Eine Rezension von Helmut Caspar


Deutsche Medaillenkunst um 1900

Martin Heidemann: Medaillenkunst in Deutschland von 1895 bis 1914

Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Medaillenkunst in Verbindung mit den Staatlichen Museen zu Berlin Münzkabinett, Berlin 1998, 545 S., zahlr. Abb.

 

Am Ausgang des 20. Jahrhunderts blickt Martin Heidemann zurück auf das, was vor und nach 1900 im Deutschen Reich auf dem Gebiet der Medaillenkunst geschaffen wurde, auf ein Medium, das sich großer Beliebtheit erfreute und in der zeitgenössischen Publizistik viel diskutiert wurde. Der nunmehr achte Band der von Wolfgang Steguweit herausgegebenen Reihe „Die Kunstmedaille in Deutschland“ fußt auf einer 1994 an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster abgeschlossenen Dissertation Studien zur sogenannten Wiederbelebung der Medaillenkunst um die Jahrhundertwende, geht aber aufgrund weiterführender Forschungen im Auftrag der am Berliner Münzkabinett angesiedelten Gitta-Kastner-Stiftung über diese hinaus. Heidemann beschäftigt sich mit einem Ausschnitt der überaus reichhaltigen und qualitativ sehr unterschiedlichen deutschen Medaillenpoduktion in einer kurz vor der Jahrhundertwende begonnenen künstlerischen Umbruchsphase, die mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs endete. Er legt, verbunden mit einer umfangreichen kunst- und werkgeschichtlichen Untersuchung und Analysen des Forschungsstandes sowie über Funktion und Ikonographie, ein 1305 Nummern umfassendes Zitierwerk mit umfangreichem Quellenverzeichnis vor, an dem Sammler und Museen, Händler und Kunsthistoriker nicht mehr vorbeikommen. Der umfangreiche Abbildungsteil zeigt die meisten Stücke, oft allerdings nur von einer Seite. Nachteilig ist, daß der Durchmesser einheitlich auf 37 Milimeter reduziert wurde. Kleinere Stücke behielten ihre Originalgröße. Durch diese Verkleinerung geht die Monumentalität und Differenziertheit vieler Medaillen und Plaketten zwar verloren, auf der anderen Seite aber durften Umfang und Herstellungskosten des Bandes nicht ausufern.

Ausgehend von den Höhenflügen der sich ganz neuer Genres und Techniken bedienenden französischen Medaillenkunst am Ende des Jahrhunderts, erlebte auch im Reich Wilhelms II. das von staatlichen Stellen, Verbänden und Vereinen, Privatpersonen und anderen Interessenten geförderte Genre etwas, das damalige Autoren mit Wiederbelebung, Wiedererweckung und Renaissance bezeichneten. Heidemann untersucht, wie weit diese Bezeichnungen zutreffend sind und was neu war an der deutschen Medaillenkunst des behandelten Zeitraums. Deutlich werden die Bindungen zu traditionellen Techniken und Sujets, da und dort aber auch das Bestreben, analog zur zeitgenössischen französischen Medaille mit ihren fließenden Formen und Konturen neue Wege zu beschreiten. Der Verfasser schildert die Mühen an Kunstakademien und Gewerbeschulen für die Ausbildung von Bildhauern, Graveuren und Medailleuren (über die man im Anhang biographische Daten und Angaben zum Œvre findet) und zeigt auch, wie die zeitgenössische Medaille zum Sammelgegenstand avancierte und durch Aufnahme in Museen und Münzkabinette förmlich geadelt wurde. Das Buch dokumentiert, was nicht sonderlich verwundert, vor allem den reichen Bestand am Berliner Kabinett, listet aber auch Schätze anderer Sammlungen auf. Soweit möglich, teilt der Autor alle erreichbaren Daten über die jeweiligen Stücke, über beteiligte Künstler, Auftraggeber und Prägeanstalten sowie die Standorte mit. In der Regel lagen die Medaillen dem Autor im Original vor, einige wurden nach Modellen beschrieben, wenn sich die Ausführung nicht belegen ließ.

Bestimmte Werkgruppen wie Schützenmedaillen oder die Freimaurermedaillen blieben, wie Heidemann schreibt, aufgrund ihres unzureichenden künstlerischen Anspruchs beziehungsweise ihrer Spezifik unberücksichtigt. Die pauschale Abqualifizierung allerdings, die auch weitere „massenhaft“ gefertigte Stücke trifft, müßte hinterfragt werden, denn unter diesen Stücken gibt es ebenso qualitätvolle Arbeiten, wie bei den im Katalog dokumentierten Medaillen und Plaketten auch Beispiele zu finden sind, die, wie gewisse Herrscherporträts, das Siegel „Kunstmedaille“ eigentlich nicht verdienen. Die Grenzziehung ist schwer und wird nach wie vor diskutiert. Ein kompletter Katalog der riesigen Medaillenproduktion des behandelten Zeitraums einschließlich der Marken und Zeichen würde sicher mehrere Bände umfassen und bleibt Aufgabe anderer Autoren. Zu danken ist dem Autor sowie dem Herausgeber der Reihe, Wolfgang Steguweit, und der Deutschen Gesellschaft für Medaillenkunst für die sorgsame Edition einer wichtigen Kunstgattung in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. In früheren Folgen der Schriftenreihe waren auch Arbeiten heutiger Medailleure vorgestellt worden.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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