Eine Rezension von Bertram G. Bock


Eine erschreckend unerschrockene Phantasie

Tibor Fischer: Die Voyeurin

Roman.

Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach.

Rowohlt.Berlin Verlag, Berlin 1998, 301 S.

Es gibt Bücher, die müssen nicht unbedingt sein - dies hier ist so eins. Gut, wer es mag, daß das Deus ex machina-Prinzip ausgiebig zum Einsatz kommt, wer sich nicht daran stört, daß die Motivationen einzelner Handlungen nicht unbedingt notwendig sind, wer sich damit zufrieden gibt, einer inkonseqenten und zusammengewürfelten Gesamthandlung zu folgen und sich an dumm-witzigen Wortspielen erfreuen kann, bitte. Natürlich ist auch dann zuzuraten, wenn man auf vollkommen absonderliche Erzählperspektiven steht, wenn man gerne von Menschen liest, die sich selber aufessen und solche Absonderlichkeiten mehr. Aber wer einen etwas anderen Anspruch hat, wem Motivation, Konsequenz und Logik, die ruhig auch mal etwas verquer sein darf, wichtig sind, der gern eine Story liest, die zumindest in Ansätzen Hand und Fuß hat, sollte schlichtweg die Finger von diesen Seiten lassen - sie sind nämlich nicht nur Zeitverschwendung, sie sind schlichtweg ärgerlich. Denn die „unerschrockene Phantasie“, wie es im Klappentext heißt, erschreckt und läßt - mal wieder - fast um die abendländische Kultur bangen.

Um was geht es denn eigentlich? Es geht im Grunde um Rosa und Nikki als Hauptpersonen und um eine Vase. Aber das ist nun nicht die Geschichte, daß etwa der Raub dieser kostbaren Vase Rosa und Nikki in Verbindung treten läßt, nein, es ist so, daß diese Vase bei Rosa, einer Kunstsachverstädigen, herumsteht und nichts anderes zu tun hat, als der Leserschaft zu erzählen, was Rosa so tut. Und die tut eigentlich gar nichts, außer sich nach einem Mann zu sehnen. Deswegen hat sie auch die Kolumnistin Tabatah entführt, die sie nur dann freilassen will, wenn sie ihr genügend Tips und Tricks verrät, wie sie an einen Mann herankommt. Nikki dagegen hat mit Rosa eigentlich nicht viel zu tun. Sie steht eines Tages einfach vor der Tür, quartiert sich als Freundin einer Freundin bei Rosa ein, verführt am nächsten Morgen erstmal eine Zeugin Jehovas (und Fischer respektive sein Übersetzer schreiben allen Ernstes: Die Zeugin macht gute Miene zum Mösenspiel“), klaut aus der Wohnung was nicht niet- und nagelfest ist, das Geklaute kommt aber stets irgendwie immer wieder zurück und erfreut sich ansonsten des Lebens. Und wenn es die Wahrheit nicht tut, dann tun es eben Lügen. Das alles erzählt eben die Vase, die sich, sonst wäre es ja langweilig, auch verändern kann. 1834 sei sie, so erzählt die Vase, eine Halsamphore gewesen von attischer Geometrie und zwar aus dem Jahre 843 v. Chr. und - darüber kann man anscheinend lachen - das Winterdesign jenes Jahres.

Und weil Rosa und Nikki auf die Dauer nicht viel hergeben und die Vase ja auch nicht dauernd mitgehen kann, schließlich ist sie ein antikes Stück, welches man nicht einfach so in die Handtasche mitrumträgt, erinnert sie sich - sozusagen wenn es ihr langweilig ist - an irgendwelche Geschichten, wie die mit dem Menschen, der sich selber aufißt. Sie haben zwar mit der Hauptgeschichte nichts zu tun, wollen aber witzig und spritzig sein. So hübsch und hilfreich das Deus ex machina-Prinzip auch immer ist, wird es überreizt, werden die dadurch motivierten Geschichten beliebig und schal. Genau das passiert auch in diesem Text, der schon bald nur noch bemüht wirkt. Zu Beginn ist es ja noch ganz nett, wenn alles in der vorkommenden Häufigkeit angegeben wird, z. Bsp.: „Ich werde zum dreitausendzweihundertneunten Mal gestohlen, die einhundertzwei Gelegenheiten nicht gerechnet, wo ich im guten Glauben verliehen, aber nie zurückggeben wurde.“ Doch auf die Dauer ist es schlichtweg langweilig, weil die Zahlen nichts sagen. Sprachlich kommt der Roman ebenfalls oft sehr fragwürdig daher, denn es tut direkt schon weh, lesen zu müssen, daß Rosa sich „entbettet und betagt“ oder wenn die Steigerung von „Grabräuber“ mit „Grabräuberräuber“ bzw. „Grabräuberräuberräuber“ angegeben wird. Beliebt auch bei Fischer solche Sätze wie, „Glatzen, Meerkatzen und Affentratzen hatzen sich mit ihren Tatzen, wollen sich atzen und die Welt brandschatzen. Esser werden Esseresser, die Esseresseresser werden und so weiter.“ Das zeigt zwar, daß sich der Übersetzer viel Mühe gemacht hat, doch der Autor handelt eher frei nach Ernst Jandl: Die Zeile will die Zeile sein, warum muß da noch Inhalt rein.


(c) Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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