Eine Rezension von Helmut Hirsch


Vertraute Neuigkeiten aus dem Paradies

Mark Twain: Tagebuch von Adam und Eva

Mit Zeichnungen von Jean Effel.

Sanssouci Verlag, Zürich 1998, 77 S.

 

„Früher war es hier so schön ruhig“, schreibt Adam ins Tagebuch. Zu einer Zeit, als es noch keine Eva gab. Doch seitdem jenes Wesen, bei Mark Twain heißt Eva „das neue Geschöpf“, um Adam herum ist, stimmt die Welt, das Paradies nicht mehr. Überall ist sie ihm im Wege: „Immer wartet es auf mich oder läuft mir nach. Das habe ich nicht sehr gern. Ich wollte, es bliebe mehr bei den anderen Tieren.“ So schildert Mark Twain im „Tagebuch von Adam und Eva“ die Anfänge eines abenteuerlichen Lebens. Leben zwischen Wesen, die einander ähnlich sind, entwickelt sich aus Gegensätzen. Deren Entstehung sieht man besser, wenn man den ganzen Kram der Zivilisation mal beiseite räumt und sich nur auf schon vorhandene Tiere und auf die zwei Wesen jener obskuren Gattung beschränkt, die das Paradies erlebt haben. Twain, der Ironiker, weiß gut Bescheid. Er hat das Leben am großen Strom Mississippi kennengelernt, unter Abenteurern, Farmern, Sklaven, auf Wanderschaft vor allem. Er hat erlebt, was es bedeutet, wenn nur ein neues Wort in die Welt (ins Paradies) kommt, um zu erfahren, was es verändern kann. Hier in diesem vergnüglichen Tagebuch ist es Eva, die alles Neue ankurbelt, schon allein durch ihre Anwesenheit. Sie sagt zuerst das Wort „wir“, überhaupt redet sie unaufhörlich und ist „vor allem damit beschäftigt, die Dinge beim Namen zu nennen“. Durch sie findet die Welt ihre vielen Bezeichnungen, und damit rückt alles näher an Adam heran. Der hatte es mit ein bißchen Entfernung zu den meisten Dingen ganz gern. Nun aber ist Eva überall, und alles rückt ihm auf den Pelz, zuletzt auch noch dieses „neue Geschöpf“ selbst.

Als Adam Eva aus dem Unterschlupf, den er gegen den Regen gebaut hat, hinausdrängen will, bekommt sie „ein feuchtes Gesicht“, zeigt nicht nur die ersten Tränen in der Menschheitsgeschichte, sondern „machte ein Geräusch wie manche von den andern Tieren, wenn sie in Not sind“. Erste Regungen entstehen im Regen. Aber noch lange behauptet sich bei Adam, wenn von Eva die Rede ist, der Vergleich mit den anderen Tieren. Ein Tier, das ununterbrochen plappert. Adam hingegen beobachtet: wie Eva erfindet, sich Wege auf Bäume sucht, mit Erdklumpen nach den Äpfeln „auf dem Verbotenen Baum“ wirft. Alles benennt sie, und Adam ist einverstanden. Denn er bemerkt, daß man mit diesen Benennungen der Dinge weiterkommt. Wer wahrnimmt, lernt dazu. Daß Eva hier im Mark Twainschen Paradies diejenige ist, die das meiste wahrnimmt, bezeichnet und verändert, ist eben vielleicht doch für viele, die sich als legitime Nachfahren Adams verstehen, neu. Vieles geht einfach zu schnell. Als es Adam zuviel ist, flüchtet er, will wieder der alleinige Adam sein. Doch bald muß er erfahren, hier gibt es kein Entwischen mehr. Und bei jeder neuen Begegnung mit Eva nach solch einer Flucht beginnt auch eine neue Regung in ihm. Verhalten zwar, aber von Mark Twain treffsicher beobachtet: „Als sie mich sah, gab sie wieder diese unangenehmen Jammerlaute von sich und bekam ganz nasse Augen!“ Er ergibt sich in sein Schicksal. Und er wird reich belohnt. Eva ist rastlos, sie kann sein, was sie will, nur schwatzen sollte sie nicht dauernd. Längst weiß sie, daß sie aus Adams Rippe gemacht worden ist, längst hat ihr die Schlange eingeflüstert, von den verbotenen Früchten eines bestimmten Baumes zu kosten. Sie weiß noch mehr, sie weiß fast alles. Kennt aber noch nicht alle Folgen.

Sonntags schreibt Adam gern ins Tagebuch: „Glücklich überstanden!“ Und montags schreibt er: „Ich begreife allmählich, wozu die Woche erschaffen wurde: Sie gibt einem Gelegenheit, sich von der Sonntagslangeweile zu erholen.“ So entstand der Begriff von der Arbeit. Die leistet hier vor allem Eva. Immer voran, beißt sie als erste in den verbotenen Apfel. Adam kommentiert: „Jetzt ist etwas geschehen, von dem sich die Menschheit zeitlebens nicht mehr erholen wird.“

Das Paradies ist zu Ende, überall Gebrüll und Getöse unter den Tieren, mit dem Einzug des Todes war ein „schauriges Durcheinander“ in die Welt gekommen. Dann folgen die Kinder. Nach Kain Abel. Zehn Jahre später hat Adam nach all den neuen Erfahrungen seine Meinung grundlegend geändert, gesteht, daß er sich anfangs in Eva „schwer getäuscht habe“. Und welche Einsicht: „Zuerst dachte ich immer, sie spräche zuviel. Doch jetzt würde ich es sehr bedauern, wenn diese Stimme verstummen und ich sie mein Lebtag nicht mehr hören sollte.“

Auch an den „Apfelbiß“ erinnert sich Adam gern, denn seitdem ist Eva nicht mehr Tier unter Tieren. Der Biß in den Apfel lehrte ihn, „ihr gutes Herz und ihr liebes Wesen zu verstehen!“

Immer gibt es zwei Perspektiven, so auch in diesem Tagebuch. Das sowohl von Adam, der beginnt, als auch von Eva geschrieben wird. Zwei Arten Wahrnehmung, zwei grundverschiedene Schilderungen. Eva blickt vom ersten Tag an, es ist ein Samstag, ins Weite: „Mein Gefühl sagt mir, daß diese Aufzeichnungen eines Tages sehr wichtig für die Geschichtsforscher werden könnten.“ Sie empfindet sich als „Versuchsobjekt“ des Schöpfers. Das erkennt sie früh, und das macht sie sich zunutze. Auch im Erzählen erweist sie sich als die gründlichere Vertreterin ihrer Gattung. Und der Leser glaubt es ihr immerzu, was sie auch alles ins Feld führt. Sie, die früh genug erkennt, was es mit diesem unvollkommenen Adam auf sich hat. Sie durchschaut ihn, sehnt sich aber jederzeit nach ihm. Was der Schöpfer sowieso will, kitzelt sie aus Adam heraus. Doch mehr noch: „Anfangs konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wozu ich eigentlich erschaffen wurde. Doch jetzte glaube ich es zu wissen: um die Geheimnisse dieser wunderbaren Welt zu entdecken und um glücklich zu sein und dem Spender aller Gaben dafür zu danken, daß er alles erdachte.“

Ihren Adam liebt sie, aber nicht wegen seiner Intelligenz, auch nicht wegen guter Manieren „und feiner, rücksichtsvoller Art“, auch liebt sie ihn nicht wegen seines Fleißes oder wegen seiner Bildung. Und auch das ritterliche Wesen ist es nicht. Nur das gibt den Ausschlag: „Ja, ich glaube tatsächlich, daß ich ihn nur liebe, weil er mir gehört und männlichen Geschlechts ist. Ich sehe keinen andern Grund.“

Mark Twain erzählt mit viel Amüsement. Er weiß, daß Ironie zuerst dadurch entsteht, wenn man die Dinge des Lebens, kleine und größere Unvermeidlichkeiten, aus mindestens zwei Blickwinkeln betrachtet. Eine Erfahrung immer wieder durch eine andere in Frage stellt und somit den Fluß der Dinge im Gegensatz erkennbar werden läßt. Haltbar ist wenig. Aber der Genuß des Lebens täglich möglich. Und damit der auch gut gewürzt wird, ist Liebe nötig. Am Schluß stellt sich Eva vor, daß Adam an ihrem Grab denken möge (was festzuhalten wäre): „Wo SIE war, da war das Paradies.“

Jean Effel, der Zeichner und Karikaturist, hat viele Bilderfolgen zu biblischen und mythologischen Themen gezeichnet. In den sechziger Jahren wurden die zwei Bände „Adam und Eva, Roman in Bildern“ berühmt und weithin geschätzt. Zu diesem köstlichen Tagebuch hat der Verlag einige Schwarzweißzeichnungen Effels beigesteuert. Sie erklären nichts, zeigen aber alles. In einem Buch, in dem alles bekannt, alles neu ist.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 4/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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