Eine Rezension von Hans-Rainer John

 

Ihren Trieben ausgeliefert

Walter Foelske: Cousin Cousin

Roman. MännerschwarmSkript Verlag, Hamburg 1997, 264 S.

 

Rudolf Ridder, 25 Jahre alt, männlich, schön (sein Weg ist mit Mädchen und Frauen gepflastert), kraft väterlichen Erbes reich und daher ziellos, was seine Profession angeht (Typ ewiger Student), steht vor der Eheschließung mit seiner Jugendliebe, der reichen Anna Rosellen. Da lernt er auf einer Hauseinweihungsparty seinen Cousin kennen, Konrad Lamberti, 14 Jahre alt, Schüler, ein strahlender, allseits umworbener Blondkopf, „glatt, kühl, fest, kompakt, zart durchmuskelt, mit wolkigem Leib“ (was immer das auch heißt), der endlich Mann unter Männern sein möchte. Die beiden ziehen einander magisch an, sie reden, zerreden, weichen aus, schrecken zurück, lodern in der Mitte des Buches aber doch aufeinander zu. Nach einer leidenschaftlichen Liebesnacht, in der er die Knabenliebe sehr genießt, erwacht Rudolf desillusioniert: Hat er Anna, will er Konrad, hat er Konrad, will er Anna. Zudem schreckt er vor dem offenen Bekenntnis der Homosexualität zurück: Er ist kein Kämpfer, scheut die Konfrontation mit der Umwelt. So geht er zu Anna zurück. Konrad ist tief enttäuscht, will das Haus abfackeln, das Anna im Begriff ist für sich und Rudolf zu kaufen, und sich entmannen. Das eine gelingt, das andere bringt er nicht fertig: Er wird die Hoffnung nicht aufgeben und sich unterdes mit anderen Männern trösten. Das Schlußbild ist mehrdeutig: Rudolf streckt nach Anna die Hand aus, spitzt zugleich aber den Mund, pfeift nach Konrad.

Das ist der Kern des Romans. Die Geschichte wird folgerichtig und nachvollziehbar erzählt. „Über ganze 27 Seiten schildert der Autor die Liebesnacht in tausend großartigen Details“, verspricht der Verlag auf dem Cover. Und tatsächlich: Die Aufgabe ist geschmackvoll bewältigt und fast poetisch dazu, wenn man sprachschöpferische Besonderheiten („Er packte den Jungenkopf und zungte ihn steil vom Gaumen ins nackte Jungenhirn“) gelten läßt. Auf jeden Fall findet der Autor hier zu seinem Höhepunkt, und er führt die Geschichte glaubhaft zum Ende.

Das Umfeld der beiden Protagonisten freilich ist ein Panoptikum, ein Schlaraffenland von haltlosen Spießern, von millionenschweren geilen Typen, die leer, satt und zufrieden sind, vulgär und gefühllos. Konrads Vater, Unternehmer in Sanitärwaren, schiebt eines Geschäftes wegen skrupellos seinen Sohn dem Bauunternehmer Kataster ins Bett, indes er selbst, weibstoll, Anna beschläft. (Beides geschieht zur gleichen Zeit im selben Stundenhotel.) Rudolfs Mutter wiederum will alle Männer, nicht nur einen, läßt daher auch Zufallsbekanntschaften an sich heran und liiert sich schließlich mit einem ehemaligen Knastbruder, der an ihr Geld will, dem sie aber, will sie ihn halten, von Zeit zu Zeit junges Fleisch zuführen muß wie die 13jährige Gudrun, Konrads Schwester. Der Vater Annas schließlich, ein pensionierter Oberstaatsanwalt, ist Spießgeselle von Kataster, ein Thailandreisender also, der aber auch in Köln, wo die Geschichte sich zuträgt, genügend Knaben und Absteigen kennt. Die Mütter von Konrad und Anna sind lediglich dumme Puten, die nichts zu sagen haben, und Gudrun verzweifelt, weil sie mit 13 noch Jungfrau ist und der Bruder ihr alle Kerle ausspannt. Deshalb kriecht sie zu Konrad ins Bett, baggert alle Männer an und läßt sich schon mal die Nadel in die Vene drücken.

Die Handlung wird etwas künstlich an Stationen wie Hauseinweihungsparty, Schwulenkneipe und Sauna festgemacht, wo solche Menschen eben zwanglos zusammenkommen, palavern und wo sie genießen: wenn nicht einander, so zumindest Gäste wie die junge Servierhilfe Lotte und ihren 20jährigen Freund Tom, einen schwarzen Medizinstudenten. („Wir zahlen jeden Preis, wenn ihr's vor unseren Augen miteinander treibt.“) Auch wenn eine der Hausfrauen sich über die „Niggerbastarde“ mokiert, „die heute in Deutschland an jeder Ecke aus den Kanakenweibern herausrutschen“, gilt unter Umständen junges schwarzes Muskelfleisch in diesen Kreisen als besonders attraktiv. Tom wird so zum King der Saunaparty erklärt, zu ihrem Dreh- und Angelpunkt, und nackt von Hand zu Hand, von Mund zu Mund gereicht.

Die illustre Gesellschaft taumelt und zerrt aneinander herum, läßt kein Tabu ungebrochen, packt jedes Gelüst bei den Haaren, liefert sich ganz ihren Trieben aus. Aber irgendwann wird die Geduld des Lesers überstrapaziert. Daß ein Kreis von Menschen so reich und sorgenfrei ist, daß die Umwelt überhaupt keine Rolle mehr spielt (und daß man gleichgültig akzeptiert, daß Lotte und Tom hier unverhohlen absahnen wollen), ist schon recht elitär, daß sie sich so ausschließlich auf den Unterleib konzentriert, schwer denkbar. Zudem hat sich der Autor auch nicht die Mühe gemacht, uns einen Blick ins Innenleben solcher Meute zu gewähren: Er nennt die Namen, referiert das Geschwätz, zählt die Taten auf. So erscheinen sie irgendwie wie Pappkameraden, ohne Differenzierung und Tiefenschärfe, exotisch eben und in dieser Häufung ganz uninteressant.

Der Autor ist mitunter bewußt knapp und ordinär („Er packte sie beim Arsch und fickte sie“), aber an plattem Realismus ist ihm dennoch nicht gelegen. Die vorletzte Station des Romans ist eine Vernissage (daß Rudolf alle Personen hierher zitiert, ist kaum begründet). Dabei stößt der Autor zu brutalen Wunsch- und Gedankenbildern vor: Während Wachmänner mit den Aufsichtsdamen kopulieren, reißt Anna dort Konrad zu Boden, sie kastriert ihn, bietet das Geopferte ihrem Rudolf auf einem Tablett. Konrad dagegen sieht, wie Rudolf seine Anna niederschlägt, sich auf das zerblutete Gesicht setzt, auf der Erstickten herumtobt. Auch die durchgängig abgehobene Ausdrucksweise ist auffällig. Da „beilt“ einer etwas in Scheiben und Stücke, und ein naives Hausmütterchen formuliert, als sich zwei geile Böcke auf ihre Tochter stürzen: „Ich zeräuge sie, wenn sie das Kind entkinden.“ „Er schleimte wiegend auf ihn herab“, steht, wo ein Mann sich auf den anderen legt. Statt „jungenhaft“ gebraucht der Autor das Wort „jungig“, und das Handtuch, das die Geschlechtsteile verhüllt, fällt nicht zu Boden, es „platzt weg“. Das ist nicht schlecht - wenn der Autor nur seine Figuren mit etwas mehr Fleisch und Blut ausgestattet hätte, statt ihre Lüste nur zu behaupten. Die ständigen Zitate von Opernarien, Dramentexten, Liedern und Gedichten dagegen wirken auf die Dauer banal.

Die letzte Station des Buches ist ein Begräbnis. Connie, ein junger Barkeeper, der schon immer mal mit Zitaten des von ihm verehrten Philosophen Max Stirner die Szene querte, hat sich umgebracht - wahrscheinlich, weil er zu schwach und zu allein war, nach Stirners Lehren zu leben. An seinem Grab wird nun der Philosoph zitiert: „Fort mit jeder Sache, die nicht ganz und gar meine Sache ist. Ihr meint, meine Sache müßte wenigstens die gute Sache sein? Was gut! Was böse! Ich bin ja selbst meine Sache, und ich bin weder gut noch böse. Beides hat für mich keinen Sinn. Mir geht nichts über mich.“ Das ist der radikale Individualismus, dem die am Grab versammelte Gesellschaft fröhnt. So gesehen hätte Connie, der an den Thesen zerschellt, eine interessante Figur werden können. Leider hat der Autor nichts daraus gemacht.

Walter Foelske (63 Jahre alt) ist kein unbeschriebenes Blatt: Anatomie eines Ghettos, Im Wiesenfleck, Das innere Zimmer. 1985 erhielt er den Bertelsmann-Literaturpreis, 1986 ein Arbeitsstipendium des nordrheinwestfälischen Kulturministeriums. Diesmal fiel es schwer, bis zum Ende des Buches durchzuhalten. Nur die gutnotierte Geschichte zwischen Rudolf und Konrad hielt das Interesse wach. Da schrieb der Autor an gegen den Hochmut, solche Irritierung in der geschlechtlichen Orientierung könne einem nicht passieren: „Wer immer noch glaubt, das Schwarze ist schwarz und das Weiße ist weiß, bei dem ist Hopfen und Malz verloren.“ Der Körper schert sich nicht um Zivilisationsnormen, denn der Leib will den Leib mit Leidenschaft. Gut. Aber haben wir nicht auch einen Kopf, Geist, Gewissen? Foelske folgt keiner aufklärerischen Mission. Er konstatiert, aber er kritisiert und entlarvt nicht. Die Auswahl des Figurenensembles freilich hat er zu verantworten. Von Einseitigkeit ist er da nicht freizusprechen. Ein Kontrastprogramm zumindest in Maßen hätte der Geschichte gutgetan.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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