äußert sie zu Beginn des Buches über den Porträtierten: „Ich hasse ihn, weil ich ihn liebe.“ Was so leichthin, wirkungsvoll formuliert ist, ist schwer zu erklären. Zumal, wenn frau an sich willig ist, Vorbehalte gegen Miller zu widerlegen, da sie allen persönlichen Erfahrungen widersprechen. Zumal, wenn frau die Freundschaft auf keinen Fall glorifizieren möchte. Erica Jong, die Vereinfacherin, will nicht komplizieren. Wie aber über einen Propheten sprechen und dabei die Waage zwischen dem Prophetischen und Profanen halten? Erica Jong weiß in ihrer liebevollen Haßliebe zu dem alten Mann keinen letzten, endgültigen Rat. Sie lehnt die Einseitigkeit der blinden Befürworter Millers ab. Sie widersetzt sich den ignoranten Verleumdern ebenso wie den dummdreisten Verneinern. Sie muß so schwankend bleiben, weil sie auf ein gerechtes Urteil über Miller aus ist, das nie ganz gelingen kann. Sie muß in ihrem Wollen versagen. Das ist sympathisch, läßt alle Unentschiedenheit, Uneinheitlichkeit, Wiederholungen leichter ertragen. Um so dankbarer werden Verallgemeinerungen akzeptiert, die sich aus der Miller-Korrespondenz-Konfrontation ergeben und über Miller und Jong hinausweisen. Also alles, was über Befreiung im Sinne der Selbstbefreiung gesagt wird. Der Befreiung aus der Geld-Gesellschaft, Sex-Gesellschaft, Frauen-Männer-Gesellschaft. Mehr als in allen Miller-Büchern ist darüber in den Büchern von Henry Miller. Aus dem Buch der Erica Jong müßten wir uns nur den einen Satz merken: „Wenn wir Henry zensieren, zensieren wir im Grunde unsere Menschlichkeit.“ Miller ist also immer noch fürs Mahnen gut! Aber, wer hört schon auf Mahnungen, Frau Jong?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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