Eine Rezension von Georg Klose

Ein ungewöhnliches Leben

Margarete Schütte-Lihotzky: Erinnerungen aus dem Widerstand
Das kämpferische Leben einer Architektin.
Promedia Verlag, Wien 1994, 208 S.

Von einer ungewöhnlichen Frau ist zu lesen, einer Frau, die am Ende des 19. Jahrhunderts in Wien geboren wurde; als Studentin der Architektur Zeitzeugin des Ersten Weltkrieges und des Unterganges der Habsburger Monarchie war; die sich als Architektin und Repräsentantin des „neuen Bauens“ nicht nur in der Republik Österreich durchsetzte, sondern auch in Deutschland; die sich bereits Mitte der zwanziger Jahre mit der von ihr entwickelten Einbauküche, der „Frankfurter Küche“, ein Denkmal in der Architekturgeschichte setzte, die 1930 mit anderen Architekten einer Einladung in die Sowjetunion zum Bau sozialer Einrichtungen, Wohngebiete, ja ganzer Städte folgte und sie nach sieben Jahren, bereichert um viele Erfahrungen, aber auch Enttäuschungen, wieder verläßt und über die Stationen Paris und London in Istanbul als Architektin tätig war, wo sie 1939 der illegalen Kommunistischen Partei Österreichs beitrat und sich dem Widerstand gegen Hitler anschloß. Eine Frau, die diese Teilnahme mit dem Zuchthaus bezahlen mußte und erst 1945 befreit wurde, die - fast fünfzigjährig - nach 1945 einen Neuanfang in Wien suchte, doch zu ihrem Leidwesen mußte die engagierte Teilnehmerin an der österreichischen Frauen- und Friedensbewegung erfahren, daß sie als Architektin und Kommunistin von den öffentlichen Auftraggebern zunehmend übersehen wird. Sie mußte erst das achte Lebensjahrzehnt überschreiten, ehe sie endlich in ihrer Heimatstadt, in Österreich, aber auch in Deutschland für ihr Wirken Anerkennung und Ehrung erleben kann. Im 98. Lebensjahr erhielt sie erst kürzlich als erste Frau das Ehrendoktorat der Technischen Universität Wien.

Ungewöhnlich auch die vorliegenden Erinnerungen. Gewiß, eine Kommunistin erinnert sich, und es sind auch Kommunistinnen und Kommunisten, mit denen sie dem Faschismus widersteht, doch sie sind kein Hohelied auf den kommunistischen Widerstand und schon gar nicht eine Glorifizierung desselben. Zu lesen ist von einer Frau, die ihr sicheres Leben in Istanbul preisgab, um Widerstand gegen Hitler zu leisten, damit sie „nach dem Sturz Hitlers mit gutem Gewissen wieder in der Heimat leben“ könne, die mehrere Jahre in Wien illegal und offensichtlich ohne nennenswerten Erfolg tätig ist, bis sie von der Gestapo (22. Januar 1941) verhaftet wird. Gestapozentrale, Polizeigefängnis, der Prozeß und das Zuchthaus sind dann für M. Schütte-Lihotzky die eigentliche, die schwerste Zeit des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Mit schlichten, aber eindrucksvollen Schilderungen zeichnet sie ein Bild von den Schicksalen vieler Verfolgter, Verurteilter und von Mithäftlingen in ihrem Kampf gegen Hitler und entreißt sie dem Vergessen, zu Recht voll „Stolz gegenüber allen jenen, die gegen die Nazis waren, aber nichts getan haben, Stolz gegenüber allen jenen, die am liebsten Schweigen ausbreiten wollen über die Helden, die als Einfache und Unbekannte damals unter uns lebten“. (S. 60)

Wie überlebt man die Verhöre der Gestapo, Einzelhaft, Schikanen, das bange Warten auf das Todesurteil, Jahre im Zuchthaus? Viele derjenigen, die Konzentrationslager und Zuchthäuser des Dritten Reiches durchlebten, haben darüber berichtet. Gemeinsam war allen die Erfahrung, ohne den unbeirrbaren Glauben von der Richtigkeit und Rechtmäßigkeit des Widerstandes, ohne die Solidarität der Mithäftlinge (und Angehörigen), ohne Kommunikation zwischen den Leidensgefährtinnen und -gefährten, ja ohne „normales Leben“ war dies nicht möglich. Doch wie war das konkret? Hierüber einen detaillierten Einblick zu gewähren gehört zum Eindrucksvollsten der „Erinnerungen aus dem Widerstand“.

Widerstand während der Gestapoverhöre und während des Prozesses zu leisten das eine, Widerstand in Einzelhaft zu leisten etwas anderes, hiervon wieder verschieden der Widerstand in einer Gemeinschaftszelle usw. Wieviel Wille, Erfindungsgeist und Mut zum Kommunizieren aufgebracht wurden, um mit „regem Geist und starken Empfindungen“ leben und überleben zu können, läßt nachfolgende Aufzählung der sieben Arten der Verständigung, wie sie von den Häftlingen im Bezirksgefängnis Schiffamtsgasse in Wien ausgeübt wurden, nachvollziehen: das gesprochene Wort über die Fenster, über die Taubstummensprache dort, wo Blickkontakt war, über das Klopfen, Morsen; über das „Gsiberl“, ein beschriebenes Stück Papier oder heller Stoff; über das „Schnürln“ von Gsiberln, über eine „undichte“ Stelle in der Wäscheversorgung und nicht zuletzt über das Klosettrohr. „Wenn man das Wasser aus dem Syphon entfernte und den Kopf in die Muschel steckte, konnte man hören, was jemand in einer anderen Zelle in das Rohr sprach. Bei unserem Strang waren zwanzig Gefangene auf diese Weise miteinander verbunden, teils Männer aus den unteren zwei, teils Frauen aus den oberen zwei Stockwerken. Viele von ihnen haben sich nie zu Gesicht bekommen, doch teilten wir oft ein Jahr hindurch Freud und Leid. Wir besprachen jeden Brief von zu Hause, jedes kleinste Erlebnis.“ (S. 90)


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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