Eine Rezension von Sven Sagé

Schreiben als Schicksal

Heinz Ohff: Theodor Fontane. Leben und Werk.
R. Piper, München 1995, 464 S.

Längst hat Friedrich Spielhagen die Gunst um die Leser verloren. Spielhagen war ein Vielgelesener, als „Th. F.“, der Theaterkritiker und Verfasser der Wanderungen durch die Mark allenfalls eine lokale Größe war. Dabei wäre es geblieben, hätten die Franzosen Theodor Fontane im Oktober 1970 füssiliert. Als deutscher Offizier und Spion verdächtigt, drohte Fontane der „Tod durch Erschießen“. Das wäre ein doppeltes Massaker Frankreichs an Fontane gewesen. Der in Neuruppin geborene Henri Théodore Fontane war hugenottischer Abstammung. Achtzehn Jahre blieben dem Erzähler, um d e r Fontane zu werden.

„Es ist alles leidlich geglückt ...“, notierte der Spätgekommene, dessen Schicksal das Schreiben war. Die Pharmazie war nicht die Profession des ausgebildeten Apothekers. „... ein Apotheker, der, anstatt von einer Apotheke, von der Dichtkunst leben will, ist so ziemlich das Tollste, was es gibt.“ Das Fontane-Zitat hat Heinz Ohff seiner Biographie Theodor Fontane. Leben und Werk vorangestellt. Das Abenteuer, die Dramatik im Leben Fontanes war keine drohende Erschießung. Die Dramatik, das Abenteuer war die Schriftstellerei. Ein Abenteuer, das für den Apotheker mit Balladen und Pamphleten begann. Das sich für den Journalisten fortsetzte, der einige Jahre sein karges Brot mit Korrespondenzen aus London verdiente, der die preußische Geschichte publizistisch beackerte, der als Reiseschriftsteller und Theaterkritiker sein Renommee aufpolierte. Theodor Fontane war fast Sechzig, als - Vor dem Sturm - sein erster Roman erschien. Für Ohff, der einzige historische Roman der Zeit, der überlebte. Fontane war ein Mittsiebziger, als er Effi Briest abschloß. Ein halbes Jahrzehnt später starb der Epiker an dem Tag, als sein Stechlin als Band ausgedruckt wurde. Bekannt, doch nicht berühmt, hatte man die Bedeutung des Autors noch nicht begriffen. Den Aufstieg des Schriftstellers in die Weltliteratur brachte das 20. Jahrhundert. Die von Ohff verfaßte Lebens- und Werkdarstellung, vom Verlag unbekümmert als „Eine längst überfällige Biographie“ ausgegeben, ist nicht so überfällig, daß sie schon überflüssig wäre. Die Wiederbelebung des Landes Brandenburg, erweiterte Veröffentlichungen der Wanderungen durch die Mark Brandenburg, die Herausgabe der Tagebücher haben die Aufmerksamkeit für Fontane verstärkt. Der gewachsenen Bekanntheit genügen die bislang erschienenen spärlichen Biographien nicht mehr. Heinz Ohff hat keine schmissige, alleswissende, psychologisierende Biographie nach amerikanischem Muster geschrieben. Ohff nimmt für sich das Wort Sachbuchautor in Anspruch. Er spielt seine Fähigkeiten als Feuilletonist aus. Würdigung liegt ihm näher und eher als Kritik. Der kritische Feuilletonist flüchtet sich gelegentlich ins unverbindliche „man“. „Wir haben“, „die einem“, obwohl er, der zupackende Autor, gefragt ist. Der Biograph bleibt brav. Wie ist die tatsächliche Biographie? Ohff geht dem geschätzten Fontane nicht an die Gurgel. Diskrepanzen in der Biographie Fontanes, vor allem den in der Öffentlichkeit ausgetragenen Familienkonflikt, wiederholt und wiederholt der Verfasser, ohne den Kern des Konflikts zu berühren. Glaubwürdig zu machen ist schließlich auch, daß Frau Emilie die tatkräftige Organisatorin des „Unternehmens Fontane“ war, wie eine Generation später Katia im Hause Thomas Manns.

Ohff streicht kein Genie heraus. Er streichelt einen Schriftsteller, dem Stolz und Bescheidenheit, Fleiß und Ordnungssinn den ersehnten Erfolg garantierten. Für Ohff ist Fontane vor allem ein „bienenfleißiger Spätzünder“, ein „Märker mit französischem Witz“, ein „Meister des ironischen Hintersinns“, dem Witz und Ironie schon mal abhanden kamen, wenn sie ihn meinten. Als „treue Seele“ wohlwollend apostrophiert, war sich Fontane für fragwürdige und faule Kompromisse nicht zu schade. Ein Ruderer war er, ein rege Reisender. Dem Leben zugewandt, war der Tod ein ständiger Begleiter. Fontane verlor Geschwister, Kinder, die Eltern und viele Freunde. Fontane lebte gegen den Tod, indem er schrieb. Nur wer, wie er, derart gegen den Tod, über den Tod, schrieb, konnte so heftig, stark, lebendig das Leben beschreiben: für das Leben. Der Opposition des jungen Fontane gegen Preußen stand die Opportunität des Alten gegenüber. Der Zuspruch der Preußen, insbesondere der Mark, galt, war nicht ohne Zurückhaltung. Ohff spricht von einer „freundfeindlichen Auseinandersetzung mit Preußen“. Das triffts! Theodor Fontane war kein simpler Verherrlicher Preußens und der Mark. Seine Schilderung der Stärken und Schwächen der Menschen in Preußen und der Mark ist die „Verherrlichung“, die sich der Literat leisten mußte.

Heinz Ohff ist als Biograph dann am besten, wenn er mit wenigen Worten aufwartet. Weil er sich im Werten zurückhält, gar zurücknimmt, bleibt seine Biographie oft behäbig. Wenn im letzten Drittel das literarische Werk dominiert, dann nicht in gewitzten Werkanalysen, sondern in schlichten Inhaltsangaben sowie Hinweisen auf Leute und Landschaften, die Modell waren. Gab die Biographie zuletzt nicht mehr her? Der beste Fontane waren seine besten Bücher. Wie daraus eine aufregende Biographie machen? Fontane lesen! Den Figuren genauer ins Gesicht sehen, die Fontanes Züge zeigen. Ohff gibt genug Anhaltspunkte. Zu einer Biographie, die fast 79 Jahre währte. Ob alle Anhaltspunkte auch tatsächlich stimmen? „ Mit faktischen Angaben stand Fontane auf dem Kriegsfuß“. Klingt bei Ohff fast schadenfroh. Mit dem Satz tritt sich der Biograph selbst in die Hacken, zum Beispiel im abschließenden Kapitel, wenn er den aus Dresden stammenden Wahlberliner, Heinz Knobloch, zu „Fontanes märkischen Landsmann“ macht. Wenn er erklärt, daß das Fontane-Archiv im Kriege nach „Müncheberg und Buckow“ ausgelagert wurde, da werden sich die Müncheberger aber wundern. Oh Ohff! Man(n) ist ja Fontane so nah!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 01/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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