Eine Rezension von Sven Sagé

 

Thema Thüringen

Wulf Kirsten (Hrsg.): Eintragung ins Grundbuch. Thüringen im Gedicht.

Hain Verlag, Rudolstadt & Jena 1996, 242 S.

 

Auch nur ein Schlagwort: Klassiker? Eines, das adelt oder erschlägt? Nicht geadelt, nicht erschlagen, ist das Gedicht „Dornburg“ von Hanns Cibulka ein Klassiker. Nicht der modernen Lyrik. Doch der Dichtung, die Thüringen ehrt und rühmt, Thüringen zur Ehre und zum Ruhm. Der aus Sachsen zugereiste Wulf Kirsten, seit Jahrzehnten in Weimar zu Hause, weiß das besser als mancher angestammte Thüringer. Über die Landesgrenzen als Poet und Prosaist geachtet und geehrt, wurde ihm zugetraut, d i e Thüringen-Lyrik-Anthologie zustande zu bringen. Be- und Verhinderungen zum Trotz, hatte Kirsten schon früher als Herausgeber eine glückliche Hand. Auch der Band Eintragung ins Grundbuch, der „Thüringen im Gedicht“ präsentiert, ist ihm gut gediehen.

Die Sammlung hat ihr poetisches Programm, obwohl der Titel recht prosaisch klingt. Aufgelistet wird der neue literarische Besitzstand einer deutschen Landschaft. Ohne bürokratische Allüren, wie das Wort aufgelistet vermuten läßt. Ohne ökonomisches Gebaren, die die Bezeichnung Besitz-Stand glauben machen mag. Was nicht sagt, daß Wulf Kirsten kein genauer, haushälterischer Herausgeber ist. Er ist genau, haushälterisch. Auch großzügig. Schließlich kennt er seine Pappenheimer: die Poeten! Kaum einer ist ausgelassen, der aus der Region kommt, in die Region kam und aus der eigenen Generations-Gemeinschaft - von Braun über Kunze bis Helga M. Novak. Eine Gefälligkeitsausgabe ist das Buch nicht. Dennoch will es gefallen. Unbedingt! Nicht nur Thüringern. Nicht durch schöne Selbstbespiegelung. Die Kritik des kenntnisreichen Herausgebers schützt vor Selbstgefälligkeit. Konzessionen werden dem Schönen gemacht. Sprich dem guten Gedicht. Also dem Gedicht, das gut zu sagen weiß, wie und was Thüringen ist. Warum, wie, und was. Dornburg allein ist nicht Thüringen. Auch Buchenwald ist Thüringen.

Cibulkas „Dornburg“ gibt zu Recht den lyrischen Ton für das Thema Thüringen an. Denn: „Hier finde ich / die alte Zeit wieder“, sagt Cibulka. Und Kerstin Hensel stellt in ihrem gleichnamigen Gedicht fest: „Wenn die Nebel nicht mehr steigen / Sehnen wir uns nach Gefahren / Und nach königlichen Zeiten.“ Kein Thüringen-Thüringen-über-alles-Gelabere quillt aus den Gedichten. Viel, viel Leben in Thüringen, mit Thüringen. Die Welt in Thüringen. Die Erde, die Thüringen genannt ist. „Ich trag sie umher / Und lauf sie nicht ab“, heißt es im „Thüringen“-Gedicht von Annerose Kirchner. Das verstärkt den Ton von Cibulkas „Dornburg“, auch den Klang des 73stimmigen Dichterchores. So unterschiedlich die Tonlage der Stimmen, die Inspiration geht von Thüringen aus. Und auf die Leser über. Gleich welcher Landschaft und welchen Landes!


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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