Eine Rezension von Bernd Sander

Lebenslänglicher Zwang zum Doppelleben

Günter Bohnsack: Hauptverwaltung Aufklärung
Die Legende stirbt.
Mit einem Beitrag von Jörg Gfrörer.
Edition Ost, Berlin 1997, 184 S. und Dokumentensammlung.

Ein Geheimdienst ist sicherlich für die meisten Menschen ein mystisches Gebilde, von dem man nicht viel erfährt, es allgemein fürchtet; und mancher beneidet vielleicht gar einen Agenten, der so viel Interessantes und Gefahrvolles in fremden Ländern erlebt.

Jeder Geheimdienst hat seine Mitarbeiter während ihrer Tätigkeit zur Geheimhaltung verpflichtet. Da hat auch der Geheimdienst der DDR keine Ausnahme gemacht, er war wahrscheinlich noch konsequenter. Denn „der lebenslängliche Zwang zum Doppelleben“ (S. 73) war eine Grundvoraussetzung für eine Tätigkeit beim Geheimdienst der DDR.

Auch um den Auslandsgeheimdienst der DDR, die Hauptabteilung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), ranken sich vielfältige Legenden. Eine besagt, daß er der beste Geheimdienst der Welt gewesen sein soll. Das ist nie bewiesen worden und kaum nachvollziehbar. Bohnsack hat mit seinem Buch wenigstens zum Teil diese Legende widerlegt, indem er den tristen Alltag der Stasi-Mitarbeiter aufzeigt. In dem geheimnisvollen riesigen Komplex in Berlin-Lichtenberg, dem Hauptsitz des MfS, war der größte Teil der Arbeit bürokratisch, stupide und geprägt von einer straffen Hierarchie. Das hat der Autor eindrucksvoll geschildert.

Bohnsack, 26 Jahre lang MfS-Offizier, gibt einiges von seinem Insider-Wissen preis. Er urteilt über frühere Mitarbeiter und beurteilt zum Teil deren Arbeit. Seine Einschätzung fällt meistens nicht allzu positiv aus, und man ist geneigt, frei nach „Schneewittchen“, zu fragen: Wer ist wohl der Klügste im gesamten MfS bzw. der HVA?

Besonders der Leiter der HVA, Generaloberst Markus Wolf, kommt in diesem Buch nicht sehr gut weg. Er wird von seinem ehemaligen Mitarbeiter Bohnsack zwar als intelligent charakterisiert, aber auch als geizig und eitel bezeichnet, der dem weiblichen Geschlecht keineswegs abhold war und teure Autos liebte. Mielke, mit dem sich Wolf nie besonders verstanden haben will - und das dürfte wohl auf Gegenseitigkeit beruhen -, hat die Arbeit der HVA und besonders Wolfs Arbeit argwöhnisch beobachtet. Wolf galt insbesondere bei dem einflußreichen sowjetischen Bundesgenossen als ein sehr fähiger Geheimdienstoffizier. Mielke befürchtete, daß Wolf vielleicht vorfristig seine Nachfolge antreten könnte. Außerdem soll der alte Herr so seine Eigenheiten gehabt haben usw.

Diese und ähnliche Banalitäten gibt es an mehreren Stellen des Buches, teilweise mit Anekdoten versehen. Interessant wird es eigentlich nur, wenn Bohnsack die „Aktivitäten“ der HVA bei den Olympischen Spielen, den Messen, der „Nutzung“ von DDR-Botschaften bzw. von Diplomaten und den Umgang mit Journalisten schildert. Allerdings scheint mir hier Bohnsack zu einigen Übertreibungen zu neigen, denn man hat den Eindruck, daß alle DDR-Diplomaten und Journalisten MfS-Mitarbeiter waren.

Der MfS-Referatsleiter Bohnsack wurde nach der Wende wie viele andere arbeitslos und stand ziemlich mittellos da. Er erhielt ein lukratives Angebot, bei der „Welt“ anzufangen, wenn er sich an einem ganz mies inszenierten Coup gegen Günter Wallraff beteiligt. Das hat er mit Anstand abgelehnt.

Dies und vieles mehr hat Jörg Gfrörer, der zwei preisgekrönte Filme über Günter Wallraff gedreht hat, äußerst interessant in dem abschließendem Beitrag: „Günter Wallraff, die Stasi und die Bundesanwaltschaft“ beschrieben. Mit vielen Details schildert Gfrörer außerdem die Einflußnahme von Behörden der BRD auf Medien und Journalisten, aber auch die manchmal sehr unsauberen Machenschaften von Printmedien, ihre Auflage dadurch steigern zu wollen.

Doch zurück zu Bohnsack. Die Frage ist: Warum hat er dieses Buch geschrieben? Zu einer kritischen Aufbereitung der Geschichte des MfS und seiner HVA trägt es nur bedingt bei. Es ist über weite Strecken hinweg zu oberflächlich und läßt nicht allzu viel Insider-Wissen vermuten. Das meiste, was Bohnsack geschrieben hat, kennt der interessierte Leser aus einer Fülle von Veröffentlichungen, Anhörungen, Befragungen und Stellungnahmen. Und viel Neues, abgesehen von ein paar Anekdötchen, konnte der Autor nicht bieten.

Zu seiner eigenen Rechtfertigung kann es auch nicht geschrieben worden sein, denn weder sagt uns Bohnsack etwas über die Motive seiner langjährigen Tätigkeit bei diesem Organ, noch bezieht er eine konkrete Position zu der Allmacht des MfS und all dem Unrecht, das zahlreichen Menschen angetan wurde.

Die Berliner Wochenzeitung „Freitag“ wirft am 7. März 1997 in einer Rezension zum gleichen Buch ähnliche Fragen auf und kann sie auch nicht beantworten. Die Rezension ist aber getitelt: „Die Rache des Mitmachers“ mit dem Untertitel: „Trendgerechtes Kratzen an der Staatssicherheit durch einen Insider“.

Lassen wir diese Fragen offen.

Der generelle Mangel dieses Buches besteht m.E. darin, daß die besondere Stellung der HVA innerhalb des MfS kaum herausgearbeitet wurde. Und welchen Kontrollmechanismen unterlag sie? Es steht zu befürchten, daß es keine Kontrolle gab, wie es generell keine über die Tätigkeit des MfS gab. Hier hätte es ebenfalls zu einer Wertung kommen müssen.

Aber wahrscheinlich war die Erwartungshaltung, die ich an ein solches Buch gestellt habe, zu hoch.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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