Eine Rezension von Gunther Hildebrandt


Blick auf das Leben eines bürgerlichen Demokraten

Sabine Freitag: Friedrich Hecker
Biographie eines Republikaners.

F. Steiner Verlag, Stuttgart 1998, 547 S.

 

Friedrich Heckers Name ist bis heute sprichwörtlich mit der 48er Revolution im deutschen Südwesten verbunden, was auch sein Bild in der Geschichtsschreibung - s. das jüngste Revolutionsjubiläum - zum großen Teil geprägt hat. Erst an zweiter Stelle kam zumeist sein mehr als drei Jahrzehnte währendes politisches Wirken in Amerika, obwohl es in vielerlei Zeugnissen greifbar ist und auch häufig dargestellt wurde. Mit dem Buch von Sabine Freitag, hervorgegangen aus einer Dissertation in Frankfurt a. M. (P. Wende), liegt erstmals eine umfassende wissenschaftliche Biographie über den neben Robert Blum bekanntesten Vertreter der demokratischen Linken von 1848 vor, die die Gewichte anders setzt. Drei von 11Kapiteln behandeln den Abschnitt bis 1848, der weitaus größte Teil konzentriert sich auf die Zeit in den Vereinigten Staaten.

Die Verfasserin, jetzt Mitarbeiterin des Deutschen Historischen Instituts London und inzwischen auch als Autorin eines Sammelbandes mit Lebensbildern aus der 48er Revolution bekannt, war in der glücklichen Lage, zu beiden Lebensabschnitten umfangreiches Quellenmaterial auswerten zu können: den im Besitz der Universität von St. Louis befindlichen Hecker-Nachlaß sowie eine Reihe anderer Nachlässe und Nachlaßteile (u. a. Lorenz Brentano, Franz Lieber, Franz Sigel, Carl Schurz, Adam v. Itzstein, Gustav v. Struve), ungedruckte Hecker-Briefe und behördliche Akten über Heckers Hochverratsprozesse. Hinzu kamen zahlreiche gedruckte Quellen: u. a. eigene Veröffentlichungen, Reden und kleinere Beiträge von Hecker sowie gedruckte Hecker-Briefe, ferner zeitgenössische Publikationen über Hecker (u.a. in den „Deutsch-Amerikanischen Monatsheften“ und der „Gartenlaube“). Mit Gewinn ausgewertet wurden neben den bekannten deutschen eine Reihe deutsch-amerikanischer und amerikanischer Zeitungen, vorwiegend aus Illinois.

Das Buch läßt die innere Logik, den Zusammenhang zwischen beiden Lebensabschnitten deutlich werden. Hecker, mit summa cum laude promovierter Jurist, kam frühzeitig mit aufklärerischem, vernunftrechtlichem, auch oppositionellem Gedankengut in Berührung und reifte in den 40er Jahren als badischer Kammerabgeordneter und Verteidiger in politischen Prozessen zum bürgerlichen Demokraten und charismatischen Führer der revolutionären Bewegung. 1848/49 in die Emigration nach Nordamerika getrieben, schloß er sich dort der Republikanischen Partei an und nahm am Kampf für die bürgerliche Emanzipation und gegen die Sklaverei teil. Als einer der prominentesten Deutschamerikaner seiner Zeit stand er auf der Seite Abraham Lincolns (wie Hecker in Illinois ansässig). Im Bürgerkrieg stritt er als Oberst und Regimentskommandeur der Bundesarmee von 1861-1964 zugleich für seine Ideale aus den Tagen der deutschen Revolution, für Freiheit, gesellschaftlichen Fortschritt und eine moralisch integre Gesellschaft.

Im ganzen gesehen, entwickelt Freitag kein neues Hecker-Bild, aber sie verleiht diesem mehr Homogenität, und sie präzisiert und vervollkommnet es an verschiedenen Stellen. Sie korrigiert die These vom „reinen Tatmenschen“ Hecker, indem sie auf seine feste Verwurzelung in bürgerlich-demokratischen Gesellschafts- und Moralprinzipien hinweist. Hingewiesen wird wiederholt auf den Stellenwert des Kantschen Moralethos. Sein Ideal sei stets die einem bürgerlichen Moralbegriff verpflichtete Gesellschaft mittlerer und kleiner Eigentümer gewesen, dies auch zu einem Zeitpunkt, als in den Vereinigten Staaten die Zeichen längst in eine andere Richtung wiesen. Daraus ist zu entnehmen, was von Freitag auch unterstrichen wird: So entschieden Heckers Republikanertum, so deutlich seine Distanz zu Sozialismus und Kommunismus.

Bekanntlich hat Hecker zweimal in seinem Leben für eine „gute Sache“ selbst zu den Waffen gegriffen: im Frühjahr 1848 und 1861 im amerikanischen Bürgerkrieg. Während der Autorin die Darstellung seiner Rolle im Sezessionskrieg (Hecker nahm u. a. an der Schlacht von Fredericksburg 1863 teil) gut gelungen ist, bleibt die Episode im April 1848 blaß.

Die exemplarische Bedeutung Heckers für die deutschen Emigranten (besonders der 48er Generation) bringt es mit sich, daß das Buch für die gesamte Emigrationsforschung wichtig ist und viele Details beisteuert. Das gilt nicht nur für das Engagement Heckers und vieler anderer deutscher Emigranten im Bürgerkrieg 1861-1865, sondern auch in verschiedenen Präsidentschaftswahlen (1860, 1872, 1876), seine journalistische Tätigkeit und seine „stump“-Reden. Die gründliche Darstellung seines Wirkens in Amerika trägt dazu bei, die Biographien anderer Emigranten, vor allem der ehemaligen deutschen 48er, wie Schurz, Kinkel, Brentano, Zitz, Sigel oder seines ehemaligen studentischen Duell-Gegners aus Heidelberg Gustav Körner, mit aufzuhellen.

Weniger bekannt sind andere Episoden, die Hecker teilweise in ein anderes Licht stellen. Dazu gehört seine Teilnahme an einer Abspaltung der Republikaner, den sogenannten Liberal-Republikanern, die sich auch als „Anti-Corruptionsbewegung“ verstanden und zeitweise (in den Präsidentschaftswahlen 1872) mit den Demokraten kooperierten, oder ein Vortrag über „Weiblichkeit und Weiberrechtelei“, der ihn als Befürworter einer paternalistischen Emanzipation und Gegner des Frauenwahlrechts ausweist. Er war in diesem Punkt nicht nur „ein Kind seiner Zeit“, sondern widersprach auch „einer Reihe früher (1844) gemachter Aussagen“ (S. 424). Das Buch fördert eine Erkenntnis, die für das Leben vieler Emigranten exemplarisch sein dürfte: Politisches Wirken in der Emigration ging - sofern überhaupt möglich - unter gänzlich veränderten Bedingungen vonstatten. Für Hecker verwirklichte sich in den Vereinigten Staaten zwar der Traum einer freien Gesellschaft. Zugleich waren ihm neue Grenzen und Beschränkungen - durch Adaption an Bestehendes, durch den Zwang, sich eine neue Existenz zu schaffen (H. wurde Farmer im Mittelwesten), durch „Nativismus“, d. h. Bevorzugung der Einheimischen - gesetzt, die für den Self-made-Man und Kleineigentümer die Politik nur zur schönsten Nebensache der Welt werden ließ. Eine Synthese oder produktive Beziehung zwischen Beruf und politischer Laufbahn (Anwalt und Kammerabgeordneter) wie in Baden in den 40er Jahren war nicht mehr möglich, vielmehr ein ganz neues Verständnis von Politik angesagt.

Das Buch hinterläßt einen guten Eindruck. Freitag hat es verstanden, die Biographie und den politischen Hintergrund gut aufeinander abzustimmen. Ein zusammenfassendes Schlußkapitel hätte das Substrat der Arbeit noch deutlicher gemacht, auch ein Dokumentenanhang bzw. weiteres Bildmaterial hätten dem Buch gutgetan.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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