Rezension

 

Viel Lärm um Nichts

Wiglaf Droste/Gerhard Henschel: Der Barbier von Bebra

Roman.
Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg, Hamburg 1996, 125 S.

 

„Alle Personen in diesem Roman sind frei erfunden; irgendwelche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.“ Nur gut, daß Droste und Henschel diese Erklärung abgeben. Mancher Leser könnte sonst glauben, daß ein gewisser Wolfgang Thierse beim politischen Jazzfrühschoppen in Nordhausen einem Bartmörder zum Opfer fiel. Ein Schicksal, das auch Jürgen Fuchs ereilte. Nur den Poeten traf's schlimmer. Ein Faß voller Shampoo in der Waschküche (!) der Gauck-Behörde wurde ihm zum Verhängnis. Das Land ist in Unruhe. Ein Serienmörder geht um. Und immer sind die Opfer Bartträger. Auch Rainer Eppelman wird nicht verschont. Der Pfarrer fiel auf den Trick mit der erpresserischen Akte rein, kam zum Treff an einen stillen Baggersee und landete flugs, natürlich barbiert, in einem Betonmischer. Aus der Traum, sich als NATO-Generalsekretär zu empfehlen.

Ganz so grausam geht's zwar nicht weiter, aber zu Tode kommen auch andere, ohne daß immer der Bartmörder seine Hände im Spiel hat. Schalck-Golodkowski ist seine eigene Leibesfülle im Weg, als er mit Krenz & Co. vom Tegernsee durch einen Geheimtunnel nach Nordkorea entweichen will und prompt in der engen Tür steckenbleibt. Der Fluch der bösen Tat, denn zuvor mußte Modrow dran glauben. Damit sich das Fluchtgeld besser teilen läßt, beförderte ihn der Devisenbeschaffer ins Jenseits.

Droste und Henschel teilen gnadenlos nach allen Seiten aus. Gysi und Bisky, Angela Marquardt und Inge Meysel, Kanther und Schäuble, die Puhdys und die Wildecker Herzbuben, Günter Grass und Ernst Jünger, Regine Hildebrandt und Stefanie Hertel und und und. Fast macht es mehr Sinn zu fragen, wer nicht ins satirische Kreuzfeuer geraten ist. Mit Wonne attackiert das Autorenduo auch die Elite der Journaille und Verleger-Götter. Nicht zu vergessen Bärbel Bohley, Freya Klier und Lutz Rathenow, die in der kleinen Bürgerrechtlerei zu Greiz den Widerstand gegen den Bartmörder formieren. Mit einem Hungerstreik tut Lutz Rathenow sich und der Sache Gutes. Kommissarin Gisela Güzel von der SoKo Gillette hat im Bunde mit Derrick mächtig zu tun, um dem Bartmörder auf die Schliche zu kommen. Als der vermeintliche Missetäter endlich hinter Schloß und Riegel sitzt und das Volk auf dem Alex zur großen Siegesfeier zusammenströmt, schlägt er wieder zu. Von nun an erhält das Geschehen seine Eigendynamik. Der Protestmarsch auf Bonn und damit das Ende der Republik sind nicht mehr aufzuhalten.

Droste und Henschel sind in ihrer Spottlust kaum zu bremsen. Das Buch ist flott geschrieben, hat Biß. Der Text ist voller Anspielungen auf menschliche Schwächen, Eitelkeiten. Sie setzen witzige Pointen, treiben die Sache auf die Spitze, parodieren, was das Zeug hält. Differenzierungen gehen ihnen dabei manchmal verloren. Und gegen Ende scheint ihnen auch die Treffsicherheit abhanden zu kommen. Manche Replik wirkt da zu konstruiert.

Ins Gerede gekommen ist der „Barbier“ auf alle Fälle. Als Fortsetzungsroman vorigen Sommer in der „taz“ gedruckt, sollte er sofort in Bann gelegt werden. Vera Lengsfeld und Konrad Weiß, ausgewiesener Fliegen-Träger, eilten den gefährdeten Bartträgern zu Hilfe. Sie nutzten ihren Bonus als Bundestagsabgeordnete und forderten, den Sommer-Fortsetzungsspaß zu verbieten. Unter dem Mantel der Satire sei der Roman eine „getarnte Anweisung zum Mord an Andersdenkenden“. Mit einem Aufruf zum Boykott der „taz“ sollte das Treiben des Barbiers gestoppt werden.

Ach ja, wie recht hatte doch der weise Goethe: Wer sich nicht selbst zum besten haben kann, der ist gewiß nicht von den Besten.

Gudrun Schmidt


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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