Eine Rezension von Hans-Rainer John

Spione, Agenten und ein Kolonialkrieg

John le Carré:

Der Schneider von Panama

Roman. Aus dem Englischen von Werner Schmitz.

Kiepenheuer & Witsch, Köln 1997, 462 S.

 

Der Engländer John le Carré (67), Germanist und Diplomat, wird zunehmend als zweiter Graham Greene apostrophiert. Zu Unrecht finde ich, denn er äußert sich literarischer als der direkt zupackende, auf Spannung bedachte Journalist Greene, er drechselt genüßlicher an nuancierten Formulierungen, nimmt sich mehr Zeit zum Ausmalen der Details, hat ein liebevolles, aber auch ein wenig ironisches Verhältnis zu seinen Figuren, die nie einschichtig sind, sondern in vielen Facetten schillern, und bedient sich mit müheloser Virtuosität eines spöttischen Tons. Zehn seiner Romane sind bei Kiepenheuer & Witsch schon im Angebot, da erwarten seine Leser mit Spannung das jüngste Opus, das sie nach Mittelamerika führt, wo die amerikanische Herrschaft über den Panamakanal zu Ende geht. (Präsident Jimmy Carter unterzeichnete einen Vertrag, der die Übergabe an Panama am 1.Dezember 1999 vorsieht.)

In Panama City residiert der Prominentenschneider Harry Pendel, ein Mann englisch- jüdischer Herkunft, der sich, aus der Unterschicht stammend, hochgearbeitet hat zum geschätzten Meister, der die Hautevolee einkleidet: den Präsidenten der Republik, den US-General des Kommandos Süd, Mitglieder der Gesetzgebenden Versammlung, Anwälte und Bankdirektoren, Geschäftemacher, Geldwäscher und Gauner. Pendel kennt jeden, den man in Panama kennen muß, und seine Frau ist noch dazu Chefsekretärin von Ernie Delgado, dem einflußreichen Vorsitzenden der mächtigen Kanalkommission. Gegenwärtig ist Pendel freilich etwas klamm, denn er hat sich mit der Anschaffung einer Reisfarm übernommen. Da taucht ein neuer Kunde auf, Andy Osnard, der gerade seine Arbeit bei der Britischen Botschaft aufgenommen hat. Andy bestellt nicht nur viele Anzüge, er weiß auch Bescheid über Pendels kriminelles, in Panama und in seiner Familie gänzlich unbekanntes Vorleben. Denn Osnard ist Geheimdienstler. Und er will nur schweigen, wenn Pendel einwilligt, für England zu spionieren und Agenten anzuwerben. Wenn Pendel zustimmt, werden viele Geldquellen sprudeln, und die Finanznöte sind vom Tisch.

Pendel sperrt sich vergebens, die Umstände zwingen ihn, sich auf den Vorschlag einzulassen. Einiges sieht er, einiges hört er, einiges organisiert er, vor allem aber ist er ein kluger Mensch, der spürt, was man in London hören will, und ein phantasievoller Träumer, den die Fabulierlust mit sich fortreißt. Und so rapportiert er nicht nur, er schmückt aus, bauscht auf, erfindet, formt um. Er meldet ahnungslose Mitbürger (darunter die eigene Frau) als angeworbene Agenten und kassiert Fangprämie wie auch deren Monatssold. Er denunziert den von seiner Frau umschwärmten aufrichtigen und selbstlosen Delgado aus Eifersucht als dunklen Geschäftemacher, der den Kanal an Japaner oder Drogenkartelle verkaufen will, stilisiert andererseits seinen besten Freund Mickie Abraxas, einen bekannten Sprößling des politischen Establishments von Panama und Noriega-Opfer, zum Helden und offenen Gegner der Gewaltherrschaft (ein alter Wunschtraum, denn Schläge und Drangsalierungen, während der Haft erlitten, haben Mickie längst zum Säufer werden lassen, der den Kampf aufgegeben hat). Vor allem erfindet Pendel eine weitverzweigte bürgerlich-radikale Freiheitsbewegung von Fischern, Studenten und Gewerkschaftlern, durchorganisiert und bereit, auf Kommando für die Demokratie in den Kampf zu ziehen.

Osnard ist begeistert von Englands neuem 007 und fühlt sich, da er sich auch privat seines exzessiven Lebensstils willen aus dem Reptilienfonds bereichert, verpflichtet, die erhaltenen Informationen bei Weitergabe noch sensationeller auszuschmücken. London ist entzückt und ganz aufgeregt und natürlich nicht knausrig, schickt aber gerade deswegen einen hohen Beamten auf den Weg, der nun Osnard und Pendel auf die Pelle rückt. Just in diesem Moment bricht die frustrierte, vernachlässigte und ausgenutzte Ehefrau Pendels wütend dessen Schreibtisch auf, findet Geld, Geheimdienstdossiers und Osnards Adresse, fährt zu diesem, um das Netz zu zerreißen, landet aber genregemäß in dessen Bett.

Das bleibt leider gänzlich folgenlos, weil der Autor nun - vierzig Seiten vor Schluß - die subtile Gaunerkomödie („Auf einen Schelm anderthalbe“) beendet und ein gänzlich neues Kapitel mit anderem Erzählstil aufschlägt. Während man nach dem bisherigen Verlauf erwartet, daß Pendel, dieser in die Enge getriebene Nasreddin, nach finanzieller Sanierung seinen Kopf irgendwie aus der Schlinge ziehen und seine englischen Partner zur schweigenden Duldung zwingen kann (weil sonst ihre Leichtfertigkeit und Dummheit ans Licht kämen), greift le Carré zu einer ernsteren, aber uneleganteren und nicht immer schlüssigen Lösung, auf die der Leser nicht vorbereitet wurde ...

Dennoch, Le Carré ist ein meisterlicher Erzähler, auch diesmal hat er eine lebendige, vielschichtige Handlung ersonnen und hohe Anschaulichkeit und dichte Atmosphäre mit tief eindringender Charakterisierungskunst verbunden; aber ihm in dieses Schlußkapitel zu folgen fällt schwer. Natürlich war ihm daran gelegen, darauf zu verweisen, daß auch die scheinbar unbedenkliche private Tändelei mit der Macht zur Katastrophe führen kann, wenn sie ins große politische Spiel gerät, aber dieses eben ist hier nicht recht definiert: Weder der panamaische Staat und seine Chancen noch die wahren US-Interessen wurden zuvor umrissen (lediglich das Noriega-Regime wird als terroristisch und der Überfall der USA als unberechtigte Invasion apostrophiert), und das Zusammenspiel England-USA bleibt ganz außen vor. Hätte für diesen Schluß das internationale Spiel der Diplomatie nicht schon vorher thematisiert werden müssen? Hat uns der Autor nicht zu ausschließlich mit dem amüsant oder sarkastisch um Reputation und Solvenz ringenden Pendel und mit dem ihn umgebenden Figurenensemble befaßt, das nun auf der Strecke bleibt?

Am Ende, da die Entwicklung auf überraschende, merkwürdige, schwer faßbare Weise in den Kolonialkrieg abstürzt - „Wieder einmal plünderten sie Panama, schossen seine Hochhäuser und Hütten in Brand, erschreckten sie Tiere und Kinder und Frauen mit Kanonendonner, mähten die Männer auf den Straßen nieder und hatten die Sache bis zum Morgen erledigt“ -, verläßt Pendel im Gefühl der Schuld am Tode Mickies Haus und Familie. Er begibt sich zu den Armen und Aufrechten: „Es war noch nicht zu spät für ihn, sie alle kennenzulernen.“ Anzüge interessieren ihn jedenfalls überhaupt nicht mehr.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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